# taz.de -- Ein Abgesang auf die Traumfrauen: Sag mir, wo die Diven sind | |
> Früher wurden nur Göttinnen Diven genannt, dann waren es Leinwandgrazien | |
> wie Marlene Dietrich, und heute nennt man jede Zicke wie Paris Hilton so | |
> - wo ist nur der Glamour geblieben? | |
Bild: Eine wie keine: Marlene Dietrich | |
Neulich war der Begriff endgültig auf den Hund gekommen. Im | |
U-Bahn-Fernsehen stand am frühen Abend nämlich zu lesen: "Die Diva will ihr | |
Leben ändern - Paris Hilton will zur Ruhe kommen". Nein, das ging zu weit. | |
Paris Hilton eine Diva, also eine "Göttliche" (so die Übersetzung aus dem | |
Lateinischen)? Diese Millionenerbin, die in der Rolle des teenagerhaften | |
Nichtsnutzes seit Jahren vor die Flinten der Fotografen läuft und das | |
Unterhaltungsgeschäft mit Leben erfüllt, dieser Spross der Hiltons kann | |
niemals ein Diva sein. | |
Ein Blick ins Onlinelexikon Wikipedia besagt: Im 19. Jahrhundert sind | |
Frauen auf der Bühne so genannt worden. Diven. Eine Diva ist eine | |
Unerreichbare, eine Ferne, eine Frau, die von Irdischem nicht befleckt | |
wird, die sich irgendwie schon von der Erde verabschiedet hat und nicht | |
wieder zurückkehren kann. Eine Diva ist wie ein Engel, eine Botschafterin | |
eines anderen, unerreichbaren Lebens. Eine, die irgendwie nie auf der Erde | |
heimisch geworden ist, denn dann müsste sie wie ein Mensch sein, riechen, | |
fluchen, sich gemein machen. Das aber ist bei einer Diva ausgeschlossen. | |
Dabei gibt es keine gültige oder gängige Definition dessen, was eine Diva | |
ist. Eine Frau kann eine Diva sein, ein Mann niemals. Wirkt ein Mann wie | |
eine, hat er seine Geschlechtsrolle verfehlt - für eine Frau ist es | |
dieKrönung. Eine Figur mit Allüren, mit fein ausgeprägtem Bewusstsein | |
dafür, auf der Bühne zu stehen, überhöht, wenigstens separiert. Sie | |
performt, sie gibt eine Inszenierung - die aber nicht wie eine wirkt. | |
Diven sind für heterosexuelle Männer nicht zu erkennen, denn sie kennen die | |
Frau nur als Objekt ihres Begehrens, sie mögen sie auch überhöhen, sie | |
schönträumen, aber sie wollen sie haben, berühren, sie irdisch machen - | |
aber Menschen, die eine Diva erkennen, wissen, dass eine Göttliche nicht | |
für eine Sekunde auf ihrer Erde weilen kann. Eine Diva kennt keine Sorgen | |
wie Wäschewaschen oder Kochen. | |
Schwule Männer haben das Fach der Diva erfunden - sie haben Frauen dazu | |
gemacht, die keine Muttis und keine Freundinnen sind, aber | |
Hoffnungsträgerinnen. Homosexuelle Männer von einst haben aus der Dietrich | |
eine Diva gemacht, aus der Garbo, die sich sogar die "Göttliche" nennen | |
ließ, aus vielen Frauen, die nicht so waren wie ihre Mütter - und zugleich | |
keine Eheversprechen einzulösen verlangten. Diese Verweigerung der Diva, | |
die Ehe zu erfüllen, kam nicht ohne Tragik aus, als Preis für den Stolz und | |
Mut, ein Leben jenseits von Ehe und Familie zu führen, und wurde belohnt | |
mit der Aura des Geheimnisvollen anstelle des Geruchs von Bratkartoffeln | |
und Autogrammstunden im Möbelmarkt nebenan. | |
Marlene Dietrich wusste sich in dieser Rolle perfekt zu inszenieren - und | |
