# taz.de -- Neuer Tiefpunkt bei Europawahl: SPD in Insolvenz | |
> Auch Hilfserklärungen für Karstadt holen die SPD nicht aus der Krise. | |
> Trotz Verlust liegt die CDU 17 Prozentpunkte vorn – und sieht gelöst der | |
> Bundestagswahl entgegen. | |
Bild: Zur Bundestagswahl braucht er selbst eine helfende Hand: SPD-Kanzlerkandi… | |
BERLIN taz | Um 18.17 Uhr, ziemlich früh, treten SPD-Parteichef Franz | |
Müntefering und Spitzenkandidat Martin Schulz im Willy-Brandt-Haus auf. Es | |
soll schnell gehen, schnell vorbei sein vor allem, abgehakt und vergessen. | |
Dieses Resultat ist ein Fiasko. | |
Vor ein paar Tagen hatte Müntefering noch über den Absturz der Union | |
gehöhnt, jetzt verkündet er mit gefrorenem Lächeln Durchhalteparolen. "Das | |
ist eine schwieriger Abend", sagt er. Das ist ein Satz, dem ein paar "aber" | |
folgen müssen. Aber es gab einen "tollen Wahlkampf". Aber wir haben nichts | |
"an die Linkspartei verloren." | |
Doch auch diese Sprachregelung funktioniert nicht so richtig. Dazu ist das | |
eigene Ergebnis zu mies. Alle hatten mit mindestens 25 Prozent gerechnet, | |
keiner damit, dass es noch einmal schlechter wird, als vor fünf Jahren. | |
Aber, sagt Müntefering, diesmal haben "nur 42 Prozent gewählt, und in 112 | |
Tagen, bei der Bundestagswahl, werden "fast doppelt so viele wählen". | |
Trostlose Gegenwart, lichte Zukunft – Sozialdemokraten kennen diese | |
Rhetorik von früher. Die Genossen applaudieren trotzig und extra lange. | |
Doch Müntefering und Schulz klingen wie Trainer eines abstiegsbedrohten | |
Fußballclubs. Die Umstände waren widrig, der Gegner war stark. Die | |
Mannschaft hat gekämpft und gerackert, trotzdem hat es am Ende nicht | |
gereicht. Aber beim nächsten Spiel wird alles anders. | |
Schnell geht es auch bei der CDU, nur aus dem umgekehrten Grund. Nahezu | |
gleichzeitig mit Müntefering geht Generalsekretär Ronald Pofalla vor die | |
Presse – und wagt mutige Prognosen. "Wir werden alles dafür tun, dass wir | |
die 40 Prozent plus x bei der Bundestagswahl haben", sagt er in der | |
Berliner Parteizentrale. | |
Allzu lange war die Partei in den Umfragen bei jenen als mager empfundenen | |
35 Prozent herumgedümpelt, die sie schon bei der letzten Bundestagswahl | |
erhielt. Pofallas Prognose ist auch deshalb gewagt, weil die unionstreuen | |
Rentner besonders verlässlich zu Europawahlen gehen. In der Altersgruppe | |
der über 60-Jährigen bekam die Union diesmal 48 Prozent. | |
Lauter als beim CDU-Ergebnis selbst ist der Jubel in der Parteizentrale | |
allerdings bei der Nachricht, dass die CSU den Wiedereinzug ins | |
Europaparlament schafft – und dass die SPD bei ihrem historisch schlechten | |
Ergebnis von 2004 verharrt. "Der Versuch der SPD, sich mit Steuergeldern | |
Wahlsiege zu erkaufen, ist nicht gut gegangen", sagt Fraktionschef Volker | |
Kauder erleichtert. | |
Drastischer formuliert es der Mittelstandspolitiker Michael Fuchs. | |
"Freibier für alle, das hat der SPD nicht geholfen." Die Angst, vom | |
Koalitionspartner mit dem Ruf nach immer höheren Staatshilfen getrieben zu | |
werden, ist damit erst einmal gebannt. Nicht dagegen die Furcht, die SPD | |
