# taz.de -- Das DDR-Traumschiff: Kreuzfahrt mit dem Klassenfeind | |
> Der Luxusliner "Astor" fuhr einst als ZDF-"Traumschiff" über die Meere - | |
> und ab 1985 als "Arkona" jahrelang unter DDR-Flagge. Weiterhin gern mit | |
> an Bord: Gäste aus der Bundesrepublik. | |
Bild: Die "Arkona", fest vertäut: Der DDR-Dampfer war auch bei West-Passagiere… | |
Es ist kein ungewöhnlicher Anblick und doch ein besonderer Moment: Am | |
Morgen des 29. August 1985 besteigen vier Dutzend Seeleute das | |
Kreuzfahrtschiff "Astor", das im Hamburger Hafen festgemacht hat. Sie | |
tragen blaue Galauniformen und weiße Mützen, an denen das Emblem der | |
Deutschen Seereederei Rostock (DSR) prangt. Bislang kennen sie den | |
Luxusliner nur aus dem Fernsehen, als "Traumschiff" aus der gleichnamigen | |
Serie des ZDF. Werftarbeiter entfernen den alten Schiffsnamen. Wo eben noch | |
"Astor" stand, heißt es jetzt "Arkona". Am Nachmittag klingen zwei deutsche | |
Nationalhymnen über das Achterdeck. Die Flagge der Bundesrepublik wird | |
eingeholt und die der DDR gehisst - denn die ist der neue Besitzer des | |
Traumschiffs. In Zukunft sollen sich darauf "verdiente Bestarbeiter" | |
erholen, so schreibt es zumindest das Neue Deutschland. | |
Im Westen gilt der Fernsehdampfer als Sinnbild bundesdeutscher | |
Wohlstandszufriedenheit. Dass der "einstige Stolz der Hamburger | |
Schifffahrt" (Die Welt) - der allerdings Millionenverluste einfuhr - nun | |
ausgerechnet in Honeckers Arbeiter-und-Bauern-Staat gelandet ist, gefällt | |
manchem gar nicht. "Das tut weh, wenn ich daran denke, dass sich bald | |
,DDR'-Bonzen auf unserer schönen ,Astor' die Sonne auf den Pelz brennen | |
lassen", zitiert die Bild-Zeitung einen Hamburger Rentner. Kurz darauf wird | |
bekannt, dass das Schiff den Bundesbürgern auch in Zukunft offenstehen | |
wird. Ende Oktober 1985 schließen die Rostocker Seereederei und die TUI | |
einen Chartervertrag ab. Schon im Frühsommer des nächsten Jahres wird die | |
"Arkona" für das Hannoveraner Reiseunternehmen durch Nord- und Ostsee | |
fahren. Über sechs Millionen D-Mark bekommt die DDR dafür. | |
MS Arkona - die Welt der blauen Horizonte", wirbt die TUI, doch im Westen | |
ist man zunächst skeptisch - was wird die DDR aus dem Vorzeigedampfer | |
machen? Der Prospekt zeigt idyllische Bilder: die "Arkona" unter Palmen und | |
in blauen Fjorden. Die DDR-Fahne allerdings ist nirgendwo zu sehen. Erst | |
auf der letzten Seite findet sich ein gut versteckter Hinweis auf den | |
Heimathafen Rostock. "Made in GDR" ist auf den Weltmeeren zunächst kein | |
verkaufsförderndes Argument. | |
Die anfängliche Skepsis erweist sich als unbegründet, denn auch die Manager | |
in Ostberlin wissen, dass nur Qualität Erfolg und die harte Westmark | |
bringt. Sorgfältig wird das Personal in den ersten Häusern der Republik | |
ausgesucht und auf "Westniveau" getrimmt. Auch in ideologischen Fragen | |
zeigt sich die DDR flexibel. Bevor die Gäste aus Koblenz, Köln und Detmold | |
zum ersten Mal an Bord gehen, stellt sich das Personal auf sie und ihre | |
Gepflogenheiten ein. Statt, wie bei Reisen für DDR-Bürger üblich, mit | |
"Genosse" und "Genossin" spricht man sich auf der "Arkona" nun ganz | |
bürgerlich mit "Herr" und "Frau" an. In den Schreibtischen liegt das Neue | |
Testament. | |
Die erste TUI-Reise beginnt Anfang Mai 1986 und führt von Cuxhaven über | |
Amsterdam nach London. Sie wird ein voller Erfolg. Die mitreisenden | |
Journalisten aus der Bundesrepublik sind angenehm überrascht. "Technisch | |
