# taz.de -- Reiseveranstalter setzen auf Trinkgelder: Abgezockt und ausgebeutet | |
> Trinkgelder haben sich als Extrakosten in die Angebote der | |
> Reiseveranstalter geschlichen. Aber sie rechtfertigen nicht die | |
> Billigstlöhne lokaler Agenturen. | |
Bild: Trinkgelder müssen als Rechtfertigung von Dumpinglöhnen herhalten. | |
Die Reise mit dem Nostalgiezug durch Afrika kostet über 12.000 Euro. Die | |
Antarktis-Luxuskreuzfahrt schlägt mit 8.000 Euro zu Buche. Pro Person, doch | |
immerhin mit allem Drum und Dran: Transport zu Land, Luft und See, | |
Verpflegung, Unterkunft, Reisebetreuung. Ein Komplettpreis, mit dem sich | |
klar rechnen lässt. Oder doch nicht? Von der Öffentlichkeit kaum | |
wahrgenommen, haben sich in den letzten Jahren Extrakosten in die Angebote | |
der Reiseveranstalter geschlichen. Die Rede ist von Trinkgeldern. | |
Kommen nach der Buchung die Reiseunterlagen ins Haus, greifen viele | |
Veranstalter inzwischen mehr oder weniger unverhohlen ein weiteres Mal in | |
die Taschen ihrer Kunden. Dabei ist es egal, ob es sich um vermeintliche | |
Schnäppchenangebote im Billigsektor handelt oder solche aus dem obersten | |
Preissegment. | |
Vor allem dort, wo es richtig teuer wird, solle man dann schon 10 bis 15 | |
Euro Trinkgeld pro Person und Tag zusätzlich veranschlagen, liest da oft | |
der verblüffte Kunde: für Busfahrer, Zimmermädchen, Küchenpersonal und | |
Gepäckträger. | |
Lokale Fremdenführer seien ebenso zu bedenken wie der Reiseleiter, der – | |
und das ist besonders pikant – immerhin der offizielle Repräsentant des | |
hiesigen Veranstalters selbst ist, dessen Leistung ja bereits bezahlt | |
wurde. Da wird mit Handlungsrichtlinien nicht gegeizt, etwa wer wie viel | |
bekommen sollte. Um 150 bis 250 Euro erhöhte sich so geschätzt der Preis | |
pro Person für jede der oben genannten Beispielreisen | |
Wer das für Peanuts hält, sollte einen Blick auf die Gästezahlen werfen. | |
Gut fünfzig Zugreisende im Nostalgiezug dürften 12.000 Euro Trinkgeld | |
zusätzlich berappt haben, mehr als hundertsiebzig Kreuzfahrer etwa 40.000 | |
Euro. | |
## Katole verschwiegen die Zusatzkosten | |
Das hat Methode, daran zweifeln Verbraucherschützer nicht. „Bis jetzt | |
kannten wir das nur von Kreuzfahrten“, sagt Kerstin Hoppe vom Bundesverband | |
der Verbraucherzentralen VZBV, der in mehreren Verfahren | |
Unterlassungserklärungen von Seereiseanbietern erzwang, deren Kataloge | |
diese quasiobligatorischen Zusatzkosten an Bord verschwiegen. | |
„Feste Serviceentgelte“, sagt Tatiana Halm, Juristin bei der bayrischen VZ, | |
„sind eigentlich versteckte Preise, die zunächst verschwiegen werden.“ Und | |
das sei illegal. Manche dieser Pauschalen würden direkt dem Bordkonto des | |
Reisenden belastet. Dieser müsse dann schon protestieren, damit dies nicht | |
geschehe; von einer Entscheidung aus freien Stücken könne da keine Rede | |
mehr sein. | |
## Nervende Briefchen | |
Wer detaillierte Vorgaben zur Höhe dieser Sonderkosten in seine Reiseinfos | |
schreibt, wer auch am Urlaubsort noch mal deutlich auf deren Zahlung | |
drängt, setzt der nicht fest auf ihre Einnahme, selbst wenn er sie | |
„freiwillig“ nennt? Viele Urlauber sehen das so. Es nervt, wenn am | |
Ferienende Briefchen die Runde machen, in die wie bei der Kirchenkollekte | |
Bares gesteckt werden soll. | |
Immer öfter auch heißt es in den Trinkgeldrichtlinien, eine gute Leistung | |
individuell zu belohnen sei unerwünscht. Schließlich solle das Geld gerecht | |
unter allen Mitarbeitern verteilt werden, auch denen, die im Hintergrund | |
blieben. | |
Doch gerade die Vorgabe der Höhe der Trinkgelder und deren kontrollierte | |