Millionen von Schwulen konnten sich mit ihren Gesten identifizieren. Mit | |
den Klamotten, den herben, männerdominierenden Gesten, als ob sich das | |
nicht jeder Homo auch gewünscht hätte, den Kerlen, allen Kerlen!, zu sagen, | |
wo es langgeht. Die Dietrich konnte sich auch Dinge leisten, von denen die | |
gewöhnliche Frau keine Ahnung hat, dass sie überhaupt im Reich ihres | |
Möglichen liegen. Dietrich ließ sich, Zeitungen berichteten dies in einer | |
Mischung aus Ehrfurcht, Staunen und Applaus, Anfang der 60er-Jahre, längst | |
nicht mehr die Allerjüngste, für eine Konzerttournee durch Deutschland in | |
ein Kleid einnähen - kein Knopf, keine Reißverschlussleiste sollte ihre | |
makellose Körpersilhouette durch eine Unebenheit verletzen. Das war der | |
Gipfel ihrer Egozentrik - sie tat, was ihr gefiel. | |
Marlene Dietrich machte die Show ihres Lebens sogar perfekt, als sie sich, | |
alt geworden, ganz aus der Öffentlichkeit zurückzog - das unterschied sie | |
schließlich auch von ihrer Freundin Hildegard Knef, die erst ihre | |
Krebserkrankung und dann ihr Face-Lifting im Fernsehen diskutierte. Nein, | |
faltig oder repariert wolle sich Marlene Dietrich nicht der Öffentlichkeit | |
preisgeben. | |
Auch dies wusste der Homosexuelle zu genießen, weil auch er fürchtete, im | |
Alter unansehnlich zu werden - und weil homosexuelles Leben immer schon | |
einem Dasein auf dem Laufsteg gleichkam, einem Gang an allen möglichen | |
Zensoren vorbei, einem Szene-TÜV in dauerhafter Hinsicht. Deshalb konnten | |
Schwule aus früheren Jahrzehnten nie sicher sein, ob sie in ihrer Szene | |
nicht auch den sozialen Tod sterben, wenn sie nicht mehr bubenfrisch oder | |
athletenstraff sind. | |
Die Diva aber war auch ein Fingerzeig: Seht her, auch du kannst dich in | |
Würde zurückziehen, wenn du alt bist. Du kannst einsam sein, so wie ich, | |
denn als Künstlerin der göttlichen Sorte habe ich auch keine Musterfamilie | |
gegründet, ich habe mein Ding als Frau gemacht, deshalb musste ich | |
distanziert bleiben. | |
Diven waren die Spiegelfläche schwuler (und hin und wieder lesbischer) | |
Fantasien von einem besseren Leben. Wenn sie im Kampf mit frechen | |
Plattenfirmen und dreisten Agenturen das Sagen behielten, wenn sie also den | |
Status einer Bestimmerin in eigener Sache erreichten, dann waren sie | |
wirklich Heldinnen. | |
Schwule sparten früher ihre letzten Groschen, um wenigstens in die Konzerte | |
dieser Diven zu laufen. Nah zu sein der Juliette Gréco, einer Zarah | |
Leander, der Barbra Streisand oder gar Maria Callas. Sie alle umwehte der | |
Geschmack von Adel, von Höherem, von Glamour, von einem Dasein im Anderen. | |
Als die Verhältnisse besser wurden, war es mit dem Fach der Diva schnell | |
vorbei. "I Am What I Am" oder "This Is My Life", Gloria Gaynor oder Shirley | |
Bassey, das waren schon deutlichere Bekenntnisse von Selbstbehauptung, da | |
musste nicht mehr zwischen den Zeilen gelesen werden. Das waren Heldinnen, | |
die betete man an, für die sorgte man auch, wenn es mit den | |
Plattenverkäufen nicht mehr so doll war - und bereitete ihnen triumphale | |
Tourneen. | |
