Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Tricks der DDR: Kunstraub für den Sozialismus
> Der US-Deutsche Matthias Dietel kämpft um Kunstgegenstände seines Vaters,
> die sich die DDR vor 35 Jahren unter den Nagel riss. Eine Enteignung mit
> Methode im SED-Staat.
Bild: Ein Stück aus der Kunstsammlung des 1975 gestorbenen Erfurter Sammlers H…
ERFURT taz | Nur noch über den Juri-Gagarin-Ring, die Straße runter und
dann links. Matthias Dietel, bleibt vor einem Gründerzeitbau stehen.
Schillerstraße 32. "Hier ist das Haus, hier oben in der ersten Etage hat
mein Father gewohnt", sagt er in thüringisch-amerikanischem Deutsch. "Die
Wohnungstür ist noch die gleiche."
Matthias Dietel, 62, stand hier schon ein Mal. Am 5. Dezember 1975 war das.
Ein Freitagabend. Er war damals von den USA nach Erfurt gekommen, um sein
Erbe geltend zu machen. Drei Wochen vorher war sein Vater Heinz Dietel
gestorben, der Werbegrafiker und Kunstsammler war und eine der
bedeutendsten Privatsammlungen der DDR sein Eigen nannte.
Doch als Matthias Dietel an jenem Abend die Wohnung seines Vaters in der
Löbervorstadt betrat, waren die Holzkisten schon gepackt. Fertig zum
Abtransport ins Erfurter Angermuseum, als Ausgleich für eine angebliche
Steuerschuld. Es war der Schlusspunkt jahrelanger Schikanen durch die Stasi
und die berüchtigte Volkspolizei-Abteilung K 1.
35 Jahre später ist Matthias Dietel wieder von den USA nach Erfurt gereist.
Es geht immer noch um sein Erbe. Mindestens 77 Stücke seines Vaters
befinden sich nach wie vor in den Beständen des Angermuseums, laut
Stadtverwaltung sind es sogar 84. Es geht um Stücke wie die Limbacher
Porzellankaffeekanne aus dem 18. Jahrhundert, Inventarnummer VIII 339. Oder
den Nussbaum-Schrank, 16. Jahrhundert, VIII 289. Oder den Christus am
Ölberg, VIII 282.
Matthias Dietel und sein Anwalt Ulf Bischof sind sich sicher: Die DDR hat
sich diese Kunstgegenstände vor 35 Jahren unrechtmäßig angeeignet, durch
ein fingiertes Steuerverfahren. Viel spricht dafür, dass sie damit Recht
haben - trotzdem verweigert die Stadt Erfurt seit Jahren eine Rückgabe. Bis
heute. "Man ignoriert mich", sagt Dietel.
Dabei hatte die faktische Enteignung von Kunstsammlern in der DDR Methode.
Nach der Wende hat ein Untersuchungsausschuss des Bundestags die
sozialistische Variante des Kunstraubs aufgedröselt. "Waren Sammler von
Kunst und Antiquitäten in der DDR zunächst jahrelang unbehelligt geblieben,
gerieten sie zu Beginn der 70er-Jahre in das Blickfeld der Staatsorgane.
Grund waren die chronische Devisenknappheit der DDR und die massiven
Preissteigerungen auf dem Weltkunstmarkt", heißt es in einem 560-seitigen
Bericht des Untersuchungsausschuss vom März 1993. Und weiter: "Anlass für
die Zwangsmaßnahmen bildeten in der Regel angebliche Verstöße gegen
Steuervorschriften." So war es auch bei Heinz Dietel.
Die politische Polizei und die Staatssicherheit hatten es schon früh auf
den Sammler abgesehen. In einem Ermittlungsbericht über Heinz Dietel vom 2.
Juni 1964 schreibt ein Stasi-Leutnant der Abteilung II über ihn: "Er stammt
aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, ist in seiner ganzen Art sehr arogant
(sic!), überheblich und spielt sich bei seinen Hausbewohnern als Lebemann
auf".
