# taz.de -- Stuttgart-21-Architekt über Proteste: "Das ist fahrlässige Meinun… | |
> Christoph Ingenhoven entwarf den Bahnhof, gegen den fast eine ganze Stadt | |
> rebelliert. Im Protest gegen das größte Bahnprojekt Deutschlands sieht er | |
> einen antimodernen Reflex. | |
Bild: Gehört er zu einer kleinen, militanten Gruppe? Demonstrant gegen Stuttga… | |
taz: In Stuttgart ketten sich Menschen an Bauzäune, blockieren Bagger und | |
besetzen Teile des alten Kopfbahnhofes. Und alles nur, um den Bau des neuen | |
Bahnhofs zu verhindern, den Sie entworfen haben. Sind Sie der Buhmann einer | |
ganzen Stadt? | |
Christoph Ingenhoven: Nein. Die meisten der profilierten Gegner des | |
Projektes verhielten sich unserer Arbeit gegenüber bisher eher respektvoll. | |
Was denkt man, wenn der eigene Entwurf als "Pickel der Moderne" bezeichnet | |
wird? | |
Ach Gott. Wenn ich Kritik nachvollziehen kann, rede ich gern darüber. Aber | |
das ist einfach nur indiskutabel. Wir haben für den Entwurf dutzende | |
internationale Auszeichnungen bekommen. | |
Sind die Stuttgarter Provinzheinis, die einfach nicht verstehen, was Sie da | |
planen? | |
Die Stuttgarter sind nicht alle Gegner des Projekts. Es gibt eine kleine, | |
militante Gruppe, die den Bahnhof besetzt, dahinter eine größere Gruppe von | |
Demonstranten. Das sind meistens nette, normale Bürger, die, um es | |
vorsichtig zu sagen, der älteren Generation angehören. Die bekämpfen den | |
Bahnhof in einem Stellvertreterkampf, weil sie keine Veränderung wollen. | |
Der ganze Aufruhr wegen eines Reflexes gegen Neues? | |
Der Protest will den alten Kopfbahnhof von Paul Bonatz erhalten. Angeblich | |
war Bonatz ein Vertreter der beginnenden Moderne. Das ist falsch. Er war | |
ein Gegner der berühmten Weißenhof-Siedlung in Stuttgart, das in den | |
Zwanzigerjahren sicher weltweit bedeutendste Beispiel eines | |
avantgardistischen Architekturexperiments. Bonatz war also eher ein | |
Antimoderner. | |
Woran machen Sie das fest? | |
Sein ganzer Kopfbahnhof mit den riesigen Bögen hat eine ungewöhnliche | |
Monumentalität, stilistisch ein Rückgriff auf die Ritterburg. Die gleiche | |
antimoderne Haltung kann man zum Teil in dem Protest ablesen. Er ist Teil | |
einer älter werdenden Gesellschaft. Die will erhalten, nicht verändern. | |
Sie stellen den Protest dar, als würden da nur ein paar reiche Rentner | |
rummeckern. Tatsächlich sind aber auch sehr viele junge Menschen dabei, in | |
Umfragen ist die Mehrheit gegen Stuttgart 21. | |
Das sind doch Märchen. Fakt ist, dass lange Zeit eine Mehrheit dafür war. | |
Lesen sie mal die Blogs im Internet, da gibt eine ziemliche | |
Ausgeglichenheit zwischen Gegnern und Befürwortern: Handwerker, | |
Architekten, Dienstleister, Bauarbeiter, die wollen es, aber gehen nicht | |
auf die Straße. | |
Warum denn nicht? | |
Als pensionierter Lehrer kann mir eine Flughafenanbindung, das europäische | |
Schnellbahnnetz oder die konjunkturelle Entwicklung egal sein, weil ich | |
ohnehin meine Rente bekomme. Aber ich kann nicht so tun, als sei ich | |
moralisch im Recht. Es ist 13 Jahre mit Unterbrechungen geplant worden und | |
von der Frischluftzufuhr bis zu den Mineralquellen der Stadt alles | |
berücksichtigt. Es sind 11.500 Einsprüche abgehandelt worden, es wurden | |
Entschädigungen gezahlt, es gab gewonnene Gerichtsverfahren und | |
