# taz.de -- Klima-Aktivisten vor Gericht: Anklageschrift aus dem Kaffeesatz | |
> In Kopenhagen werden zwei Klima-Aktivisten wegen Anstiftung zu Straftaten | |
> angeklagt, die nie stattgefunden haben. Zudem saßen sie zum fraglichen | |
> Zeitpunkt schon in U-Haft. | |
Bild: Die Polizei hatte nicht nur Angst vor Pappmaché-Bolzenschneidern, sonder… | |
STOCKHOLM taz | An Fantasie fehlt es der dänischen Justiz jedenfalls nicht. | |
In der vergangenen Woche begann in Kopenhagen der Prozess gegen die | |
Australierin Natasha Verco und den US-Amerikaner Noah Weiss. Beide sind im | |
Zusammenhang mit dem Klimagipfel im Dezember der Anstiftung zu Straftaten | |
angeklagt, die nie stattgefunden haben. Und an denen beide sich allein | |
schon deshalb nicht beteiligen konnten, weil sie von der Polizei in | |
vorbeugende Untersuchungshaft genommen worden waren. | |
Vor dem Klimagipfel hatte die dänische Polizei eine umfassende Lauschaktion | |
auf die Handys von Klimaaktivisten gestartet und dabei auch die Gespräche | |
und den SMS-Verkehr von Verco und Weiss abgehört und gespeichert. Daraus | |
versuchte die Polizei dann die Planungen für mögliche Aktionen | |
herauszufiltern. Am 15. Dezember, einen Tag vor Beginn der „heißen Phase“ | |
des Klimagipfels mit Anreise der meisten Politiker waren Verco und Weiss, | |
aktiv bei „Friends of the Earth“, festgenommen und erst am 4. Januar wieder | |
freigelassen worden. Die Anklageschrift wirft ihnen Anstiftung zu Gewalt | |
gegen Polizeibeamte und zu schwerer Störung der öffentlichen Sicherheit und | |
Ordnung vor. | |
„Wir haben in eine Kristallkugel geschaut und beschrieben, was hätte | |
geschehen können, wenn die Planungen verwirklicht worden wären“, erläuterte | |
Staatsanwältin Line Steffensen die Vorgehensweise der Anklagebehörde. Eine | |
so diffuse Anklage sei ihnen in ihrer Berufslaufbahn selten begegnet, | |
beteuerten Hanne Reumert und Steen Leonhardt Frederiksen, Verteidiger der | |
Angeklagten. „Angeklagt wird ja im Prinzip das, was die Polizei glaubt, | |
dass die Angeklagten drei Monate lang gedacht haben sollen“, sagt | |
Fredriksen: „Mit ihrem faktischem Handeln hat das überhaupt nichts mehr zu | |
tun.“ Und er fragt sich, wie die Staatsanwaltschaft beweisen will, welche | |
gewaltsamen Aktionen hätten stattfinden können – denn tatsächlich fanden | |
sie nicht statt. | |
Sie wurden verhindert, weil wir die Planungen kannten, meint die | |
Staatsanwältin. Und da das Gericht trotz grundsätzlicher Bedenken der | |
Verteidigung die Anklageschrift jedenfalls mit Einschränkungen zuließ, | |
dreht sich das weitere Verfahren gegen die 34- und den 27-Jährigen nun um | |
die Auslegung jedes Gesprächfetzens und jeder SMS, die die Polizei nicht | |
nur aus der Handykommunikation der beiden präsentiert. Auch was Dritte über | |
Verco und Weiss am Telefon äußerten, geht in die Anklage ein. Verco: „Warum | |
soll ich für etwas verantwortlich sein, was andere am Telefon erzählen?“ | |
Wie weit bei solch einer spekulativen Anklageschrift der Raum für | |
Auslegungen sein kann, zeigte sich gleich zu Beginn des Prozesses. Da ging | |
es um einen „großen Bolzenschneider“, über den zwischen den Aktivisten | |
ausführlich kommuniziert wurde. Verco und Weiss präsentierten dem Gericht | |
den Bolzenschneider: Mehr als drei Meter hoch und aus Pappmaché. Als Symbol | |
gedacht, mitzuführen auf einer Demonstration gegen die Behandlung von | |
Klimaflüchtlingen, die man in Asyllager einsperrt. | |
Die Angeklagten versprachen, auf alle einzelnen Unterstellungen, | |
Vermutungen und diffusen Annahmen der Anklageschrift, eine Antwort zu | |
haben. Dass das länger dauern würde, als die ursprünglich geplanten zwei | |
Verhandlungstage, sah das Gericht bald ein. Und vertagte das Verfahren erst | |
einmal auf Ende August. | |
22 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Klimaschutz-Bewegung in Deutschland: "Rock'n Roll ist nicht mehr" | |
Der Autor Daniel Boese hält deutsche Umweltaktivisten für provinziell, brav | |
und eitel. Er findet Im Ausland wird deutlich effektiver Druck gemacht. | |
Nach Protest beim UN-Klimagipfel 2009: Aktivisten freigesprochen | |
Während des Klimagipfels 2009 verhaftet, aber keine Beweise für Straftaten: | |
Zwei Umweltschützer wurden nun von einem Gericht in Kopenhagen | |
freigesprochen. | |
Debatte Weltklima: Miese Großwetterlage | |
Die Klimaschützer sind seit Kopenhagen in die Defensive geraten. Ein Teil | |
der Häme, die ihnen jetzt entgegen schlägt, ist durchaus verständlich. | |
Justiz: Berliner Lümmel vor Gericht | |
In Kopenhagen laufen mehrere Verfahren gegen Deutsche, weil sie bei den | |
Protesten gegen den Klimagipfel im vergangenen Dezember Straftaten vor | |
allem gegen Polizisten begangen haben sollen. | |
Aktivist Tadzio Müller zu Kopenhagen: "Die Polizei lernt voneinander" | |
Obwohl der Kopenhagen-Gipfel gescheitert ist, waren die Aktionen nicht | |
umsonst, sagt Mit-Organisator Tadzio Müller. Radikalere Aktivisten und NGOs | |
ziehen nun wieder stärker an einem Strang. | |
Nach Klimagipfel: Erster Lümmel freigesprochen | |
Aus Mangel an Beweisen ist der italienische Aktivist Luca Tornatore nach 30 | |
Tagen Untersuchungshaft in Kopenhagen entlassen worden. Seine Festnahme | |
nannte er "politisch motiviert". |