Verdächtig war der Stasi auch, dass Dietels geschiedene Frau mit dem Sohn
Matthias wenige Monate vor dem Mauerbau über Westberlin "republikflüchtig"
wurde. Heinz Dietel lebte danach mit seiner neuen Partnerin zusammen. In
dem Stasi-Bericht heißt es: "Beide kümmern sich um nichts. Sie besuchen
keine Versammlungen, ihre Fenster zeigen an pol. Feiertagen keinen
Fahnenschmuck". Bei Geldsammlungen der Nationalen Front und der
Volkssolidarität zeichneten sie "grundsätzlich keine Beträge". Kurzum: ein
Klassenfeind.
Sohn Matthias wohnt zu dieser Zeit in Düsseldorf. Bis es ihn nach dem
Studium an die amerikanische Ostküste zieht, wo er bis heute in der
Kleinstadt Lynn bei Boston lebt. 1970 war das. Der Liebe wegen.
Zur selben Zeit gerät in der DDR der Vater ins Visier der
Volkspolizei-Abteilung K 1, die eng mit der Stasi zusammenarbeitete. Die K
1 observiert die Kunstsammler und Antiquitätenläden in Erfurt in der
Kriminalakte "Gold", so auch Heinz Dietel. Ende 1973 wird gegen Dietel ein
Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Diebstahl und Hehlerei
eingeleitet. Er landet ein knappes halbes Jahr in Untersuchungshaft, die
Vorwürfe werden am Ende aber fallen gelassen.
Doch die DDR-Behörden nutzen die Haftzeit, um Dietels Sammlung von
Ostasiatika, Glas, Porzellan, Silber, antiquarischen Möbeln und Münzen zu
inventarisieren und zu schätzen. Sie kommen auf einen Wert von 2.015.245
Mark. "Nicht nur einen ungewöhnlichen materiellen Wert, sondern auch eine
große nationale und sogar eine weit über den nationalen Rahmen
hinausgehende Bedeutung" attestierte den Stücken später der Direktor der
Skulpturensammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Als Heinz Dietel 1974 aus der Untersuchungshaft entlassen wird, setzen ihn
die Behörden dem nächsten Vorwurf aus: Steuerverkürzung. Der SED-Staat
wirft ihm vor, kein Sammler, sondern ein kommerzieller Kunsthändler zu
sein, was eine Nachforderung in Höhe von 1,2 Millionen Mark nach sich
zieht. Eine astronomische Summe.
Dietel sieht sich gezwungen, die Hälfte seiner angeblichen Steuerschuld,
rund eine halbe Million Mark, durch den Verkauf eines Teiles seiner
Sammlung an das Ankaufsgeschäft des Staatlichen Kunsthandels zu begleichen.
Die Stücke sind für den Export vorgesehen, sprich: für den "Bereich
Kommerzielle Koordinierung" von Alexander Schalck-Golodkowski, der durch
den Verkauf von Kunst im Ausland Devisen für die klamme DDR beschaffte.
Im November 1975 stirbt Heinz Dietel im Alter von 64 Jahren. Kurz darauf
kommt sein Sohn Matthias nach Erfurt. Als er am Abend vor dem Nikolaustag
die Wohnung des Vaters betritt, stehen die Kisten im ersten Stock schon
bereit, erinnert sich Matthias Dietel. "Was sind das für Kisten?", fragte
er. Die würden zur Begleichung von Steuerschulden ins Angermuseum gebracht,
wurde ihm gesagt.
Drei Tage später kamen die Lkws. Einer Übergabe an das Kunstmuseum hat
Matthias Dietel nie zugestimmt. Das war, auch nach DDR-Maßstäben, nicht
rechtmäßig, wie der Erfurter Stadtrat für Finanzen im Mai 1977 einräumte:
Hier sei "unberechtigt in die Erbmasse eingegriffen" worden.
