# taz.de -- Schlammkatastrophe in Ungarn: "Tickende Zeitbomben" | |
> Nach der Giftflut aus einem Aluminiumwerk in Ungarn warnt der | |
> Umweltverband WWF vor 60 weiteren riskanten Rückhaltebecken in der | |
> Region. | |
Bild: Soldaten versuchen den Rotschlamm wieder loszuwerden. | |
BRÜSSEL taz | Eine Woche ist es her, dass aus einem Deponiebecken einer | |
Aluminiumfabrik in Ungarn tonnenweise ätzender Schlamm ausgetreten ist und | |
mehrere Dörfer damit überschwemmt wurden. Am Montag wurde der Chef der | |
Firma festgenommen. Die ungarische Regierung gab bekannt , dass ein | |
Schutzdamm, 30 Meter breit, 1.500 Meter lang, fast fertig sei. Er soll | |
verhindern, dass aus weiteren möglichen Lecks des Beckens Giftbrühe in den | |
Boden fließt. Der Umweltverband WWF warnte indes vor weiteren "tickenden | |
Zeitbomben" in der Region. | |
In Ungarn gebe es mindestens 60 ähnliche Schlammdeponien. Besonders | |
problematisch sei das Giftschlammbecken in Almásfuzito, das 80 Kilometer | |
von Budapest entfernt in einer Erdbebenzone an der Donau steht. In Rumänien | |
bedrohten die Abfälle aus zwei Aluminiumhütten am Donauufer Flora und | |
Fauna. | |
2004 hatte eine Forschungsgruppe im Auftrag der EU-Kommission die Bergwerke | |
in sämtlichen osteuropäischen Ländern kurz vor deren EU-Beitritt | |
kartografiert. Sie zählte 1.060 aktive Bergwerksanlagen, 715 verlassene | |
Minen und 1.255 gesonderte Abraumhalden. | |
2006 hatte die EU-Kommission als Reaktion auf die Umweltkatastrophen 1998 | |
in Donana in Spanien und 2000 in Baia Mare in Rumänien eine Richtlinie | |
verabschiedet, die genau festlegt, wie Abfälle der mineralgewinnenden | |
Industrie behandelt werden müssen. | |
Andreas Beckmann, beim WWF für die Donauregion zuständig, hält das | |
europäische Rahmengesetz im Prinzip für ausreichend. Problematisch sei aber | |
die von der betroffenen Industrie damals durchgesetzte lange | |
Umsetzungsfrist bis 2012. Deshalb komme das Gesetz zu spät, auch für die | |
Aluminiumfabrik Ajka, die nun die Umweltkatastrophe auslöste. | |
Ungeklärt sei auch, wer für die Giftlager von stillgelegten Betrieben | |
verantwortlich sei. In Osteuropa habe es nach dem Zusammenbruch des | |
Kommunismus viele Pleiten gegeben. | |
"Die EU-Kommission muss unbedingt ein neues Inventar riskanter | |
Produktionsstätten und Abfallbecken erstellen lassen", sagte Beckmann der | |
taz. "Von den Risiken bei Ajka haben wir bis zum Tag der Katastrophe keine | |
Ahnung gehabt." | |
Inzwischen hat der WWF ein Foto veröffentlicht, das vom Juni stammt und | |
deutliche Risse im Damm des Rotschlammbeckens zeigt. Das Foto nahm die | |
Firma Interspect auf, die beauftragt war, Schlammbecken, Bergbauaktivitäten | |
und andere gefährliche Industriezonen zu fotografieren. Ein Firmensprecher | |
erklärte, das Becken bei Kolontár sei besonders aufgefallen, da es so nah | |
an Wohnhäusern liege. | |
Martin Geiger vom WWF Deutschland fordert, dass die EU die Richtlinie über | |
Abfälle aus der mineralgewinnenden Industrie verschärft. Es könne nicht | |
"angehen, dass hochgiftige Schlämme aus der Aluminiumherstellung nur durch | |
Erddämme gesichert" seien. Ungarn solle seine anstehende | |
EU-Ratspräsidentschaft dafür nutzen, strengere Kontrollen einzuführen. | |
11 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Daniela Weingärtner | |
## TAGS | |
Spanien | |
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