parlamentarische, zustimmende Entscheidungen auf allen Ebenen. Nur die | |
Grünen sind dagegen. Da muss man sagen: Leute, ihr kommt mit eurem | |
Kopfbahnhof zu spät, er ist fast genauso teuer und alle Nachteile bleiben | |
Stuttgart erhalten. Also was soll das? | |
Sind sie von der politischen Diskussion genervt? | |
Die letzten sechs Jahre habe ich mich eher zurückgehalten, man hätte damals | |
auch keine klare Projektperspektive gehabt. Jetzt mische ich mich wieder | |
ein, weil ich nach wie vor gut und richtig finde, was wir da bauen und es | |
erklären kann. | |
In ganz Deutschland gab und gibt es Skepsis gegenüber ähnlichen | |
Großprojekten, etwa gegen den Hauptbahnhof in Berlin oder gegen die | |
Elbphilharmonie. Wie kann man architektonisch auf diese Skepsis antworten? | |
Wir bauen nicht blind Großprojekte, wir machen dezidiert zeitgenössische | |
Architektur. Das sind doch Projekte, die aus Notwendigkeiten, | |
Strukturveränderungen, städtebaulichen Erwägungen und vielem anderen mehr | |
geplant werden. In Berlin ist aus der ewigen Diskussion um Stein oder Glas | |
eine sehr historisierende Architektur herausgekommen. Das entsetzt mich | |
zutiefst. Warum bedienen sich Menschen alter Stile? Um es etwas heimeliger | |
zu haben? Das ist fahrlässig und bequem. Das heißt, sich mit den Problemen | |
und Formen und auch den Möglichkeiten seiner Zeit nicht auseinandersetzen | |
zu wollen, denn dazu müssten wir uns anderer Materialien und Techniken | |
bedienen. Diese Skepsis ist für mich eine Art den, eigentlichen Themen aus | |
dem Weg zu gehen. | |
Ist das typisch deutsch? | |
In Deutschland ist nach dem Krieg enorm viel gebaut worden. Und wer viel | |
tut macht auch Fehler. Den Leuten hing die Zunge raus, überall Neues. Heute | |
entsteht langsam Verständnis für die Fünfzigerjahre-Architektur und sie | |
wird unter Denkmalschutz gestellt. Vielleicht muss Architektur ein gewisses | |
Alter erreichen, um in der Öffentlichkeit als schätzenswert zu gelten. | |
Die Architektur der Moderne will, dass sich die Form am Nutzen orientiert. | |
Die meisten unabhängigen Experten sagen: Der neue Stuttgarter Bahnhof wird | |
schlechter sein als der alte. Insofern bauen sie repräsentativ und | |
anti-modern. | |
An dem Projekt arbeiten die besten Ingenieure, Berater und Spezialisten. | |
Jetzt kommen Leute daher und sagen mal eben, dieser Bahnhof leistet nichts. | |
Das ist doch fahrlässige Meinungsmache. Das entbehrt jeder Grundlage. | |
Jetzt drehen sie die Argumentation der Gegner einfach um: Manche sprechen | |
von einer "Stuttgart 21 Mafia" und sagen, die Bahn und die Politik schönt | |
und kauft Studien. | |
Da muss man eigentlich jeden Kommentar ablehnen. Das ist für mich nicht die | |
geeignete Diskussionsebene. | |
Die Gegner sind unter anderem der Verkehrsclub Deutschland, Pro Bahn und | |
der BUND. Selbst der Bundesrechnungshof sagt: Der Bahnhof wird teurer als | |
geplant. Alles Meinungsmache? | |
Die Aussage über die Kostenerhöhung, 13 Jahre nachdem mit der Planung | |
begonnen wurde, ist ja erst mal nicht völlig falsch, nur was daraus gemacht | |
wird, ist Unsinn. | |
Die Kosten sind ständig gestiegen, von offiziell 2,5 Milliarden auf 4,1 | |
Milliarden heute. Können Sie verstehen, dass die Leute sauer sind? | |
Diese sogenannten Kostenexplosionen sind doch Märchen! Warum sind die Leute | |