Es gab in der DDR viele Fälle wie diesen. 150 bis 200 seien bekannt, sagt
Anwalt Ulf Bischof, der zu dem Thema promoviert hat. Einer der
drastischsten Fälle ist der von Dietels Bekanntem Peter Garcke, einem
Berliner Arzt und Kunstsammler. Auch er war von den DDR-Behörden kurzerhand
zum Händler erklärt worden. Sie warfen ihm Steuerhinterziehung in Höhe von
rund 2 Millionen Euro vor. Garcke starb im Frühjahr 1978 in
Untersuchungshaft, unter mysteriösen Umständen, wie es im Bericht des
Bundestagsausschusses von 1993 heißt.
Umso erstaunlicher, dass sich die Erfurter Kulturbürgermeisterin, Tamara
Thierbach von der Linkspartei, im Fall Dietel so unnachgiebig zeigt. "Ich
gehe davon aus, dass diese Dinge rechtmäßig im Angermuseum sind", sagte sie
Anfang des Jahres. Auch von Willkür der DDR-Behörden in dem Verfahren gegen
Heinz Dietel wollte sie nichts wissen: "Die Steuerschulden waren nicht
konstruiert, sie bestanden." Als der Fall öffentlich wurde, signalisierte
Thierbach immerhin Gesprächsbereitschaft.
Doch ein knappes halbes Jahr später ist Matthias Dietel ernüchtert. Er hat
in ein Restaurant am Erfurter Anger geladen, keine 500 Meter von dem Museum
entfernt, in dem die Sammlung seines Vaters lagert. Dietel sitzt im
Kaminzimmer, er trägt ein kariertes Sakko mit Einstecktuch.
"Man hat uns ein Entgegenkommen signalisiert, und nichts ist passiert",
sagt Dietel. "Ich bin sehr upset." Dabei wolle er überhaupt nicht die ganze
Sammlung seines Vaters mit in die USA nehmen. Es gehe ihm nur um einzelne
Erinnerungsstücke, den Großteil will er als Schenkung in Erfurt belassen.
Gerne würde man mit Kulturbürgermeisterin Thierbach noch mal über die Sache
reden. Doch die Linksparteipolitikerin will kein Gespräch, auch eine
Einsicht in die kompletten Inventarlisten wird der taz verweigert. Die
Begründung: "Laufendes Verfahren".
Bei ihrer Haltung, dass es in diesem Fall nichts rückzuerstatten gebe,
bleibt Thierbach aber. Schriftlich erklärt sie: "Die Stadt Erfurt vertritt
nach wie vor die Auffassung, dass Herausgabeansprüche nicht bestehen." Mit
welcher Begründung? Als es bei einem Festakt im Erfurter Rathaus doch zu
einem kurzen Treffen kommt, reagiert Thierbach schroff. "Es kann doch nicht
jeder kommen und sagen: Dieses oder jenes Kunstwerk gehört mir", entfährt
es ihr.
An diesem Samstag wird das Angermuseum nach fünf Jahren Sanierung
wiedereröffnet. Matthias Dietel ist nicht eingeladen.
11 Jun 2010
## AUTOREN
Wolf Schmidt
## TAGS
Museum
Kunst
Erich Honecker
## ARTIKEL ZUM THEMA
Umstrittenes Kulturgutschutzgesetz: Der Sammler als Anlagestratege
Das geplante Recht zum Kulturgutschutz wird weiter von Sammlern attackiert.
Grund genug zu fragen, ob sie Mäzene oder doch nur Anleger sind.
Novelle des Kulturgutschutzgesetzes: Ist das Kultur oder darf das weg?
Der neue Entwurf soll Kunst in Deutschland schützen. Doch die staatliche
Zwangsverwaltung könnte unangenehme Folgen haben.
Alexander Schalck-Golodkowski ist tot: Der Mann mit dem Westgeld
Seine Macht war klein und überdimensioniert. Mit Schalck-Golodkowski stirbt
ein Händler zwischen den Systemen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.