# taz.de -- Werner Wölfle über "Stuttgart 21": "Der Bahnhof ist unsere Identi… | |
> Werner Wölfle (Grüne), Galionsfigur der Proteste gegen den neuen Bahnhof, | |
> über Steuergeschenke an die Deutsche Bahn und die | |
> Minderwertigkeitskomplexe von Politikern. | |
Bild: Tausende kamen am Sonnabend zur Großdemo gegen das Bauprojekt. | |
taz: Herr Wölfle, seit wann sind die Grünen gegen die Bahn? | |
Werner Wölfle: Wir sind nicht gegen die Bahn, wir sind für eine vernünftige | |
Bahn. "Stuttgart 21" verbessert den Schienenverkehr nicht, es | |
verschlechtert ihn. | |
Warum? | |
Weil der neue Durchgangsbahnhof weniger Kapazität haben wird als der | |
jetzige Kopfbahnhof. Und da alles von einer Tunnelstrecke abhängt, kann ein | |
einziger Störfall den gesamten Verkehr lahmlegen. | |
Die Deutsche Bahn plant "Stuttgart 21" seit Jahren. Warum vertrauen Sie ihr | |
nicht? | |
Stuttgart-Ulm wird fast ausschließlich aus Steuergeldern finanziert - ein | |
Geschenk an die DB. Ihre Berechnungen sind geschönt und auf die paar | |
Vorteile reduziert, die der neue Bahnhof bringt. Die Nachteile wurden | |
komplett ausgeblendet. Jetzt kam ans Licht, dass das Land eine Studie über | |
Kapazitätsengpässe beim neuen Bahnhof zwei Jahre unter Verschluss hielt. | |
Das Land sagt dazu: Es war eine Studie über Schwachstellen, die jetzt alle | |
beseitigt sind. | |
Das glaube ich nicht. Die Verkehrsministerin hat doch erst reagiert, als | |
wir die Studie ins Netz stellten. | |
Warum sollte der Bund, die CDU, SPD und FDP im Land samt Bahn wider | |
besseres Wissen ein völlig nutzloses Projekt bauen? | |
Ich weiß es nicht. Vermutlich sind sie getrieben von einem | |
Minderwertigkeitskomplex. Früher brauchten große Fürsten große Denkmäler, | |
heute sind die Bedürfnisse der lokalen Fürsten etwas kleiner. | |
CDU-Innenminister Heribert Rech hat in einer Landtagsdebatte zu mir mal | |
gesagt: Beim Schloss von Versailles hat man auch nicht gefragt, was es | |
kostet. | |
Das klingt nach einer Verschwörungstheorie der Selbstsüchtigen. | |
Das klingt, als hätte man vor 15 Jahren etwas aufs Gleis gesetzt und nicht | |
berücksichtigt, dass sich die Welt veränder wird. Ein Kopfbahnhof sei nicht | |
zeitgemäß, hieß es damals, weil unsere Züge nicht wenden können. Heute ist | |
das kein Problem mehr. Aber wir haben viel mehr Fahrgäste, und für sie ist | |
ein Kopfbahnhof mit mehr Gleisen deutlich besser geeignet. | |
Es werden Flächen frei, die der CDU-Oberbürgermeister in ein ökologisches | |
Stadtviertel umwandeln will. Freut sich da ein Grüner nicht? | |
Wolfgang Schuster ist bekannt für Überschriften. Was bisher in seiner Ära | |
gebaut wurde, sind leblose Bankenviertel. | |
Immerhin hat die Stadt die frei werdenden Flächen gekauft, um sie selbst zu | |
entwickeln. | |
Da haben wir zugestimmt, um so zu verhindern, dass die Bahn nur auf Rendite | |
schielt. Auch bei unserem Gegenkonzept würden große Flächen frei. | |
Allerdings sofort und nicht erst in 15 oder 20 Jahren. Außerdem zerstören | |
wir nicht einen großen Teil unseres Schlossparks und lassen 250 uralte | |
Bäume fällen. An ihrer statt bekommen wir einen größere S-Bahn-Station mit | |
ein paar Bullaugen oben drauf. Ich wette, die fallen auch noch dem | |
Sparzwang zum Opfer. Der alte Bahnhof von Paul Bonatz ist für die | |
Stuttgarter ein Stück Geschichte. Am Bahnhof und im Park daneben | |
kristallisiert sich unsere Identität heraus. | |
Wegen ihrer Identität ketten sich Menschen an Bauzäune? | |
Der Bahnhof ist das emotionale Symbol, das jeder Widerstand braucht. | |
Grundlage sind aber sehr rationale Argumente. | |
Auch Ihr Kopfbahnhof würde 2,5 Milliarden Euro kosten. Bisher gibt es nur | |
eine Ideenskizze. Aber Sie tun so, als könnten die Bauarbeiten morgen | |
beginnen. | |
Das behaupten wir nicht. Wir sagen nur, dass es Alternativen gibt, die man | |
ebenfalls durchrechnen und planen muss. Was können wir dafür, dass die Bahn | |
seit 20 Jahren nichts mehr in den alten Bahnhof steckt? Zudem kann man | |
"Stuttgart 21" erst nutzen, wenn in 15 bis 20 Jahren alles komplett fertig | |
ist - inklusive der ICE-Strecke nach Ulm, deren jüngste Kostenexplosion von | |
2 auf 2,8 Milliarden noch niemand finanziert hat. Bei uns würde sich jeder | |
investierte Euro sofort in höheren Kapazitäten und kürzen Fahrzeiten | |
niederschlagen. | |
Sie gelten als aussichtsreicher Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl im | |
Jahr 2012. | |
Ob ich 2012 kandidiere, ist noch lange nicht entschieden. Zuerst ist mal | |
Landtagswahl. Aber ich wehre mich gegen den Vorwurf, wir wollten nur Wahlen | |
gewinnen. Tatsächlich haben wir jetzt eine einmalige Chance zu gewinnen, | |
weil wir die Stadt nicht wie die CDU als Firma betrachten. Bei den letzten | |
beiden Wahlen waren SPD und Grüne zerstritten und haben so einen Wechsel | |
verhindert. Ich arbeite daran, dass sich der Fehler nicht wiederholt. | |
8 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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