und betrieblich auf Weltklasseniveau", urteilt der Rheinische Merkur. | |
Manche Medienvertreter wollen in der "Arkona" gar eine deutsch-deutsche | |
Begegnungsstätte entdeckt haben. "Uns ist das hier an Bord wie eine | |
Wiedervereinigung in kleinen Schritten vorgekommen", kommentiert ein | |
Fernsehteam nach der Reise. Dass die meisten DDR-Bürger von der "Welt der | |
blauen Horizonte" nur träumen können, wird bei so viel deutsch-deutscher | |
Entspannung gerne übersehen. | |
Die meist schon etwas älteren Passagiere aus dem Westen sind von der | |
"Arkona" nicht weniger angetan. Vor allem die gehobene Hausmannskost aus | |
der Küche des Leipziger Starkochs Eberhard Blüthner findet große | |
Zustimmung. Beim Begrüßungsdinner stehen "Ungarisches Kesselgulasch mit | |
böhmischen Knödeln in Paprika-Sahne, fein gefüllte Seezungen-Filets in | |
Fenchelrahm mit Muschel-Dill-Reis" auf der Karte. Zum Dessert gibt es | |
Mecklenburger Rote Grütze mit Vanillesoße. Zumindest kulinarisch ist die | |
Wiedervereinigung gelungen. | |
Für deutsch-deutsche Symbolik und politische Auseinandersetzungen haben die | |
meisten Passagiere nur wenig übrig. Als die "Arkona" am 17. Juni 1986, dem | |
alten Tag der Deutschen Einheit, in Kiel festmacht, bereitet sich die | |
Schiffsleitung auf politische Zwischenfälle vor. Doch die bleiben aus. | |
"Kaum ein Passagier interessierte sich für diesen Feiertag", meldet der | |
Politoffizier der "Arkona" erleichtert nach Rostock. | |
"Wegen mir kann auf dem Schiff die Hottentotten-Flagge wehn. Ich will für | |
mein Geld Leistung sehen, nur das zählt für mich", zitiert Die Welt einen | |
schwäbischen Rentner. Dabei ist die "Arkona" auch nach dem Flaggenwechsel | |
ein deutsches Schiff geblieben, ja vielleicht sogar eine Spur deutscher | |
geworden. "Keine Langhaarigen, sondern ganz gepflegte junge Leute", lobt | |
eine Handwerkergattin aus Bayern das adrette Erscheinungsbild des | |
Personals. Stets wird irgendwo geputzt, kein Tau, das nicht ordentlich | |
zusammengerollt ist. Schnell erwirbt sich die "Arkona" ein Stammpublikum. | |
Doch die "Arkona" ist kein gewöhnliches Kreuzfahrtschiff, so wie die DDR | |
kein Staat wie jeder andere ist. Gerade hier, in der direkten Begegnung von | |
Ost und West, ist die Angst der Funktionäre vor "politisch-ideologischer | |
Diversion" besonders ausgeprägt. Mindestens zwei Dutzend Inoffizielle | |
Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit wachen über die Besatzung. Auch die | |
Brücke ist fest in der Hand des Geheimdienstes: Ab 1986 steht das Schiff | |
unter dem Kommando eines Kapitäns, der nebenbei Berichte für das MfS | |
schreibt. Erich Mielke verleiht ihm dafür die "Medaille für vorbildlichen | |
Grenzdienst". Aus Sicht der volkseigenen Schlapphüte ist die "Arkona" | |
tatsächlich Grenzgebiet. Stewardessen und Köche sind "Repräsentanten der | |
DDR" und zugleich potenzielle Verräter. Dabei denken die meisten | |
Besatzungsmitglieder nicht ernsthaft an Flucht. Wer auf der "Arkona" | |
arbeitet, ist doppelt begünstigt: Er sieht etwas von der sonst weitgehend | |
verschlossenen weiten Welt und kann neben dem DDR-Gehalt noch üppige | |
Westtrinkgelder einstreichen. Bis zu 4.000 D-Mark nimmt ein Steward pro | |
Chartersaison mit nach Hause - ein kleines Vermögen. | |
Die Besatzung vollführt einen Spagat zwischen den politischen Systemen. | |
Freundlich soll sie sein, denn Freundlichkeit bringt Devisen, aber auch | |
nicht zu vertraulich, denn das gefährdet den festen Klassenstandpunkt. | |
