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# taz.de -- Kommentar ALG-II-Neuberechnung: Hartz IV zum Schnäppchenpreis
> 364 Euro im Monat, das dient dem Ausschluss, nicht der Teilhabe. Und
> Millionen müssen mit diesem Geld auskommen. Es ist ein Armutszeugnis für
> ein so reiches Land.
Formulierungen sind mitunter verräterisch. Im neuen Regelsatz für
Hartz-IV-Empfänger gibt es 2,99 Euro im Monat für Mineralwasser anstelle
der früheren Posten für Bier. 12 Liter Mineralwasser kosten im Supermarkt
2,99 Euro, stellten die Sozialstatistiker bei einer Vorortrecherche fest.
Allerdings würden preisgünstige Discounter das Mineralwasser sogar für 1,52
Euro pro 12 Liter anbieten. Bei "preisbewusstem Einkauf" bliebe daher
angesichts der gewährten 2,99 Euro durchaus noch "Spielraum für Saft und
andere alkoholfreie Getränke", heißt es im Gesetzentwurf des
Arbeitsministeriums.
Sozialbürokratie kann zynisch sein - aber nur mit Empörung auf die
Festsetzung des neuen Hartz-IV-Regelsatzes von 364 Euro im Monat zu
reagieren, erfasst die Entwicklung nicht. Das staatliche Existenzminimum
für Nichtarbeitende zu bestimmen, ist ein Ritual, bei dem es früher schon
nicht nur um Geld ging, sondern auch darum, den Maßstäben für Gerechtigkeit
einer Wählermehrheit Genüge zu tun. Diese Maßstäbe haben sich verschoben.
Auch das zeigt der neue Regelsatz.
Natürlich gibt es keine "objektiven" Maßstäbe dafür, die Regelsätze für
Hartz IV zu bestimmen. Sie richteten sich bislang rein rechnerisch nach den
Verbrauchsausgaben der ärmsten 20 Prozent, jetzt hat das
Bundesarbeitsministerium die ärmsten 15 Prozent als Vergleichsmaßstab
genommen, dies drückt die Summe. Die Ableitung vom Konsum der
Geringverdiener ist heikel, denn das Ausgabeverhalten der "untersten" 15
Prozent entscheidet über das Einkommen aller Transferleistungsbezieher.
Wenn Niedrigverdiener nur wenig Geld für gesunde Ernährung ausgeben,
bestimmt das in der Statistik die Summe, die eben auch die Alleinerziehende
auf Hartz IV für Ernährung bekommt.
Das Statistikmodell leitet die Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes von
Niedrigeinkommen und Renten ab. Immer sollen die Regelsätze dabei auch den
Unterschied markieren zwischen denjenigen, die arbeiten oder gearbeitet
haben und Steuern zahlen, und denjenigen, die das nicht tun. Die Frage, was
man denn nun wirklich braucht für die vielbeschworene "menschenwürdige"
Existenz, gerät dabei aus dem Blick.
Harte Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung haben das Misstrauen der
arbeitenden Niedrigverdiener gegen die Transferbezieher verschärft. Heute
arbeiten Millionen in schlecht bezahlten Jobs in der privaten
Dienstleistung, die kaum mehr verdienen als 900 Euro netto im Monat und
verständlicherweise nicht einsehen, dass sie bei all der Plackerei nur 100,
200 Euro mehr haben als Menschen, die keine erkennbare Gegenleistung dafür
bringen. Es ist kein Zufall, dass der biertrinkende und kettenrauchende
Arbeitsverweigerer ein neues Feindbild der unteren Mittelschichten geworden
ist, das Politiker verstärken.
Dazu passen die Manipulationen am Regelsatz. So waren seit Jahrzehnten
Ausgaben für Bier und Zigaretten in kleiner Summe in der Sozialhilfe und in
Hartz IV enthalten. Früher gehörten diese Genussmittel zum
Gemeinschaftserleben, kaum jemand stellte dies infrage. Heute streicht die
Bundesarbeitsministerin Bier und Zigaretten und verspricht den Familien
einen "Bildungschip". Da ist er wieder, der disziplinierende Blick des
Bildungsbürgertums auf die Armen.
Doch dieses Bild von Hartz-IV-Empfängern entspricht nicht den vielfältigen
Schicksalen, die von der staatlich gewährten Grundsicherung leben müssen,
darunter Alleinerziehende, gesundheitlich Angeknackste, Alte.
Wenn die Milieus der Niedrigverdiener, Kleinrentner und
Langzeitarbeitslosen mit Ressentiments gegeneinander ziehen, braucht sich
die Politik den großen Verteilungsfragen nicht zu stellen. Das lenkt ab von
der Frage, ob Arbeit, gerade die verschleißende Arbeit, zu schlecht bezahlt
wird und die Lohngrenzen das eigentliche Problem darstellen.
Nicht der biertrinkende Arbeitsverweigerer ist das Gerechtigkeitsproblem,
sondern der gesundheitlich Eingeschränkte, der keinen Job mehr findet, die
schlecht bezahlte Altenpflegerin, die Wohlhabenden, die nur geringe Abgaben
zu zahlen haben. 364 Euro im Monat, das dient dem Ausschluss, nicht der
Teilhabe. Millionen müssen mit diesem Geld auskommen, amtlich festgeklopft.
Es ist ein Armutszeugnis für ein so reiches Land.
27 Sep 2010
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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