| # taz.de -- Integrationssender Radio Multikulti: Vom Vorzeige- zum Sparprojekt | |
| > Radio Multikulti, Integrationssender der Landesrundfunkanstalt RBB, soll | |
| > eingestellt werden. Die Mitarbeiter kämpfen dagegen. Ändern wird das aber | |
| > wenig. | |
| Bild: Ebenso wie viele seiner Hörer hatte auch Radio Multikulti Integrationspr… | |
| POTSDAM/BERLIN taz Wolfgang Holler kann heute nicht still sitzen. Unruhig | |
| schiebt er Papierstapel auf seinem Schreibtisch hin und her - altes | |
| Werbematerial von Radio Multikulti. Den Tisch ziert eine riesige | |
| Holzschale, ein Gefäß für das pazifische Ritualgetränk Kava. Fünf Jahre hat | |
| Holler im Südpazifik am Aufbau von Radiostationen mitgearbeitet, Programme | |
| entwickelt, Journalisten ausgebildet. Zurück nach Berlin kam er 1994 wegen | |
| der Gründung von Radio Multikulti. Seither ist der heute 58-Jährige hier | |
| Wortchef. | |
| Nicht mehr lange, denn nun ist bekannt geworden, dass die Welle zum | |
| Jahresende geschlossen werden soll. Hollers Finger schieben die verblassten | |
| orangefarbenen Werbeaufkleber über den Tisch, "Radio Multikulti: Jetzt | |
| fängt der Spaß erst richtig an" steht darauf. Holler sagt, er sei froh | |
| darüber, dass die Mitarbeiter "ihre gute Laune nicht verlieren. Es gibt | |
| kein Jammern um die eigene Zukunft - nur die Sorge ums Produkt." | |
| Eigentlich hat Radio Multikulti alles, um ein Renommierprodukt seines | |
| Mutterhauses, des Rundfunks Berlin Brandenburg, zu sein. Vor 14 Jahren, | |
| nach den rassistischen Anschlägen und Ausschreitungen in Mölln, Solingen | |
| und Rostock, wurde die Welle ins Leben gerufen - anfangs mit kräftiger | |
| finanzieller Unterstützung des Bundesarbeitsministeriums und der | |
| Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Der offizielle Auftrag war, das | |
| "Zusammenleben zwischen Ausländern und der deutschen Bevölkerung in Berlin | |
| und Brandenburg" zu fördern. | |
| Doch Radio Multikulti blieb ein Stiefkind, mit ähnlichen Problemen wie | |
| manche seiner Hörer: Die Integration in die RBB-Gemeinschaft scheiterte an | |
| deren Misstrauen gegen ein Programm, dem intern mehr guter Wille als gute | |
| Qualität nachgesagt wurde. Wie ein Flüchtling wurde die Welle eher geduldet | |
| als mit einer dauerhaften Aufenthaltsberechtigung versehen. Chefin Ilona | |
| Marenbach regt das auf. Vor fünf Jahren übernahm sie die Leitung von Radio | |
| Multikulti und setzte damals auch Fortbildungen für die Mitarbeiter durch. | |
| "Der schlechte Ruf hat mit der Realität nichts zu tun", sagt sie, die | |
| MitarbeiterInnen von Radio Multikulti hätten Kompetenzen, "nach denen | |
| andere Wellen sich noch die Finger lecken werden". | |
| Knapp 30 fest angestellte und 200 freie MitarbeiterInnen aus über 30 | |
| Ländern arbeiten bei Radio Multikulti. Gesendet wird in 21 Sprachen, von | |
| Albanisch über Makedonisch bis Vietnamesisch. Wie viel Sendezeit eine | |
| Sprache bekommt, hängt von der Größe der Community ab: Die | |
| türkischsprachige Sendung hat von Montag bis Freitag täglich eine Stunde, | |
| Persisch, Romanes und Vietnamesisch je 45 Minuten pro Woche. 37.000 Hörer | |
| schalten jeden Tag ein, die Mediaanalyse hat allerdings nur deutsche | |
| Staatsbürger berücksichtigt. | |
| Ganz verschwinden sollen die muttersprachlichen Programme aus der Berliner | |
| Hörfunklandschaft zwar nicht: Funkhaus Europa, ein nach dem Berliner | |
| Vorbild 1998 vom WDR gestartetes Programm, soll ab Januar auf der frei | |
| werdenden Frequenz senden. Doch für die RedakteurInnen von Multikulti ist | |
| das eine glatte Fehlentscheidung. "Wir haben uns immer bemüht, ein | |
| integrierendes Programm für türkischstämmige Berliner zu machen", sagt Cem | |
| Dalaman, Leiter der türkischen Redaktion. "Was hat ein Berliner Türke | |
| davon, zu wissen, was in Castrop-Rauxel los ist?" | |
| Haroun Sweis, der aus Jordanien stammende Deutsche palästinensischer | |
| Herkunft, macht seit 14 Jahren die arabische Sendung auf Radio Multikulti. | |
| Dreimal wöchentlich 45 Minuten lang bietet er für die etwa 30.000 Arabisch | |
| sprechenden Berliner und Brandenburger aus 20 Ländern eine | |
| Informationsalternative zu den per Satellit aus deren Herkunftsländern | |
| sendenden Fernsehkanälen. "Mit den Problemen und Bedürfnissen der in | |
| Deutschland lebenden Araber befassen die sich nicht", sagt Nader Khalil von | |
| der Berliner CDU. Mit Vertretern arabischer Migrantenvereine bemüht er sich | |
| deshalb derzeit um einen Termin bei RBB-Intendantin Dagmar Reim, um gegen | |
