# taz.de -- Datenschutz-Debatte: Die Transparenz der Anderen | |
> Transparent sollen immer nur die Anderen sein. Ob bei Street View oder | |
> der Piratenpartei: Viele Netzaktivisten fordern Offenheit und Datenschutz | |
> zugleich – ein Widerspruch. | |
Bild: Verpixelte Gesichter – muss soviel Datenschutz wirklich sein, fragt Mic… | |
Die netzpolitische Szene hat ein Problem. Datenschutz und Transparenz waren | |
schon immer ihr Anliegen - Themen, für die sie auch am Samstag auf der | |
"Freiheit statt Angst"-Demonstration in Berlin eintreten wird. Doch gerade | |
jetzt, wo diese Themen dank Wikileaks und Google Street View auch in der | |
gesamtgesellschaftlichen Debatte ankommen, wird klar, wie widersprüchlich | |
diese Forderungen sind. Und schon immer waren. | |
Denn einerseits ist der Computer ein mächtiges Werkzeug der Partizipation | |
und Meinungsfreiheit des Privatmenschen. Und andererseits ist da die Angst | |
vor dem Missbrauchspotential des Computers in den Händen des Staates als | |
Kontrollinstrument für den Einzelnen. Die Sicht auf die Verarbeitung von | |
Daten ist seit langem zwiegespalten: Wo sie der Zivilgesellschaft Vorteile | |
verschafft, wird sie bejubelt und eingefordert. Wo sie von den staatlichen | |
- und neuerdings privatwirtschaftlichen - Stellen genutzt wird, wird sie | |
verdammt und soll eingeschränkt werden. | |
Als der Berliner Polizeichef im Vorfeld der "Freiheit statt Angst"-Demo | |
ankündigte, dass Polizisten dort Videoaufnahmen machen werden, obwohl ein | |
Gericht das anlasslose Filmen verboten hat, war das Geschrei auf Seiten der | |
Datenschützer groß. Andererseits wurden die Demoteilnehmer vom Chaos | |
Computer Club aufgerufen, ihre Kameras mitzubringen, um eventuelle | |
Polizeiübergriffe dokumentieren zu können - wie im vergangenen Jahr | |
geschehen. Natürlich solle man im Fall des Falles die Gesichter der | |
Demonstranten verpixeln, bevor man das Material online stellt - nicht aber | |
die der Polizisten. Transparenz für die einen, Datenschutz für die anderen. | |
Bei der Piratenpartei stritt man unlängst über ein neues internetgestütztes | |
Demokratiewerkzeug namens "Liquid Feedback", das für die Bundespartei | |
eingeführt werden sollte. Es ermöglicht jedem Parteimitglied einerseits bei | |
der Meinungsbildung vollumfänglich repräsentiert zu sein, aber gleichzeitig | |
Entscheidungen in Themengebieten, die nicht im eigenen Interessenfokus | |
liegen, völlig frei an irgendeinen Parteifreund seines Vertrauens zu | |
delegieren. Die Software soll auch die sonst übliche "Hinterzimmerpolitik" | |
für alle nachvollziehbar machen und geht damit einen weiten Schritt in | |
Richtung einer der Hauptforderung der Piraten: nach einer transparenten | |
Politik. Und sie verstößt gleichzeitig gegen eine andere Hauptforderung der | |
Piraten: den Datenschutz. | |
Um beiden Anforderungen gerecht zu werden, diskutierte man darüber, eine | |
klare Grenze einzuführen: die zwischen Mandatsträger, also "echtem | |
Politiker" (soll transparent sein) und einfachem Parteimitglied (soll | |
vollen Datenschutz genießen). Also ebenjene Grenze, die man mit Liquid | |
Feedback doch eigentlich auflösen wollte. | |
Auch im Zuge der Debatte um Google Street View kam die Idee auf, Konzerne | |
und Unternehmen gesetzlich einen Sonderstatus zu verpassen, was die Nutzung | |
des öffentlichen Raums angeht. Um den normalen Menschen die | |
Panoramafreiheit zu erhalten und gleichzeitig den Konzernen zu verbieten, | |
die Häuser zu fotografieren, wären manche bereit, die "Straßenneutralität" | |
zu beenden. Grenzen, Sonderregelungen und Diskriminierung als die neuen | |
Wegmarken zur Freiheit? | |
Denn transparent soll immer nur der andere sein. Der Staat, nicht der | |
Bürger, der Geschäftsmensch nicht der Privatmensch, der Profi, nicht der | |
Amateur. Und gleichzeitig verschwinden genau diese Grenzen, soll Politik | |
mehr von Bürgern gemacht werden, machen Amateure den Profis Konkurrenz. | |
Schunkeln sie jetzt, aber bitte nur jeder zweite. | |
Es wird Zeit, dass sich die Netzszene offen mit ihren inneren Widersprüchen | |
auseinandersetzt. Dass sie einsieht, dass Transparenz keine Einbahnstraße | |
sein kann. Dass sie bei ihrem Differenzierungswahn bedenkt, dass man im | |
Zweifel einem anderen ein anderer ist, auf dessen Transparenz dieser ebenso | |
ein Interesse haben kann. Wikileaks mag derzeit Rechtsradikalen und | |
Regierungen die Hosen ausziehen, aber sein Prinzip wird uns alle treffen. | |
Wir haben es verpasst, den Kontrollverlust mit einer positiven | |
Zukunftsvision zu flankieren, die eingesteht, dass auch wir mit der neuen | |
Situation umgehen müssen. Es gibt noch viel zu diskutieren. | |
10 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Michael Seemann | |
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Fotografie | |
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