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# taz.de -- Ein Bett in Berlin (Teil 6): Zelten im Innenstadtidyll
> Regen, Punks, die sich auf dem Boden wälzen und feiernde Nachbarn: Wie
> man eine Nacht auf der Tentstation trotzdem übersteht.
Bild: Auf dem Zeltplatz bekommt man so einiges mit von seinen Nachbarn
Am Telefon meldet sich eine Männerstimme. Es ist Peter. "Du bist immer
willkommen", versichert er. "Aber muss es unbedingt heute sein?" In
Brandenburg finde gerade ein großes Rock-Pop-Festival statt. Für die
Teilnehmer sei die Tentstation - Berlins einziger innerstädtischer
Zeltplatz - als Schlafplatz ausgesprochen attraktiv. Und dann sei da noch
eine große Schülergruppe aus Frankreich gekommen. Alles junge Leute also.
"Normalerweise haben wir hier auch Familien", sagt Peter. "Auf die Familien
legen wir auch Wert." Zwischen den Zeilen schwingt mit: Auf dem Platz ist
zurzeit mächtig Party. Du tust dir keinen Gefallen, wenn du nachts kein
Auge zumachst.
Aber es muss heute sein. Schlimmer als drei Wochen Campen bei strömendem
Regen im Gebirge kann es nicht kommen. Selbst wenn sich 100 besoffene Punks
vor dem Zelt im Gras wälzen. Und wozu gibt es Ohropax?
Die Tentstation befindet sich auf dem Gelände eines stillgelegten Freibads
in Mitte, nur fünf Minuten Fußweg vom Hauptbahnhof entfernt. Jugendliche
mit punkigen Frisuren, bepackt mit Rucksäcken, Lebensmitteltüten und
Bier-Sixpacks, streben in Kleingruppen Richtung Eingang. Am Himmel türmen
sich dunkle Wolken. Den ganzen Tag hat es geregnet. Aber als die letzten
Gäste gegen 20.30 Uhr einchecken, hört es auf.
An der Rezeption sitzt Sarah. Gerade hat sie einem italienischen Gast mit
einem gewinnenden Lächeln auf Englisch erklärt, wo die Bar ist. "Letzte
Nacht war es hier ganz schön heftig", erzählt Sarah auf dem Weg zu der
Wiese, wo die Zelte stehen. "Ich werde heute sehr streng sein", kündigt sie
an. Und meint damit, dass sie keinen Lärm dulden wird, wenn sie ihre
nächtlichen Runden dreht.
Die Wiese ist von Zelten übersät. Kleine, große, runde, eckige. Klassische
Formen, tunnel-, iglu- und ufoartige. Alle Farbschattierungen und Fabrikate
sind vertreten. Die Regenpause wird dazu genutzt, nasse Klamotten zum
Trocknen aufzuhängen, Isomatten vor den Zelten aufzurollen, Lebensmittel
auszubreiten. In den Campingkochern brodeln die Nudeln. Der
Altersdurchschnitt ist gefühlte 17. Betagtere Gesichter sind eindeutig in
der Minderheit. Aber es gibt sie.
Zwischen den Zelten einer Familie aus Oldenburg - er EDV-Dozent, sie
Arzthelferin, dazu fünf jugendliche Kinder im Alter von 13 bis 15 Jahren -
ist noch ein bisschen Platz für ein kleines Zelt. Wenn die Sturmleinen
nicht gespannt werden, passt es gerade so in die Lücke. Gegenüber haben es
sich vier junge Spanierinnen, Punk-Schönheiten mit langen schwarzen Haaren,
Miniröcken und Netzstrümpfen mit großen Löchern, vor ihrem Zelt gemütlich
gemacht. Sie unterhalten sich lebhaft. "Mañana, mañana", heißt es eins ums
andere Mal.
Das Wetter hält. Mehr noch. Es klart auf. Kurz nach 21 Uhr bringt die
untergehende Sonne den Himmel zum Glühen. Eine märchenhafte Stimmung liegt
über dem dicht mit Bäumen und Büschen bewachsenen Gelände. Die Blätter
dampfen den Regen aus, es riecht nach Erde und Laub. Ein babylonisches
Stimmengewirr gemischt mit Ska-Musik dringt von der einstigen
Schwimmbadtribüne rüber. Dort befindet sich die Bar. "Wir haben heute mal
ein bisschen was Härteres aufgelegt", sagte Bernd mit Blick auf die Punks
mit den vielen Piercings, die auf einem Teppich hocken, quatschen, rauchen
und Bier trinken. "Sonst spielen wir eher softere Sachen."