Einnahme durch die Reiseleitung vor Ort, argwöhnen Verbraucherschützer | |
hinter vorgehaltener Hand, nährten einen weiteren Verdacht: Veranstalter | |
machten so ihre Reisen preisgünstiger und attraktiver, als sie bei fairer | |
Kalkulation eigentlich wären. Denn ein wichtiger Kostenfaktor, die Gehälter | |
der Mitarbeiter am Urlaubsort, könne so niedrig gehalten werden. | |
## Der Tourist wird instrumentalisiert | |
Outsourcing von Arbeitskräften ist auch im global agierenden Tourismus gang | |
und gäbe. Wer den Mitarbeitern ein besonders niedriges Grundgehalt gebe, so | |
der Verdacht, könne darauf verweisen, dass es Urlauber mit ihren | |
Trinkgeldern ja später deutlich aufbesserten. Wird der Tourist also über | |
Umwege für Lohndumping im Reiseland instrumentalisiert? | |
Trinkgelder seien, so liest man zum Thema auf der Website der | |
TUI-Reisecenter, in großen Teilen der Welt „ein wesentlicher Bestandteil | |
des Einkommens“ ihrer Mitarbeiter. Das hört sich kaum noch nach Belohnung | |
für eine individuell herausragende Leistung an, sondern klingt wie ein | |
allgemein gültiger Regelsatz. Subventioniert der Reisende also Billiglöhne? | |
„Wir zahlen für sehr gute Mitarbeiter vor Ort überdurchschnittliche Löhne. | |
Trinkgelder sollen da vor allem deren Motivation stärken“, sagt Felix | |
Willeke von Lernidee Erlebnisreisen. Michael Schulze von Phoenix Reisen | |
weist darauf hin, dass „wir nur Empfehlungen geben. Alles ist absolut | |
freiwillig“. | |
## „Unglückliche Formulierung“ | |
TUI-Pressesprecherin Susanne Stünckel versichert, „dass es keine | |
Verpflichtung zur Zahlung von Trinkgeldern gibt“. Immerhin hält sie die | |
Formulierung der TUI-Reisecenter für unglücklich und sagt auf Anfrage, man | |
werde sie ändern. Geschehen ist das bis jetzt aber nicht. | |
Michael Schulze distanziert sich von Servicepauschalen bei | |
Kreuzfahrtreisen, die er auch kennt. Genauso wie Lernidee-Mann Willeke, der | |
zum Umgang mit Trinkgeldern bei Pauschalreisen Problembewusstsein zeigt und | |
sagt, „nur wenn die Veranstalter geschlossen handelten, könnten wir das | |
Thema für die Zukunft lösen“. | |
TUI-Frau Stünckel zieht außerdem eine Trennlinie zwischen eigenen | |
Angestellten, für die keine Trinkgelder vorgesehen seien, und lokalen | |
Dienstleistern am Urlaubsort, für die man zwar Empfehlungen abgebe, aber | |
eigentlich nicht zuständig sei. | |
Kerstin Hoppe vom VZBV nennt diese Art der Argumentation „feinsinnig“. | |
Tatiana Halm glaubt, dass das Problem und seine Konsequenzen bisher erst | |
ansatzweise erkannt wurden. „Wir haben dazu kaum Beschwerden von | |
Verbrauchern. Die nehmen das offenbar hin, wenn auch murrend“, sagt die | |
VZ-Juristin. | |
## Schon bei der Buchung aufpassen | |
„Nur auf schriftliche Klagen hin können wir aktiv werden“, bekräftigt auch | |
Kerstin Hoppe, die zugibt, dass die Art und Weise, wie Trinkgeld generiert | |
werde, auch bei den Verbraucherzentralen bisher nicht im Fokus stand. Doch | |
auf diese Recherche hin werde der VZBV das Thema nun in seine Stellungnahme | |
zu den Pauschalreiserichtlinien aufnehmen, die im Europäischen Parlament | |
erarbeitet werden. | |
Kerstin Hoppe empfiehlt Verbrauchern, schon bei der Reisebuchung darauf zu | |
achten, dass Trinkgelder im Leistungsumfang inbegriffen sind. | |
Denn eines ist absehbar: Sollte diese Entwicklung Schule machen, hätten wir | |
bald US-amerikanische Verhältnisse. Dort werden im Dienstleistungssektor | |
Hungerlöhne gezahlt, weil auf Trinkgelder gesetzt wird. | |
19 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Sven Weniger | |
## TAGS | |
Niedriglohn | |
Reiseland Zypern | |
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