"Wachsame Zusammenarbeit mit dem Klassengegner" lautet die Anweisung für | |
die Begegnung mit den Westdeutschen. Außerdienstliche Kontakte sind | |
untersagt und müssen, da sie sich nicht immer vermeiden lassen, dem | |
Sicherheitsoffizier gemeldet werden. Der ist nicht nur, wie auch auf | |
westlichen Schiffen üblich, für die Terrorabwehr zuständig, sondern | |
arbeitet zugleich als hauptamtlicher Offizier im besonderen Einsatz (OibE) | |
für das Mielke-Ministerium. Crewmitglieder, die als "Sicherheitsrisiko" | |
eingestuft werden, müssen die "Arkona" verlassen. Damit niemand im Westen | |
"verloren geht", darf die Besatzung nur in Gruppen an Land gehen. Vor jedem | |
Auslaufen wird das Schiff nach blinden Passagieren durchsucht. | |
Die Gäste aus der Bundesrepublik erfahren davon wenig, vielleicht wollen | |
sie es auch gar nicht so genau wissen. Risse in der heilen | |
Kreuzfahrtkulisse werden schnell gekittet. Politische Zwischenfälle stören | |
das Traumschiff-Image - darin sind sich Ost und West einig. Als der | |
Bundesgrenzschutz eines Tages die persönlichen Gegenstände eines | |
geflüchteten Crewmitglieds abholen will, vertraut ein Mitarbeiter der | |
westdeutschen Reiseleitung dem Sicherheitsoffizier an: "Ich halte es nicht | |
für gut, wenn die Passagiere etwas von solchen Dingen mitbekommen, das | |
könnte sehr geschäftsschädigend sein." Zuweilen übt man sich auch in | |
vorauseilendem Gehorsam. DPA-Meldungen, die der DDR-Seite unangenehm sein | |
könnten, werden von einer Mitarbeiterin der TUI-Tochter Seetours | |
aussortiert. | |
Die Geschäfte laufen gut. Drei Monate fährt die "Arkona" jährlich für die | |
Gäste aus dem westlichen Teil Deutschlands. Mehr als neun Millionen D-Mark | |
fließen so zwischen 1987 und 1989 in die Kasse des Devisenbeschaffers | |
Alexander Schalck-Golodkowski. Von dem Gewinn werden auch Westkreuzfahrten | |
für Ostdeutsche finanziert, denn ab 1988 dürfen die zuweilen auch in | |
Helsinki oder auf den Azoren an Land - ein kleines Ventil für den | |
wachsenden Unmut im Land, der sich nicht zuletzt am Fehlen der | |
Reisefreiheit entzündet. | |
Während im September 1989 die ersten Demonstranten in Leipzig auf die | |
Straße gehen und Tausende über Ungarn in den Westen flüchten, schippert die | |
"Arkona" im Auftrag des Kaffeerösters Tchibo über die Ostsee. Noch Anfang | |
Oktober 1989 legt der FDJ-Sekretär des Schiffes öffentlich ein "deutliches | |
Bekenntnis zum Sozialismus, seinen Werten und Idealen" ab. Selbst die | |
SED-Mitglieder unter der Besatzung mögen indes nicht mehr an die alten | |
Parolen glauben. Zweifel an der "Sieghaftigkeit des Sozialismus" werden | |
auch auf der "Arkona" immer lauter, berichtet der Sicherheitsoffizier | |
seinen Vorgesetzten beim MfS. Das Staatsschiff DDR hat zu diesem Zeitpunkt | |
schon schwere Schlagseite. | |
Ein Jahr darauf wiederholt sich der Flaggenwechsel von 1985 - nur diesmal | |
in umgekehrter Reihenfolge. Am 3. Oktober 1990 wird auf der "Arkona" die | |
DDR-Fahne eingeholt und die des ehemaligen "Klassenfeindes" aufgezogen. | |
Der Historiker ANDREAS STIRN, Jahrgang 1974, promoviert über Seereisen in | |
der DDR. Er wird von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur | |
gefördert | |
Mehr DDR-Geschichten junger Historiker gibt es zu entdecken in: Susanne | |
Muhle, Hedwig Richter, Juliane Schütterle (Hrsg.): "Die DDR im Blick. Ein | |
zeithistorisches Lesebuch". Metropol, Berlin 2008, 19 Euro | |
16 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Andreas Stirn | |
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