Aber waren das noch echte Diven? Entrückte Himmelsmächte? Ist Cher eine | |
Diva - nur weil sie Kostüme ausprobiert, für die das Wort "schrill" noch zu | |
matt klingt? Die Frau in der Rolle des Paradiesvogels - ist das schon eine | |
Göttliche? Nur noch, so lässt sich resümieren, als ironisches Zitat. Und | |
Frauen wie Kylie, Madonna oder Céline Dion - Diven? Eben. Kumpelinnen, | |
Frauen, denen man anhört und ansieht, dass sie eine Leistung im | |
Showbusiness bringen - toughe, um nicht zu sagen: ehrenhafteste | |
Handwerkerinnen auf der Bühne mit seltenen Momenten von Entrücktheit. Das | |
gilt auch für die Klassik. Anna Netrebko, Elena Garanca oder selbst Cecilia | |
Bartoli: viel zu nah an ihrem Publikum, allzu sehr interessiert an der | |
Klatschpresse. In Zeiten massenmedialen Hungers müssen auch sie den Preis | |
für Prominenz und damit für Produktverkäuflichkeit zahlen. | |
Sie dürfen sich nicht rar machen, wie es eine echte Diva eigentlich müsste, | |
sonst hat ihnen in der Zwischenzeit eine Konkurrentin den Rang streitig | |
gemacht. Aber weil sie immer da sein müssen, kann nicht mehr geraunt | |
werden, nicht spekuliert und nicht geträumt. Man fühlt sich schnell | |
gesättigt. | |
Das hat natürlich auch eine schöne Seite. Frauen müssen keine Diven mehr | |
sein wollen; Gleichstellungsgesetze, überhaupt der Zeitgeist des | |
Weiblichen, das Sozialwissenschaftler seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs | |
zäh, aber gewaltig sich durchsetzen sehen, all dies bedeutet Frauen | |
schlechthin, dass Arbeit am Produkt lohnt, nicht nur die Arbeit an sich | |
selbst allein. Der Diva als solcher hat 1998 eine Israelin ein Denkmal | |
gesetzt - und es war kein Zufall, dass sie einst ein Mann war und nun, als | |
Transsexuelle, als Frau performte: Dana International gewann mit "Diva" den | |
Eurovision Song Contest. Dass die Israelin im Jahr darauf mit dem Pokal für | |
ihre Nachfolgerin Charlotte Nilsson über ihre Super-High-Heels stolperte | |
und zu Boden fiel, passte perfekt: Sie gab in Papageienfedern die Diva - | |
und lag doch im Staub vor 100 Millionen Zuschauern, als gehörte sie zum | |
Gesinde. | |
Das Publikum lachte. Und das war auch schon das Ende der Divengeschichte, | |
denn über Diven gibt es nichts zu lachen. Objekte des Gelächters sind | |
irdisch - Diven dürfen so banal nicht straucheln. Dana International hat | |
sich von ihrem Fauxpas nie mehr so recht erholt. | |
Und das ist es eigentlich, was Paris Hilton oder Britney Spears oder Amy | |
Winehouse sind: Zicken, Frauen mit schlechtem Benehmen oder fragwürdigen | |
Beratern, die das Fach der Diva mit dem nervöser Backfische verwechseln. | |
Auf der Berlinale gibt es naturgemäß keine Diven. Tilda Swinton, Penélope | |
Cruz, Scarlett Johansson oder Natalie Portmann? Bitte, noch ganz bei Trost? | |
Wer über den roten Teppich möchtegernmäßig stöckelt, hat es nur nötig. Das | |
Einzige, was an dieses Göttliche erinnert, ist das Areal vor dem | |
Festivalkino. Es heißt: Marlene-Dietrich-Platz. | |
12 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
Jan Feddersen | |
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