könne nach dem Debakel noch unberechenbarer agieren. Sie klingt durch, wenn | |
Kauder triumphierend sagt: "Bei der SPD sind die ruhigen Zeiten vorbei." | |
Nur warum man eigentlich verloren hat, das weiß die SPD-Spitze so wenig, | |
wie Trainer im Abstiegskampf es gewöhnlich tun. Am Engagement für die | |
Staatshilfe für Opel, sagt Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, hat es | |
nicht gelegen. In Europa, sagt Martin Schulz, fehle "die personale | |
Zuspitzung", deshalb habe man leider die Wähler nicht mobilisieren können. | |
"Niedrige Wahlbeteiligungen", so der SPD-Linke Karl Lauterbach zur taz, | |
schaden immer Parteien mit bildungsschwacher Klientel, weil "die am ehesten | |
zu Hause bleibt". Und alle schwören, dass sich aus dieser Europawahl | |
nichts, aber auch gar nichts für die Bundestagswahl herauslesen lässt. | |
Wahrscheinlich stimmt das meiste davon. Nur eine Erklärung für dieses | |
SPD-Ergebnis ist das nicht. Eher eine Beschreibung der Misslichkeiten, die | |
schon vorher bekannt waren. Vor ein paar Tagen glaubte die SPD-Spitze noch, | |
dass die Partei höchstens 10 Prozentpunkte hinter der Union landen würde. | |
Und dass die SPD diesen 7. Juni als Beginn der furiosen Aufholjagd von | |
Steinmeier gegen Merkel präsentieren könnte. | |
Die Union zieht unterdessen schon Konsequenzen. "Mit einem solchen Ergebnis | |
hat die SPD keinen Grund mehr, den EU-Kommissar zu beanspruchen", sagte | |
Kauder in Anspielung auf den koalitionsinternen Streit um den Brüsseler | |
Spitzenposten. Einen Namen nannte er allerdings noch nicht, zuletzt gab es | |
Spekulationen um den früheren Fraktionschef Friedrich Merz. Bei der SPD | |
hatte Spitzenkandidat Martin Schulz Anspruch auf den Posten erhoben. | |
Dass Union und FDP zusammen nun auf rund 49 Prozent der Stimmen kommen, | |
interpretierte Pofalla als Signal für eine "klare bürgerliche Mehrheit" | |
auch bei der kommenden Bundestagswahl – auch wenn die Zahl vor dem | |
Hintergrund des mageren SPD-Ergebnisses alles andere als glanzvoll ist. | |
Beruhigt sind die Christdemokraten vorerst über das CSU-Ergebnis. 48 | |
Prozent in Bayern – das ist genug, damit sich Parteichef Horst Seehofer | |
nicht mehr mit täglichen Querschüssen gegen Berlin profilieren muss, aber | |
wiederum nicht so viel, dass er übermütig werden könnte. | |
Warum ihre Strategie nicht aufgegangen ist, weiß die SPD wirklich nicht. | |
Der Wahlkampf war doch richtig – aggressiv für das soziale Europa. Die SPD | |
ist, anders als bei Beck, geschlossen aufgetreten. Sie macht, anders als zu | |
Schröder Zeiten, einigermaßen sozialdemokratische Politik. Steinmeier, der | |
Kandidat, wird nicht länger mit der Agenda 2010 assoziiert. | |
Das Problem: Er wird im Blick der Wähler mit gar nichts verbunden. 2004 hat | |
die SPD die Europawahl verloren, weil sie den richtigen Kanzlerkandidaten | |
hatte, der die falsche Politik machte. | |
Hat sie 2009 vielleicht deshalb verloren, weil sie die richtige Politik | |
macht, aber mit dem falschen Kandidaten? | |
8 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
R. Bollmann | |
S. Reinecke | |
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