# taz.de -- Klimaschutz-Bewegung in Deutschland: "Rock'n Roll ist nicht mehr" | |
> Der Autor Daniel Boese hält deutsche Umweltaktivisten für provinziell, | |
> brav und eitel. Er findet Im Ausland wird deutlich effektiver Druck | |
> gemacht. | |
Bild: Australische Protestler machen ihren Job besser als die deutschen Kollege… | |
sonntaz: Herr Boese, wann waren Sie das letzte Mal wegen des Klimas auf der | |
Straße? | |
Daniel Boese: Ich war auf der "Silent Parade" in Berlin, am 24. September | |
dieses Jahres. | |
Wie viele waren dabei? | |
Rund 700 bis 800 Leute. | |
700 Leute? Die Kernthese Ihres Buches ist, dass wir gerade die Geburt der | |
größten Jugendbewegung aller Zeiten erleben. | |
Oje, da haben Sie mich erwischt. Das liegt an der speziell deutschen | |
Perspektive. Klimaschutz ist hier Mainstream, verwurzelt bis tief hinein | |
ins konservative Lager. Es ist kein wahnsinnig strittiges Thema - anders | |
als in den USA. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern eine okaye | |
Klimaschutzpolitik, die aber definitiv nicht ausreicht. Sie spiegelt eher | |
die Interessen der alten Industrien als das, was wissenschaftlich notwendig | |
ist. Ich glaube, dass es in Deutschland nötig ist, mehr Druck aufzubauen. | |
Aber große Umweltschutzorganisationen, die sich in dem Feld engagieren, | |
machen das auf eine sehr traditionelle Art und Weise. | |
Gilt das auch für junge Aktivisten aus Deutschland? | |
Ja. Das Problem der deutschen Klimaschutz-Jugendbewegung ist, dass die | |
Aktiven in den einerseits sehr starken und andererseits sehr festgefahrenen | |
Strukturen der Umweltverbände landen. Und die Eitelkeiten unter den | |
Jugendverbänden stehen den Eitelkeiten unter den großen Verbänden in nichts | |
nach. | |
Also sind das alles bloß kleine Vereinsmeier? | |
Das sind alles so Sachen, über die sie nicht so gerne reden. Die streiten | |
sich hinter den Kulissen auch darüber, wer wie viel Facetime mit dem | |
Minister bekommt. Die würden viel mehr bewegen, wenn sie eigene Kampagnen | |
machen würden, die offen sind für Nicht-Verbandsmitglieder und die | |
Konflikte angehen. Es muss jetzt um die harten Fragen gehen. | |
Sie sagen, die Klimabewegung sei internationaler und politischer als die | |
der 68er. Inwiefern? | |
An einem einzigen weltweiten Aktionstag haben Menschen aus 193 Ländern | |
teilgenommen. Das ist Graswurzelbewgung auf dem 2.0-Level. Weltweit machen | |
Leute mit und laden ihre Fotos bei Flickr hoch. Das ist dann doch noch mal | |
was ganz anderes als die auf die USA, England, Frankreich und Deutschland | |
fixierte 68er-Bewegung. | |
Und inwiefern bitte politischer? | |
Die müssen den Kampf mit den größten und reichsten Unternehmen weltweit | |
aufnehmen -der Kohle- und Ölindustrie. Und das nicht auf einer symbolischen | |
Ebene, sondern wirklich so, dass weltweit weniger Kohle und Öl genutzt | |
wird. Diese Unternehmen werden alle einen massiven Einnahme- und | |
Wertverlust haben. Ein knallharter Kampf, der nur funktionieren wird, wenn | |
die Bewegung politischer ist als die der 68er. Der Hedonismus dieser | |
Bewegung ist nicht so offensichtlich wie seinerzeit 68. Freie Liebe und | |
Rock n Roll sind nicht mehr drin. Das war, wenn man genau hinguckt, auch | |
viel Freiheit mit Hilfe von billiger Energie. | |
In Ihrem Klima-Buch führen Sie als Beispiel für eine lebhafte Bewegung in | |
Deutschland die Anti-Atom-Bewegung an. Gehört die auch zur jungen | |
Klimaschutzbewegung? | |
Es geht mir nicht um Purismus, es geht mir nicht nur um die Klimabewegung. | |
Klimawandel ist das große Zukunftsthema. Es geht um Engergieversorgung, | |
Katastrophenschutz, Nahrungsmittel, es geht um Wasser. Das heißt aber auch, | |
dass sie Anschlüsse in ganz viele Richtungen hat. Das heißt, dass man | |
hingucken muss, was in welchem Land relevant ist. Und in Deutschland kommen | |
Anti-Atom-Bewegung und Klimabewegung nicht aneinander vorbei. | |
Wo auf der Welt funktioniert denn die Klimaschutzbewegung schon? | |
Verschiedene Aktionen in den USA haben gezeigt, wie es gelungen ist, Druck | |
aufzubauen, die Fronten zu finden, an denen der Klimawandel heute schon | |
sichtbar wird. Was wir dagegen tun können und müssen: Protest gegen Kohle, | |
Landebahnen, Pipelines. Diesen Protest, der lokal besteht, in einen | |
globalen Kontext einzubauen - das hat in den USA gut geklappt bei den | |
Aktionen gegen die Keystone-XL-Pipeline oder in England beim Protest gegen | |
den Flughafenausbau in Heathrow. In Deutschland hat das noch nicht | |
geklappt. Der Protest ist noch lokal verwurzelt und noch nicht auf die | |
große politische Ebene gehoben worden. | |
Wollen Sie damit sagen, dass die deutsche Umweltschutzbewegung von gestern | |
ist? | |
Klimaschutz ist immer auch Umweltschutz. Der stärkste Unterschied zwischen | |
Klima- und Umweltbewegung ist der Zeitdruck. Klimaschutz bedeutet einfach | |
einen wahnsinnig großen Wandel bis 2015, spätestens 2018 hinzukriegen. Ab | |
dann müssen die CO2-Emissionen weltweit sinken. Davon sind wir noch weit | |
weg. Und das geht nur durch wesentlich größere Konfliktbereitschaft, mehr | |
politischen Druck - so wie in den USA. Ich glaube, das wird eine ganz große | |
Bewegung. | |
Warum? | |
Ich beschreibe im Buch den Anfang der Bewegung. Das ist noch keine | |
Erfolgsgeschichte. Der Grund für meine These ist: Wenn die Klimabewegung | |
nicht groß wird, dann wird sie dem Anliegen leider auch nicht gerecht. Das | |
übersteigt ein bisschen die Vorstellungskraft von dem, was man für normal | |
menschlich und möglich hält: Es geht um den weltweiten Umbau des | |
Energiesystems. Das ist eine Aufgabe, die ist eigentlich zu groß für diese | |
Bewegung. Die ist eigentlich zu groß für jede soziale Bewegung. | |
Unterschätzen Sie da nicht die Ignoranz der Menschen? | |
Es geht ja nicht darum, dass man neunzig Prozent zum Mitmachen bewegt, | |
sondern dass es eine kleine engagierte Masse von fünf Prozent gibt, die | |
sehr laut wird. In England, den USA und Australien ist die Klimabewegung in | |
der Lage, sehr pointiert Druck zu machen und sehr lautstark zu werden. Da | |
müssen wir auch in Deutschland hinkommen. | |
25 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Daniel Kummetz | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
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