| die Schließung von Radio Multikulti zu protestieren. | |
| Auch Adrian Kostré sitzt der Schreck noch in den Knochen. Er leitet die | |
| Redaktion "Most - Die Brücke", die in Bosnisch, Kroatisch, Makedonisch, | |
| Serbisch und Slowenisch sendet. Auch die Romanes-Sendung wird von Most | |
| betreut, entsprechend viele MitarbeiterInnen hat die Redaktion. Manche sind | |
| durch die bevorstehende Schließung von mehr als nur Arbeitslosigkeit | |
| bedroht: Nicht nur ihr Einkommen, auch ihr Aufenthaltstitel hängt von der | |
| Arbeit bei Multikulti ab. | |
| "Es ist entmutigend", fasst Deniz Egilmez, Mitarbeiterin der | |
| türkischsprachigen Sendung, die Stimmung zusammen. "Sie wollen, dass die | |
| Einwanderer sich integrieren, und schaffen dann genau das Programm ab, das | |
| die nötigen Informationen dafür liefert. Und das, nachdem ARD und ZDF | |
| gerade auf dem Integrationsgipfel versprochen hatten, mehr für die | |
| Zuwanderer zu tun." | |
| Im Sendestudio von Radio Multikulti geht derweil die Frühstückssendung zu | |
| Ende. Eine Hörerin fragt Moderatorin Pia Castro, was sie gegen die drohende | |
| Schließung tun könne. "Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagt Castro, sie | |
| empfiehlt, Briefe oder Mails zu schreiben. Mehr geht nicht, jedenfalls | |
| nicht on air. | |
| Beim Tag der offenen Tür des RBB am vergangenen Sonnabend hat Castro auf | |
| der Bühne Zuschriften von Multikulti-Hörern vorgelesen. Es war ein Akt des | |
| Widerstands, eigentlich durften nur die Musiker der Wellenband "Los | |
| Multikultis" auf die Bühne. Dass ihre Hände dabei zitterten, war nicht nur | |
| Aufregung. Während Castro vorlas, wurde am Mischpult laut darüber | |
| diskutiert, ob ihr das Mikrofon abgestellt wird. | |
| In der Redaktion beraten die MitarbeiterInnen ihren weiteren Umgang mit dem | |
| Schließungsbeschluss. Jammern geht nicht, da sind sich alle mit Wortchef | |
| Holler einig. Nichtstun aber erst recht nicht - das ist man allein schon | |
| denen schuldig, die die Welle mit Solidaritätsbekundungen überschütten. | |
| Allein in den ersten vier Tagen nach Bekanntwerden des drohenden Endes sind | |
| 2.000 Mails eingegangen. | |
| Die Casbah rockt: HörerInnen unterschiedlichster Herkunft, | |
| Migrantenvereine, Politiker, die Jüdische und die Türkische Gemeinde haben | |
| ebenso gegen die Schließung protestiert wie Bundesmigrationsbeauftragte | |
| Maria Böhmer (CDU). Zwei Unterstützerseiten wurden im Internet schon von | |
| Multikulti-Fans eröffnet, ein PR-Experte hat kostenlose Unterstützung | |
| angeboten. Sogar die MitarbeiterInnen des als Ersatz für Multikulti | |
| eingeplanten WDR-Senders Funkhaus Europa haben schriftlich ihren | |
| "schärfsten Protest" formuliert. | |
| Auch deshalb schwankt die Stimmung in der Redaktion zwischen Euphorie und | |
| Elend, Wagemut und Wut. Dass allein Sparzwänge der Grund für die Schließung | |
| sind, glaubt kaum jemand. Von den knapp 400 Millionen Euro Jahresetat des | |
| RBB werden 55 Prozent in Fernsehen investiert, nur 23 Prozent in Radio. Mit | |
| einem Honoraretat von 2,3 Millionen Euro und relativ wenigen | |
| Festangestellten ist Radio Multikulti die sparsamste Welle des RBB. Dass | |
| ausgerechnet hier, wo nicht einmal ein Prozent des Gesamtetats verbraucht | |
| wird, der Rotstift angesetzt wird, leuchtet nicht ein: "Wir kosten den | |
| Sender im Jahr ungefähr so viel wie zwei ,Tatort'-Produktionen!", sagt ein | |
| Mitarbeiter. | |
| Aleksandra Brnetic ist eine der wenigen fest angestellten RedakteurInnen | |
| bei Radio Multikulti. Sie ist von Anfang an dabei und seit den | |
| Siebzigerjahren beim Sender. Sie fragt sich, "ob den Entscheidungsträgern | |
| eigentlich klar ist, welches Loch, welcher Riss sich damit auftut". Nicht | |
| nur Radio Multikulti, auch die Existenz der Einwanderer würde aus der | |
| medialen Wahrnehmung verschwinden: "Kein Mensch kann ein guter Teilnehmer | |
| am gesellschaftlichen Leben seines Einwanderungslandes sein, wenn er das, | |
| was er mitgebracht hat, vergessen muss." | |
| "Wir sind doch die einzige Brücke zwischen den Einwanderern und der | |
| Mehrheitsgesellschaft", sagt Karin Vogel, Flüchtlingsexpertin bei Radio | |
| Multikulti. "Wir haben denen eine Stimme gegeben, die vorher nirgends | |
| vorkamen. Bei uns melden sie sich zu Wort." So wie es aussieht, nur noch | |
| bis zum Jahresende - der RBB jedenfalls zeigt sich bislang völlig | |
| unbeeindruckt von all dem Protest. | |
| 28 May 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Alke Wierth | |
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