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# taz.de -- Ein Bett in Berlin (4): Meeresrauschen vor Plattenkulisse
> Die Pension "11. Himmel" wird von Kindern aus Berlin-Marzahnl und ihren
> Eltern geführt. Der Gast bekommt vom 11. Stock aus einen Eindruck vom
> Leben im Plattenbau.
Bild: Auf dem Zeltplatz bekommt man so einiges mit von seinen Nachbarn
"Herzlich willkommen in unserer Pension!" "Wollen Sie im
Prinzessinnenzimmer schlafen?" "Wir haben auch Rührei zum Frühstück!" Das
Empfangskomitee der Pension "11. Himmel" ist etwas aufgekratzt. Gerade
haben Caro, Alina, Angie und Lisa den letzten Schultag mit einer Pizza
gefeiert. Nun wenden sie sich voller Überschwang ihrem Pensionsgast zu.
Schon im Fahrstuhl Richtung 11. Stock wird klar: Die Nordmarzahnerinnen
lassen auf ihr Viertel nichts kommen. Auf das Haus auch nicht.
Auf Touristen mag das riesige Plattenbauviertel am S-Bahnhof Ahrensfelde
monströs wirken und der braune Elfgeschosser in der Wittenberger Straße
etwas heruntergekommen. Aber die Mädchen sind stolz auf ihre Heimat. "Kuck
mal", ruft Angie und lehnt sich über die Balkonbrüstung. "Links sieht man
den Fernsehturm und rechts - den Rest". "Das heißt Umland", berichtigt
Caro. Und verrenkt sich den Hals, um auf die Spitze des Ahrensfelder Bergs
hinzuweisen. "Da kann man prima Frust rauslassen, wenn man mal schlechte
Gedanken hat", empfiehlt sie.
Marina Bikádi versucht, die zehn- bis zwölfjährigen Pensionswirtinnen
wieder auf den Pfad der Professionalität zurückzuführen. Schließlich soll
die Mitarbeit in der Pension nicht nur das Selbstvertrauen der Mädchen und
ihre Kiezkompetenz stärken, sondern vielleicht auch einmal den Berufsweg in
die Gastronomie ebnen. Und der Gast, weiß sie, will nicht nur unterhalten,
sondern auch informiert werden. "Die Pension im 11. Stock wurde 2004
eröffnet. Sie wird von Kindern und Jugendlichen aus dem Viertel und ihren
Eltern geführt", erklärt die Sozialarbeiterin, die das Projekt seit seiner
Entstehung betreut. Im Jahr 2006 kam die 10. Etage dazu. "Jedes Zimmer
sieht anders aus."
Bei diesem Stichwort treten die Kinder wieder in Aktion. Sie erklären die
"Königinsuite" mit dem Baldachin aus indischen Tüchern und dem Blick auf
die Alpen - im Bilderrahmen. Sie zeigen, wie man sich im "Kornfeldzimmer"
bei einer Hörkassette in die Hängematte kuscheln kann. Für die rote
Wandfarbe in der Küche gibt es verschiedene Erklärungen: ein
schiefgegangenes Spaghettisaucen-Experiment oder eine Erinnerung an
verstorbene Großeltern?
Das Innere der zwei zur Pension umfunktionierten Fünfzimmerwohnungen
erweckt nicht nur kindliche Fantasien. Alleine gelassen mit den
Empfehlungen der Kinder ("Nehmen Sie die Königinnensuite") geht der Gast in
den bereitgestellten Pantoffeln spazieren, entdeckt patagonische
Gletscherbilder im weißen Zimmer und ein Prinz-Charles-Gedächtniswohnzimmer
mit Kamin. Der architekturinteressierte britische Thronfolger besuchte 1995
Sanierungsprojekte in der Umgebung, hier erhofft man unermüdlich seine
Wiederkehr als Pensionsgast.
Das Gästebuch kann die örtliche Bundestagsabgeordnete Monika Grütters
aufweisen, die "Marzahn vom Feinsten" lobt. Die Ecke scheint als Reiseziel
beliebter zu sein, als man denkt: Eine Familie von der Nordsee freute sich
über die Meeresdeko, Beate und Oliver aus Kreuzberg lobten die "spitzen
urbane Aussicht". Yani von der Uni Stanford befand: "I wouldnt mind living
here for years."
Kulinarisch anspruchsvoll kann der US-Student nicht gewesen sein. Denn
fußläufig ist es mit der Nahrungsaufnahme nicht so leicht. Zwar geben die
Kinder im Hochhauscafé großzügig etwas von ihrer Pizza ab. Aber sonst? Der
Döner ums Eck schreckt durch aggressiv betrunkene Gäste, der noch mit einem
Schild werbende Pizzalieferservice wurde just am Vortag zum "Eichen-Keller:
Deutsche Küche" umfunktioniert. Und der Liefer-Asiate kommt erst ab 10 Euro
Mindestbestellwert. Ein paar bei "Netto" im Eichen-Center beschaffte Snacks
tun es auch. Ein Bier dazu möchte man ohnehin lieber in der Wohnung
trinken.
Das tun auch die meisten Nordmarzahner, wie sich bei einem Blick aus dem
10. Stock zeigt. Im Elfgeschosser gegenüber wird geraucht, gegrillt und
ferngesehen. Auf der Straße ist um neun Uhr tote Hose. Falls Lisa und Angie
von gegenüber noch wach sind, haben sie bestimmt registriert, dass sich der
Pensionsgast für den 10. Stock und damit gegen das Königinzimmer
entschieden hat. Mit einer bebilderten Diana-Biografie und dem
"Wanderführer Marzahn" lässt es sich vor dem künstlichen Kaminfeuer
aushalten. In der Dunkelheit leuchten freundlich die blau flimmernden
Fensterlöcher von gegenüber. Nach einer Partie Flurgolf muss eine
Entscheidung fallen: Das weiße Zimmer mit den Gletscherbildern? Das von
Garnfäden durchwobene "Stickzimmer"? Lieber das Meereszimmer, das mit
Papiermöwen und echten Seesternen Urlaub am Meer verspricht. Leider fehlt
im Rekorder die Meeresrauschen-CD. Doch das lässt sich von draußen holen:
Mit etwas Fantasie verwandelt sich das durch das offene Fenster dringende
Verkehrsrauschen in gleichmäßige Brandung.
Das Frühstück, das aus Rücksicht auf die Kinder erst um halb zehn beginnt,
servieren Angie und Lisa zusammen. Frisch gebrühter Kaffee, Quark mit
Johannisbeeren, Tomaten und Mozzarella, Vollkornbrot, Marmeladen, Wurst und
Käse. Viel zu viel für eine Person, aber unter erwartungsvollen Kinderaugen
geht auch noch ein bisschen mehr rein als üblich. Die beiden erzählen von
ihren Ferienplänen: Angie fährt nach Holland, und Lisa freut sich auf den
Ausflug in einen Bottropper Freizeitpark, den die Pensionskinder als Lohn
für ihre Mühen machen dürfen. "Bottrop", meint Angie, "das ist voll weit -
eigentlich schon gar nicht mehr Deutschland."
Irgendwie stimmt das auch, es kommt nur auf die Perspektive an. Von
Kreuzberg aus ist Nordmarzahn auch schon fast nicht mehr Berlin - dafür
aber ein prima Reiseziel für einen Kurzausflug ins Reich der fantasievollen
Plattenbauten.
11 Aug 2008
## AUTOREN
Nina Apin
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