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# taz.de -- Debatte Afghanistan: Außen vor
> Die Wikileaks-Dateien zeigen: Es gibt zwei Kriege am Hindukusch – einen
> offiziellen und einen geheimen. Der Letztere hat kein deutsches Mandat.
Bild: Als Militäranalyst im Irak hatte Manning Zugriff auf geheime Netzwerke.
Ein pakistanischer General gibt Aufständischen um den afghanischen
Altfundamentalisten Gulbuddin Hekmatjar Tipps, wie man Raketen auf den
Flughafen von Bagram abschießt. Paschtunische Islamisten, die in Kabul in
der Regierung von Präsident Karsai sitzen, halten Kontakt zu Hekmatjar.
Tadschikische und usbekische Warlords bauen eigene Milizen gegen die -
ebenfalls paschtunischen - Taliban auf und werden dabei von der US-Armee
unterstützt. Währenddessen führen Spezialkommandos wie die Task Force 373
geheime Operationen durch, die von unbekannten Planungsstäben im Pentagon
angeordnet werden und an den offiziellen Mandaten von Isaf und "Operation
Enduring Freedom" vorbeigehen.
Was jetzt dank Wikileaks aus den Geheimakten der US-Armee öffentlich
geworden ist, zeigt: In Afghanistan gibt es nicht einen Krieg, es gibt zwei
Kriege. Der eine ist für die Öffentlichkeit im Westen bestimmt: Es ist der
militärisch geschützte Wiederaufbau und der Kampf gegen den Terror, den die
Parlamente der beteiligten Nationen regelmäßig aufs Neue absegnen. Er dient
dem Schutz universeller Menschenrechte, wie Außen- und
Verteidigungspolitiker gern beteuern. Der andere findet jenseits jeder
parlamentarischen Überwachung statt. Dessen Strategen setzen auf
innerafghanische Konflikte, um deren Akteure langfristig gegeneinander
auszuspielen. Es ist das klassische "Teile und herrsche".
Zwei parallele Kriege
Die Militärs des ersten Kriegs unterstützen die des zweiten. Sobald
US-Spezialkräfte mit unbekannter Agenda auf Flugplätzen der Bundeswehr
einschweben, verlangen und erhalten sie logistische Hilfe. Dabei gibt es
nur ein Problem: Deutsche Soldaten sind an parlamentarische Beschlüsse
gebunden. Der Auftrag, den die Bundeswehr bekommen hat, sieht nicht vor,
der US-Armee bei geheimnisvollen Operationen zur Hand zu gehen, deren
Informationsbasis, Ziele und Mittel unkontrollierbar sind.
"Assistance Force" bedeutet, auf Anfrage aus Kabul zu assistieren. Die
afghanische Regierung um Hamid Karsai mag unseriös sein, doch das steht auf
einem anderen Blatt. Operationen an der afghanischen Regierung vorbei darf
es laut Isaf-Mandat eigentlich nicht geben. Ruprecht Polenz, CDU,
Vorsitzender des auswärtigen Bundestagsausschusses, wies unlängst den
Vorwurf zurück, Deutschland könne der US-Armee womöglich bei Operationen
helfen, die durch das Mandat nicht abgedeckt sind. Die Bundeswehr, so
konstatierte er erfreut, werde ja in solche Operationen nicht mit
einbezogen oder im Vorfeld darüber aufgeklärt. Er schloss daraus: "Wer
nicht informiert wird, assistiert auch nicht. Der ist dann ja im Grunde
außen vor."
Strategie des 21. Jahrhunderts?
"Außen vor" - damit kann man sich zwar juristisch absichern. Die Formel
beschreibt aber einen unhaltbaren Zustand. Wenn man bei vielen von dem, was
die Verbündeten so tun, einfach wegschaut, damit man nicht zum Mitwisser
wird, bringt man ihnen viel Vertrauen entgegen. Darf man das?
Vieles spricht dafür, dass der zweite Krieg längst das Primat über den
ersten Krieg - und dessen Kommandeure damit das Primat über die Politik -
erlangt haben. General Petraeus verbohrt sich zusehends in die
Aufstandsbekämpfung. In populär gehaltenen Enthüllungsbüchern, die mit der
mangelnden Kriegsfähigkeit der Bundeswehr ins Gericht gehen, wird diese
Strategie als Konzept der Zukunft gepriesen. Die Deutschen müssten sie
endlich auch anwenden, fordern Autoren wie Julian Reichelt, Jan Meyer und
Marc Lindemann: Anderenfalls verpasse man den Sprung in die Strategie des
21. Jahrhunderts.
In der Tat hat Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency, kurz Coin genannt)
Erfolge gezeitigt. Allerdings nur taktische: Sie hielten meist gerade lange
genug an, damit Kolonialmächte ihre Truppen abziehen und dem angerichteten
Scherbenhaufen den Rücken kehren konnten. Die Muster "erfolgreicher"
Aufstandsbekämpfung, die in den neuen US-Feldhandbüchern erwähnt werden,
sprechen Bände. Ihre Orte lauten: Französisch-Indochina, Algerien, Vietnam
und zuletzt Irak.
Dessen Beispiel liefert in den Augen vieler US-Militärs die Blaupause für
den Krieg in Afghanistan. Dort ist die Idee eines Staatsaufbaus durch das
Konzept der "Stabilität" ersetzt worden. Die Folge ist, dass sich jeder
Bewohner dieses Landes mit Leib und Seele dem jeweiligen Stammesfürsten,
Milizen- oder Schiitenführer, der über seinen Distrikt herrscht,
unterwerfen muss.
Nicht reif für die Demokratie
Kulturell einfühlsame Politiker und die erwähnten Buchautoren legitimieren
diese Doktrin, indem sie argumentieren, Iraker und Afghanen seien ohnehin
nicht für die Demokratie geeignet. Besser wäre es, wenn sie sich auf ihre
ureigenen Traditionen besännen und sich ihren traditionellen Führern
unterordneten, seien es Geistliche oder Stammeschefs. Solche starken Männer
könnten dem Westen dann verlässlichere Ansprechpartner sein als "kulturell
entwurzelte" Demokraten - jedenfalls so lange, bis die Afghanen in
vielleicht 100 oder 200 Jahren "reif genug" für die Demokratie wären.
Einen solchen Kurs schlägt die US-Armee jetzt ein, indem sie die Milizen
der alten Nordallianz aufrüstet und deren Führer gegen Hamid Karsai und
dessen Bündnis mit paschtunischen Fundamentalisten ausspielt. Ist das ein
Konzept für das 21. Jahrhundert? Nicht im Ernst. Wer aber wie im Jahr 1890
denkt, sollte nicht vergessen, wohin dies geführt hat: zu Staaten ohne jede
Zivilgesellschaft und zu jenem latenten oder aggressiven Fundamentalismus,
den man mit Auslandseinsätzen immer wieder glaubt bekämpfen zu müssen. Die
Katze beißt sich in den Schwanz.
Die Schlussfolgerung kann eigentlich nur lauten: "Außen vor sein" reicht
nicht. Die Politik sollte sich vom Militär wieder die Lufthoheit
zurückholen. Militärs sind keine Heilsbringer, sie haben der Politik zu
dienen. Wenn sie an erteilten Mandaten vorbei agieren, müssen sie gestoppt
werden. Oder die Bevölkerung muss ihnen ein anderes Mandat erteilen.
Liebe Aufstandsbekämpfer, eine Frage: Halten Sie nur die Afghanen für
ungeeignet für die Demokratie? Oder uns am Ende auch schon?
28 Jul 2010
## AUTOREN
Marc Thörner
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