so überrascht davon? Das Projekt hat insgesamt eine Komplexität, die ja | |
nicht kleiner geworden ist. | |
Bahnchef Rüdiger Grube kam intern auf 4,9 Milliarden, und will jetzt | |
kräftig sparen. Wo mussten Sie denn abspecken? | |
Es gab keine Abspeckrunde. Was es gibt, sind Veränderungen aufgrund | |
veränderter Vorschriften und fortschreitender technischer Erkenntnisse | |
sowie normale Anpassungen im Laufe der Ausführungsplanungen, wenn dabei | |
Kosten gespart werden können, tun wir das wie in jedem anderen Projekt! | |
Bereits 18.000 Menschen haben sich als "Parkschützer" registriert und | |
wollen verhindern, dass im Schlosspark wegen des Neubaus 283 alte Bäume | |
gefällt werden. Verstehen Sie das? | |
Die Bäume sind natürlich ein emotionales Thema. Ja, es werden welche | |
gefällt. Und dann durch eine wesentlich höhere Zahl ersetzt, das scheint | |
die Gegner nicht zu irritieren. Keine Frage, die nächsten 10 Jahre wird es | |
erst mal nicht so schön aussehen, danach umso besser. Aber vor dem | |
Hintergrund hätte der württembergische König den Schlosspark nie anlegen | |
dürfen, denn dafür musste auch bestehende Vegetation weichen. | |
Dass sie mit dem Bonatz-Bau ein denkmalgeschütztes Gebäude beschneiden, | |
stört Sie nicht? | |
Was die Stuttgarter als ihren Bahnhof bezeichnen, das wird ja alles | |
erhalten: Die Halle mit ihren einfachen Raumfolgen, die ist durchaus | |
großartig und sogar so nachhaltig, dass wir sie in dieser völlig | |
veränderten Lage immer noch verwenden können. Was wir abreißen, ist eine 13 | |
Meter hohe Verkleidung der in Hochlage befindlichen Gleise, die | |
verschwinden ja. Ich weiß, man zahlt einen Preis für den neuen Bahnhof, | |
aber es lohnt sich. Sie werden sehen! | |
12 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Proteste gegen "Stuttgart 21": Baugelände zeitweise besetzt | |
Am Montagabend überwanden Hunderte Gegner des Megaprojekts den Bauzaun. | |
Nicht alle Aktivisten waren damit einverstanden. Und die Polizei will nun | |
ihr Verhalten ändern. | |
Reaktion auf Stuttgart 21-Architekten: "Wir sind keine Ewiggestrigen" | |
Gegner des Projekts wehren sich gegen Vorwürfe das Architekten, sie wollten | |
einfach nur "keine Veränderung". Der Abriss des alten Bahnhofs beginnt. | |
Stuttgart 21: Abriss hat begonnen | |
Freitagmorgen rollte am Stuttgarter Bahnhof ein Bagger an. Das Vordach des | |
Nordflügels wurde abgerissen. Spontan versammelten sich Demonstranten. | |
Kommentar Stuttgart 21: Radikale Ignoranz | |
Das Mantra in der Stuttgarter Presse: Die Schwaben dürften sich nicht | |
gemein machen mit Radikalen, Autonomen und Chaoten. Das Problem ist nur: | |
Die gibt es in Stuttgart gar nicht. | |
Werner Wölfle über "Stuttgart 21": "Der Bahnhof ist unsere Identität" | |
Werner Wölfle (Grüne), Galionsfigur der Proteste gegen den neuen Bahnhof, | |
über Steuergeschenke an die Deutsche Bahn und die Minderwertigkeitskomplexe | |
von Politikern. | |
Großdemo gegen Stuttgart 21: "Das Volk soll entscheiden" | |
Demonstranten besetzen kurzzeitig die Gleiszugänge des Stuttgarter | |
Hauptbahnhofs. Sie fordern den Stopp von "Stuttgart 21" und den Rücktritt | |
des Oberbürgermeisters. | |
Stuttgart 21: Das wären die Alternativen | |
Im Schwabenland wächst der Widerstand gegen das Mammutprojekt "Stuttgart | |
21". Doch was wäre eigentlich die Alternative? Das hier. |