# taz.de -- Zadie Smith neues Buch: Dir ganz nebenbei ins Ohr erzählt | |
> Zadie Smith "Buch der Anderen" bietet einen guten Überblick der Literatur | |
> aus den USA und England. Es ist der Sprecher, nicht die Sprache! | |
Bild: Die Geschichten in "Das Buch der Anderen" kommen oft daher, als ob sie ge… | |
Auf der Deckelrückseite steht "21 brandneue Stories!". 21 Stories, | |
wohlgemerkt, nicht etwa 21 Kurzgeschichten oder 21 Erzählungen. | |
Das mag daran liegen, dass es sich bei diesem Buch mit dem schönen | |
Comic-Schutzumschlag um ein angloamerikanisches handelt und dass die 21 | |
Geschichten im Buch der angloamerikanischen Tradition des Erzählens | |
verhaftet sind. Es sind 21 Stories und nicht 21 Geschichten. Andererseits | |
könnte man mutmaßen, dass es auch um Verkaufsargumente geht: "21 | |
Geschichten", das klänge lapidar oder irgendwie germanistisch; "21 | |
Erzählungen" klänge sich wichtig nehmend und nach hoher Literatur. Und das | |
will ja keiner, das verkauft sich ja nicht. | |
Kurzgeschichten verkaufen sich, glaubt man den Verlagen, ja eh nicht | |
besonders. Was erstaunlich ist. Die Kurzgeschichte ist nämlich in mehrerer | |
Hinsicht ein prima Format. Man kann sie im besten Fall in einem Rutsch | |
durchlesen. In Büchern wie diesem sind mehrere Kurzgeschichten mehrerer | |
AutorInnen versammelt, man kann also einen Autor, eine Autorin mal anlesen, | |
um danach entscheiden zu können, ob man es vielleicht mit einem Roman | |
dieser Autorin, dieses Autors versucht. Diese Anthologie hier zum Beispiel | |
bietet 21 verschiedene Arten des Erzählens, und dazu mindestens 21 | |
verschiedene Figuren! | |
Vorne auf dem Deckel steht "Das Buch der Anderen". So heißt es. Es heißt | |
nicht "Das Buch der anderen Leute", wie es getreuer übersetzt eigentlich | |
heißen sollte, weil es im englischen Original "The Book of Other People" | |
heißt. Die Leute sind weggefallen und mit ihnen die kleine Bedeutung, dass | |
das Buch nicht nur von ihnen handelt, sondern ihnen ein bisschen auch | |
gehört. | |
Die zugrunde liegende Idee, die Zadie Smith (bekannte und gute Autorin | |
mehrerer Romane, u.a. "Von der Schönheit") hatte, war einfach. Und ist | |
überzeugend. Zadie Smith gründete eine Organisation für den guten Zweck und | |
nannte sie "826 New York". Sie fragte SchriftstellerInnen ihrer Generation, | |
ob sie für das Buch, dessen Erlöse der Organisation zugute kommen, eine | |
Geschichte beisteuern können. Einzige Bedingung: Die Geschichte sollte sich | |
um eine Figur drehen und nach dieser Figur auch heißen. | |
Dem sind mehr oder weniger alle AutorInnen hier gefolgt. Insgesamt ist das | |
Buch gelungen. Es bietet einen guten Überblick über die junge erzählende | |
Literatur aus den USA, aus England und Irland. Es hat ein paar sehr gute | |
Geschichten. Es zeigt, wer oder was ein guter Storyteller ist und wer | |
nicht. Und nebenbei zeigt es, was einer der Unterschiede zwischen dem | |
Erzählen der Neuen Welt und dem Erzählen des Alten Europas, des Kontinents, | |
ist: In diesem Buch ist es der Sprecher, die Sprecherin, und nicht die | |
Sprache. Im Literaturverständnis der alten Welt ist es die Sprache, nicht | |
der Sprecher. | |
Mit anderen Worten: Die Geschichten in "Das Buch der Anderen" kommen oft | |
daher, als ob sie gerade vom Nachbarn in der Sitzgruppe vor dem offenen | |
Kamin live dir ins Ohr erzählt werden. Personale Erzählerposition kann man | |
das nennen. | |
Manchmal werden Stil und Sprache durch Alltagsfloskeln verhunzt, wie in der | |
Geschichte von George Saunders, der allzu gerne Ausrufe wie "Wow" in den | |
Text einbaut. Manchmal versucht sich eine Geschichte mit Vergleichen und | |
Wie-Konstruktionen ins Literarische zu retten: Jonathan Lethem beherrscht | |
diese Konstruktion, andere wie Edwidge Danticat beherrschen sie nicht. Die | |
besten Geschichten aber lassen das mit dem personalen Erzähler und sind in | |
Ich-Perspektive geschrieben. Oder sie experimentieren ein bisschen herum. | |
So verlegt sich Jonathan Safran Foer aufs Experiment und es gelingt; Nick | |
Hornby zieht sich dagegen halbherzig aus der Affäre. Die Geschichte von | |
Dave Eggers ist großartig, die von A.L. Kennedy ist seriös erzählt, aber | |
nicht mehr als okay. Zadie Smith und Jonathan Lethem schlüpfen in Rollen, | |
die man ihnen abnimmt; von A. M. Homes sollte man mehr lesen. Homes gibt | |
Dialoge von neureichen Tussen wieder, was sehr erhellend und vor allem sehr | |
lustig ist. | |
Die beste Geschichte, die so brandneu natürlich nicht ist, weil man sie aus | |
dem Buch "Zehn Wahrheiten" kennt, ist aber - man ist geneigt zu sagen: | |
natürlich - die von Miranda July. July zeigt, wie das geht, das Erzählen | |
wie nebenher, das aber dann doch Eindruck macht, und wie man von einer | |
Anekdote, einem Ausschnitt Realität, zum ganzen Großen, zum echten und | |
wahren Leben kommt. Eine Geschichte, die Kevin Spacey mal lesen sollte. Die | |
du mal lesen solltest. Und die ganzen anderen Leute auch. | |
Zadie Smith (Hg.): "Das Buch der Anderen". Aus dem Englischen von Henning | |
Ahrens, Ditte und Giovanni Bandini, Ingo Herzke, Marcus Ingendaay, Bernhard | |
Robben u.a. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 291 Seiten, 22,95 Euro | |
1 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
René Hamann | |
## TAGS | |
Roman | |
Franz Kafka | |
Schwerpunkt Occupy-Bewegung | |
USA | |
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