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# taz.de -- Ein Bett in Berlin (Teil 1): Die Jugend der Welt, gestapelt
> Millionen Touristen strömen jedes Jahr nach Berlin. Die Sparsamen
> nächtigen in Hostels wie dem A&O am Zoo. Hier langweilen sich
> Schulklassen aus dem Schwabenland. Und blondierte Schwedinnen nutzen das
> Zehn-Bett-Zimmer als Ankleideraum für die Nacht.
Mindestens zehn junge Frauen müssen sich hier für einen Disko-Abend
aufgestylt haben. Der Laminatboden des Zimmers 210 im A&O Hostel am Zoo ist
bedeckt mit zerknitterten Klamotten, Koffern und Deospray-Dosen. Dreckige
Socken ragen wie kleine Inseln aus dem Kleidermeer. Dazu schwarz lackierte
Stöckelschuhe. Slips. Wahrscheinlich haben pubertär-hysterische Mädchen
verzweifelt Kleidungsstück um Kleidungsstück anprobiert, um dann Röcke und
Tops achtlos wegzuwerfen und panisch zu rufen: "Was ziehe ich bloß heute
an?" Nur zwei Asiatinnen scheint das Chaos in dem hellgelb gestrichenen
Zehn-Bett-Zimmer nicht zu kümmern: Sie liegen schon seit 21 Uhr schnarchend
in den Betten aus Aluminium. Sie sehen aus wie Gefängnisinventar und
knarzen bei jeder Bewegung wie Hölle.
Es ist halb elf. Eine laue Sommerbrise weht durch das offene Fenster.
Draußen dämmert es, das Zimmer mit den fünf Etagenbetten und den
abgenutzten Wänden ist in ein halbdunkles Licht getaucht. Durch das Fenster
dröhnt der Verkehr vom Kudamm. Von den unbekannten weiblichen Mitbewohnern
für diese Nacht fehlt jede Spur.
In der Lobby des Hostels ist dagegen viel los. Wer hier Ruhe und
Entspannung sucht, ist fehl am Platz. Schulklassen und gestresste Lehrer
bevölkern die schwarzen Ledersessel und den Billardtisch. Vor der Rezeption
stehen die Gäste Schlange. Dahinter steht Roland Glitsch, der als
studentische Aushilfe im Hostel arbeitet. Gerade erklärt er zwei jungen
deutschen Touristinnen, wie sie zur Diskothek Q-Dorf kommen. Derweil können
sich zwei Freunde aus Amerika nicht entscheiden, welchen Schokoladenriegel
sie kaufen wollen. Ein asiatischer Jugendlicher hat kein Schlafzeug dabei -
und versteht wegen mangelnder Englischkenntnisse nur schwer den Hinweis von
Glitsch, dass Bettwäsche bei A&O Pflicht ist und dass er sich, wenn er
keine eigene dabei hat, Bett- und Kissenbezug ausleihen muss.
"Im Sommer ist hier am meisten los", sagt Glitsch. "Dann sind wir schon
nachmittags voll." Das Hostel am Zoo hat 550 Betten. Der Besucher kann sich
aussuchen, ob er im Einzel-, Doppel- oder Mehrbettzimmer nächtigen möchte.
In den sogenannten Dorms schlafen bis zu zehn Leute. Für eine Nacht im
Zehn-Bett-Zimmer mit Bad bezahlt der Gast 11 Euro. Bettwäsche kostet 3 Euro
extra. Ein einfaches Frühstück in Büfettform mit Brötchen, Müsli und
Aufschnitt ist für 6 Euro zu haben. Die Zimmerpreise schwanken je nach
Saison und Nachfrage, sagt Glitsch. "Wir haben auch noch ein 16-Bett-Zimmer
für die ganz Harten." Darin gibt es einen Platz für die Nacht schon für 10
Euro. Reservieren kann man den Massenschlafraum aber nicht: "Wenn es voll
ist, ist es voll."
A&O ist eine deutsche Hostel- und Hotelkette mit Angeboten in Berlin,
Hamburg, Leipzig, Dresden, Düsseldorf, München, Prag und bald auch in Wien.
In Berlin gibt es neben dem Hostel am Zoo zwei weitere in Mitte und in
Friedrichshain.
Von außen sieht das Hostel aus wie eine Mischung aus Plattenbau und
hässlichem Betonklotz. Im Erdgeschoss haben sich Dönerladen, Sex-Shop und
Spielothek eingerichtet. Die Gedächtniskirche ist gleich nebenan. Das
Hostel gibt es hier seit sechs Jahren, erklärt Glitsch. Vorher habe hier,
in der ersten Etage des Gebäudes, ein Discounter residiert. "Manchmal
kommen immer noch Leute zu uns und fragen nach Aldi", erzählt er. Dabei ist
das Einzige in der Lobby, was an einen Supermarkt erinnern könnte, die
Größe des Raums. Nicht nur die Ledersessel und der Billardtisch, auch eine
Bar, Fahrräder und ein Internetbereich haben hier Platz.
