# taz.de -- RBB-Intendantin Reim: "Multikulti ist ein Luxus" | |
> Und Kurt Krömer macht schließlich weiter: RBB-Intendantin Dagmar Reim | |
> über das Ende von Radio Multikulti und "Polylux", den Sparzwang im | |
> eigenen Haus und die Ungerechtigkeiten in der ARD. | |
Bild: "Kurt Krömer hat uns gesagt, dass er weiter mit uns will - und wir wolle… | |
taz: Frau Reim, wie viel Spaß macht es, ein Radioprogramm einzustellen? | |
Dagmar Reim: Gar keinen. Das ist außerordentlich hart. Ich bin vor fünf | |
Jahren angetreten mit dem Ziel, die Programmfamilie des RBB zu stärken und | |
zu stützen. Da sitzen sozusagen sieben Kinder an meinem Tisch - und eines | |
wird demnächst nicht mehr dazugehören. Das ist auch persönlich bitter. | |
Kritiker, auch bei Radio Multikulti selbst, werfen Ihnen vor, die | |
Intendantin hätte das siebte Kind im Wahrheit nicht geliebt. | |
Ich verstehe diese Enttäuschung. Es ist aber nicht so: Alle sieben an | |
meinem Tische sind - und waren auch immer - gleichwertig. | |
Am 21. Mai wurde den Mitarbeitern angekündigt, dass ein Kind zu viel am | |
Tisch sitzt - und gleich danach gabs dazu die Pressemitteilung. | |
Bedauerlicherweise ging es nicht anders. Sie können in einer solchen | |
Situation nur Entscheidungen treffen, die von den Betroffenen als falsch | |
empfunden werden. Wir haben verantwortungsvoll entschieden, denn Radio | |
Multikulti ist das einzige Programm, das wir ersetzen können - durch | |
Funkhaus Europa vom WDR, ein anderes, qualitativ hochwertiges | |
öffentlich-rechtliches Programm. | |
Selbst RBB-Hörfunkdirektor Christoph Singelnstein hat öffentlich gesagt, | |
Funkhaus Europa sei kein gleichwertiger Ersatz für Multikulti, sondern | |
sozusagen zweite Wahl! | |
Christoph Singelnstein hat seine Worte inzwischen bedauert. Funkhaus Europa | |
ist selbstverständlich ein gleichwertiger Ersatz - und ein exzellentes | |
Programm. Es hat - als Welle des Westdeutschen Rundfunks - zwar keinen | |
Berlin-Teil. Das ist der Unterschied zu Radio Multikulti. Aber wir können | |
hier ein öffentlich-rechtliches Programm in vielen Sprachen durch ein | |
Programm mit 17 Sprachen ersetzen. Und das ist doch viel wert. | |
Und der für Nordrhein-Westfalen zuständige WDR macht sich noch ein bisschen | |
breiter. | |
Ich wehre mich dagegen, wenn jetzt der WDR als Eindringling in Berlin | |
bezeichnet wird. Es war genau umgekehrt: Ich habe WDR-Intendantin Monika | |
Piel um Hilfe gebeten, und sie hat sich dazu bereit erklärt. | |
Warum wurden sofort vollendete Tatsachen geschaffen? Wäre es nicht taktisch | |
klüger gewesen, erst mit Einstellung zu drohen? | |
Das sieht nur so aus. Ich bin seit September 2006 innerhalb der ARD in | |
dieser Angelegenheit unterwegs gewesen. Und ich habe immer gesagt: Wenn wir | |
wegen der Gebührenausfälle keine Unterstützung bekommen, wird es ernsthafte | |
Einschnitte im RBB-Angebot geben müssen. Wir haben die Entscheidung | |
getroffen und bekommen dafür jetzt Prügel. Damit haben wir gerechnet. | |
Dennoch bleibt große Enttäuschung, weil hier ein außergewöhnliches, | |
einzigartiges Programm dran glauben muss. | |
Das ist der Vor-, aber eben auch der Nachteil: Radio Multikulti gibt es so | |
nur einmal, man könnte sogar sagen: Es ist ein Luxus. Etwas, was der kleine | |
RBB sich leistet. Und in der ARD heißt es: Sie wollen Hilfe, aber warum | |
leisten Sie sich als kleiner Sender sieben Radioprogramme? | |
Aber Radio Multikulti bietet etwas, was es sonst nicht gibt: Es ist mehr | |
als ein Integrationsprogramm, aber eben auch das. | |
Wenn es wirklich so wäre, dass allein bei Radio Multikulti Integration, | |
Toleranz, Dialog der Kulturen verhandelt würde, wäre es katastrophal, | |
dieses Programm einzustellen. Unser Verständnis beim RBB ist aber, dass | |
dies Querschnittsaufgaben sind - und zwar schon immer, nicht erst jetzt, da | |
Multikulti endet. | |
Die Debatte dürfte damit aber nicht zu Ende sein. | |
Es ist schon ein bisschen ungerecht, dass sich die gesamte Welle der | |