Das 25 Meter lange, einstmals hellblau gestrichene Schwimmbecken mit
Graffiti an der Oberkante ist leergepumpt. An der tiefsten Stelle hat sich
eine Regenpfütze gebildet, darüber flattert ein großes weißes Segel. Die
Stimmen von zwei jungen Männern, die auf dem Beckengrund mit einem Ball
kicken, hallen herauf. Überall blättert die Farbe, bröckelt der Putz. Auch
am Sprungturm nagt der Rost. Aus den Treppenstufen der Tribüne wachsen
Birken. Manche sind schon richtige kleine Bäume. Ihre Wurzeln machen den
Beton kaputt. Aber man lässt sie gewähren. Zum Glück. Noch.
Sarah, Bernd, Peter und Jessica haben das stillgelegte Schwimmbad 2006 vom
Liegenschaftsfond an Land gezogen. Da war das Bad schon vier Jahre dicht.
Rechtzeitig zur Fußball-Weltmeisterschaft eröffneten sie die Tentstation.
Die Presse berichtete groß. Auch im Ausland. Eine bessere Werbung hätten
sich die vier nicht wünschen können. Seither ist das Gelände im Juli und
August nahezu ausgebucht. Elf Euro kostet die Nacht für Erwachsene. Zelte
und Isomatte gibt es umsonst. Billiger kann man in Berlin nur in einem
16-Bett-Zimmer im Hostel übernachten.
Die vier jungen Leute investierten in die Anlage mehrere zehntausend Euro.
Zusammengeborgtes Geld von Verwandten und Freunden. Einen Bankkredit
bekamen sie nicht. In den alten Duschräumen wurden Waschbecken und eine
funktionierende Warmwasseranlage installiert. Die überdachte Tribüne wurde
mit Möbeln aus einem Pralinenladen der 50er-Jahre zu einer Bar umgebaut.
Die Sitzmöbel wurden aus dem Trödel recycelt. In den Bäumen und den
Gemäuern der Schwimmbecken installierten sie Lampen. Diese lassen die
Szenerie nachts noch verwunschener erscheinen.
Es ist dunkel. Bernd erzählt beim Bier: Bestehendes erhalten und mit Kunst
verbinden, das sei ihr Konzept. "Was würden wir hier alles machen, wenn man
uns ließe." Sein Blick schweift zum weißen Segel hinüber. Es klingt
wehmütig.
Die Zukunft der Tentstation ist mehr als ungewiss. Der Vertrag ist nur ein
Zwischennutzungsvertrag. Binnen zwei Wochen kann dem Projekt gekündigt
werden. Bis zum Saisonende im Herbst wird vermutlich nichts mehr passieren.
Aber dann? Wird es einen vierten Sommer auf dem Gelände geben? Gerüchte
besagen, es gebe einen Investor, der auf dem Areal ein Wellnessbad
errichten wolle.
Mitternacht. Fünf junge Franzosen und ebenso viele Italiener haben sich in
dem sandgefüllten Becken beim Fußball verausgabt. Barfuß haben sie das
Finale der WM 2006 nachgespielt. Auch die Zuschauer auf der Tribüne haben
sich köstlich amüsiert.
Zeit, ins Zelt zu kriechen und sich im Schlafsack zu vergraben. Ganz tief.
Die Nacht ist sternenklar und kalt. Die Spanierinnen sitzen immer noch,
oder schon wieder, vor ihrem Zelt. Sie haben Pullover und lange Hosen
angezogen und sprechen gedämpft. Das Zelt der Oldenburger ist dunkel. Aus
der Ferne tönt Musik herüber. Sanft und leise wie ein Schlaflied.
Vogelstimmen verkünden den Morgen. Von nächtlichem Pogo keine Spur. Die
Ohropax-Packung liegt unangetastet im Rucksack. Sarah hat ihren Laden gut
im Griff - da kann man sich nochmal umdrehen und weiterschlafen.
Das nächste bewusst wahrgenommene Geräusch ist das von Reißverschlüssen.
Ein verstohlener Blick aus dem Zelt zeigt: Die volle Blase treibt einen
Zeltnachbarn zum Klo, vor dessen Eingang zahlreiche Heineken-Flaschen
liegen. Ein Wunder, dass er so lange durchgehalten hat. Oder sollte er am
Ende gar …? Nein, das verbietet die Campermoral.
Pünktlich um halb neun macht Jessica die Bar auf. Das Frühstück -
Kostenpunkt drei Euro - überzeugt: Zum knusprigen Croissant reicht sie
einen frisch gemahlenen Espresso mit aufgeschäumter Milch. Nur die
Stereoanlage streikt. Macht aber gar nichts.
25 Aug 2008
## AUTOREN
Plutonia Plarre
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