Inzwischen haben es sich vier Jungs auf den Ledersesseln in der Lobby
bequem gemacht. Sie mampfen Fastfood. "Ist alles ziemlich spießig hier",
meint der eine. Er heißt Lars. Der 16-Jährige trägt ausgewaschene Jeans.
Seine bunte Baseball-Kappe sitzt verkehrt herum auf dem Kopf. Das soll ihn
älter, cooler machen - er wirkt dennoch wie 13.
Sein Kumpel Tobi erzählt, dass sie aus Stuttgart hierhergekommen sind.
Klassenfahrt. Er deutet auf einen Mann im grau-schwarz gestreiften T-Shirt,
der an der Bar sitzt. "Das ist unser Lehrer. Wegen dem müssen wir abends
schon um elf Uhr im Hostel sein - und das in Berlin!" Nicht einmal zu den
Mädchen dürften sie heute aufs Zimmer. "Die machen so ne blöde
Mädchenparty", sagt Lars und verdreht die Augen.
Es kommen viele Schulklassen ins A&O, sagt der Rezeptionist Glitsch. Das
Hostel sei eine "hochwertigere" Alternative zur klassischen Jugendherberge:
"Wir schließen nicht einfach nachts um zwölf die Tür ab. Unsere Rezeption
ist rund um die Uhr besetzt." Im Sommer kämen vornehmlich Backpacker zum
Übernachten. Ältere Leute ließen sich hier nur selten blicken.
Nach abenteuerlustigen Backpackern sehen die Gäste in der Lobby aber nicht
aus. Wer nicht gerade zu einer Schulklasse gehört, unterhält sich dezent
oder liest ein Buch. Die Lobby mit ihren sonnengelben Wänden und
terracottafarbenen Fliesen hat den Flair einer Arztpraxis.
Die wenigen Abenteuerurlauber haben sich auf die Dachterrasse im zweiten
Stock zurückgezogen. In kleinen Grüppchen sitzen sie zusammen, unterhalten
sich. Andere wiederum genießen die Aussicht - von der Terrasse kann man
direkt auf den Bahnhof Zoologischer Garten gucken. Drei Kanadier aus
Toronto sind seit drei Monaten unterwegs in Europa. Nun tauschen sie sich
über ihre Lieblingsorte in Berlin aus. "Das Sony Center war cool", sagt
Jonah. "So viel Glas. So modern."
Im Treppenhaus lungern Lars und seine Freunde aus Stuttgart herum. Es ist
mittlerweile 1 Uhr nachts. Seine lässige Jeans hat der Teenager ausgezogen
- er trägt Boxershorts. "Wir wollten gerade ein paar Mädchen aufreißen",
sagt er missmutig. "Hat aber nicht geklappt."
Im Zimmer 210 lüftet sich das Geheimnis der gestylten Unbekannten, die den
Fußboden mit einem Kleiderschrank verwechselt haben - fünf hübsche junge
Mädchen stöckeln auf hohen Absätzen durch den Raum. Sie kauen kollektiv
Kaugummi. Ein Schmatzkonzert. Ihre blondierten Haare ähneln den Haaren aus
einer Shampoo-Werbung, die Augen sind so schwarz geschminkt, dass man das
eigentliche Auge kaum noch erkennen kann. Die Mädels kommen aus Schweden,
sprechen aber perfektes Englisch. Sie wollen noch raus in die City, Party
machen, Jungs kennenlernen. Vielleicht sollten sie es mit Lars und seinen
Freunden probieren.
Am nächsten Morgen scheint die Sonne warm durch die orangefarbenen
Gardinen. Das Bad sieht wüst aus. Die Schwedinnen haben hier ihr
Territorium markiert: Überreste einer Schminkorgie bevölkern Waschbecken,
Toilette und Kacheln - Make-up, Glätteisen, Wimpernzange auf der Ablage,
Haare im Ausguss. Die Wasserpfützen vor der Dusche sind dunkel eingefärbt.
Da hat wohl jemand seine Schuhe nicht ausgezogen.
Die Schwedinnen schlafen noch - röcheln dabei völlig uncool und haben die
Münder im Schlaf geöffnet. Ohne Schminke sehen sie gar nicht mehr so hübsch
aus.
22 Jul 2008
## AUTOREN
Nora Grosse-Harmann
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