Anteilnahme über Radio Multikulti ergießt. Ich bin genauso traurig über die | |
Einstellung von "Polylux". | |
Zieht sich der RBB also schleichend aus dem Ersten ARD-Programm zurück? | |
Nein. Die Hauptstadt und unsere Region gehören ins Erste. Und unsere | |
Handschrift dort ist klar: Wir machen "Kontraste", den "Scheibenwischer", | |
"Krömer - Die internationale Show" und natürlich unsere Dokumentationen. | |
Jetzt kommt "60 mal Deutschland" - die Geschichte der BRD und der DDR. | |
Dass heißt, Kurt Krömer bleibt uns 2009 trotz weiteren Sparzwangs erhalten? | |
Kurt Krömer hat uns gesagt, dass er weiter mit uns will - und wir wollen | |
mit ihm. | |
Sie müssen aber weiter sparen, denn die Gebührenbefreiungen sollen noch | |
zunehmen. Machen Sie dann jedes Mal ein Radioprogramm dicht? | |
Das ist keineswegs aus der Luft gegriffen. Es geht um Einsparungen von 54 | |
Millionen Euro. Mit den Anstrengungen, die wir jetzt unternehmen, kommen | |
wir auf gut 30 Millionen - es fehlt uns also sowieso noch Geld. | |
Die ARD bekommt aus der Gebühr Milliarden. Die könnte man auch umverteilen. | |
Im ARD-internen Finanzausgleich sind wir nicht drin, da kommen wir auch | |
nicht rein - der ist für die kleinen Sender Radio Bremen und Saarländischer | |
Rundfunk. Bei den Gebührenausfällen wäre meine Idee, dass man einen | |
Korridor beschreibt: Im Durchschnitt hat die ARD 9 Prozent | |
Gebührenausfälle, beim RBB sind es 14 Prozent. Hier könnte man sagen: 1 | |
oder 2 Prozentpunkte dieser Differenz muss jeder Sender selbst tragen, | |
danach gibt es einen Ausgleich aus dem ARD-Gemeinschaftstopf. Davon könnten | |
langfristig auch andere in der ARD profitieren. | |
Und warum passiert das dann nicht? | |
Die Gebühren in der ARD sind ungerecht verteilt. Ich wende mich nicht gegen | |
die großen Sender - ohne sie wäre die ARD nicht handlungsfähig. Aber sie | |
erhalten vom Gebührenkuchen schlicht zu viel. Und ich werbe und streite | |
dafür, das zu ändern, was meine Intendantenkollegen nicht begeistern kann. | |
Könnte dieser Verteilungskampf die ARD sprengen? | |
Wir müssen das in der kommenden Gebührenperiode - also bis 2012 - klären. | |
Es sind harte Diskussionen, und einfacher wird es nicht. Ich plädiere immer | |
für Fairness, doch das biblische "Geben ist seliger denn nehmen" ist in der | |
ARD nicht wirklich weit verbreitet. | |
Rechnen Sie nach Ihren jüngsten Erfahrungen ernsthaft mit positiven | |
Lösungen? | |
Ich bin von Grund auf Optimistin und, seitdem ich hier arbeite, das Bohren | |
sehr dicker Bretter gewöhnt. Am Ende wird sich die Vernunft durchsetzen. In | |
der ARD wird hart gestritten, aber bisher ist immer das föderale System | |
bestätigt worden. Denn gerade dies macht die ARD ja programmlich so reich - | |
und das liegt nicht allein an den großen Sendern. | |
Die Sie aber doch hier und da auch ganz gezielt vors Schienbein treten. | |
Ich trete grundsätzlich niemanden. Die Vernunft wird siegen, weil sie | |
siegen muss. | |
Das hört sich jetzt aber an wie ARD-Programmdirektor Struve, der zum Thema | |
"Tagesthemen"-Anfangszeiten auch immer sagt, es werde bis zum Sommer eine | |
Lösung geben, weil es eine Lösung geben muss. | |
Ich hätte mir hier eigentlich einen netteren Vergleich gewünscht. | |
Die ARD steht auch in wichtigen Verhandlungen mit der Politik über die | |
digitale Zukunft. Kann sie sich da überhaupt einen solchen Konflikt | |
leisten? | |
Ich habe diese Diskussion mit Verlegern und der Politik noch nie | |
verstanden. Sie nutzt allein der kommerziellen Konkurrenz und befeuert | |
deren Interessen. Wichtig für die ARD ist, dass sie am Ende aller | |
Auseinandersetzungen mit einer Stimme spricht, und das geschieht hier. Denn | |
wenn in zwei, drei Jahren Firmen wie Google und Yahoo den Medienmarkt | |
aufrollen, werden wir über ganz andere Konfliktlinien reden. Da war die | |
Heuschrecken-Debatte lediglich ein nettes Vorgeplänkel. | |
INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG | |
30 May 2008 | |
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