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# taz.de -- Unfall in Aluminiumwerk: Giftschlamm schafft Geisterdörfer
> Nach dem Unfall in einem ungarischen Aluminiumwerk kritisieren
> Umweltschützer die ungesicherte Lagerung von Aluminiumabfällen. Das
> Management des Werks bestreitet eigenes Verschulden.
Bild: Kein Grund mehr für die Bewohner, zurück zu kehren: 100 bis 200 Quadrat…
Etwa 500 Helfer sind in Ungarns Katastrophengebiet westlich von Budapest im
Einsatz, wo am Montag ein Unfall in einem Aluminiumwerk etwa eine Million
Kubikmeter toxischen Schlamms freigesetzt hat. Eine Kleinstadt und vier
Ortschaften wurden unter der hochgiftigen und bleihaltigen Schlammlawine
begraben. Rund 300 Familien verloren ihre Häuser, vier Menschen starben
durch schwere Verätzungen und sechs ältere Menschen, die noch vermisst
werden, dürften unter dem Giftschlamm begraben liegen.
Die Bewohner der Gemeinde Kolontár hatten keine Ahnung, welche tödliche
Gefahr ihre Stadt seit Jahrzehnten bedrohte. Viele versuchten noch
elektronische Geräte und andere Wertgegenstände aus ihren Häusern zu
bergen. Nun warten sie im Budapester Militärkrankenhaus und anderen
Spitälern auf eine Hauttransplantation. Nicht alle der über hundert
Verletzten dürften nach Ansicht der Ärzte die nächsten Tage überleben.
Unvorbereitet war offenbar auch der ungarische Katastrophenschutz, der erst
am Tag nach dem Unglück voll in Aktion trat und zunächst wie bei einem
gewöhnlichen Hochwasser daran ging, die Häuser zu reinigen. Die meisten
Einwohner der verwüsteten Ortschaften wollen aber gar nicht mehr zurück.
100 bis 200 Quadratkilometer Erde sind so nachhaltig verseucht, dass dort
in den nächsten vier Jahrzehnten nichts mehr wachsen wird. Die Erde kann
auf dieser Fläche weder abgetragen noch unter einer frischen Humusschicht
begraben werden. Die Flüsschen Marcal und Torna sind jetzt schon tot.
Verendete Fische treiben auf dem Wasser. In fünf Tagen könnte das
verseuchte Wasser auch die Donau erreichen.
Herwig Schuster, Chemiker, Verfahrenstechniker und bei Greenpeace
Österreich auf Bergbau in Ost- und Mitteleuropa spezialisiert, erwartet die
Ergebnisse der Labortests für kommenden Freitag. Die am Dienstag
entnommenen Proben müssen vorsichtig getrocknet werden, damit sich das
Quecksilber nicht verflüchtigt. Schuster vermutet, dass außerdem Arsen und
Chrom im Schlamm enthalten sein könnten, Gifte mit denen das Aluminium-Erz
Bauxit oft verunreinigt ist: "Wir wissen nicht, wo die Ungarn das Bauxit
eingekauft haben." Was ihn beunruhigt, ist, dass weder das Unternehmen noch
die Behörden bisher über den Ursprung der Metalle Auskunft gegeben haben:
"Entweder die Regierung weiß es nicht. Das wäre ein Fehler im System. Oder
sie sagt es nicht." Wohl um weitere Panik zu vermeiden.
Anhaltender Regen im Katastrophengebiet erschwert die Rettungsarbeiten.
Experten meinen, er sei aber auch ein Segen, da er das schnelle Austrocknen
des Schlamms verhindert. Sie fürchten, dass die Schwermetalle sonst durch
den Staub eine weit größere Fläche gefährden würden. Nachts patrouilliert
schwer bewaffnete Polizei in den Geisterdörfern, um Plünderungen zu
verhindern. Der ätzende Geruch in der Luft, der die Schleimhäute angreift,
hat zwar nachgelassen, doch tragen die meisten Helfer immer noch
Gesichtsmasken. Die rötlichen Spuren an den Häusern zeigen, dass die
Schlammlawine bis zu zwei Meter hoch gewesen sein muß. Premier Viktor Orbán
versprach den Opfern dennoch, sie würden vor dem Winter wieder ein Dach
über dem Kopf haben.
Die Unternehmensführung von Magyar Alumínium übt sich derweil in Zynismus.
Sie hat zugesagt, die Bestattungskosten zu übernehmen, und bot den Familien
für den Verlust ihres Hauses umgerechnet 370 Euro Entschädigung an. Die
Produktion in der Aluminiumhütte wollte sie in vollem Umfang weiterlaufen
lassen, wurde aber schließlich von der Regierung gezwungen, den Betrieb
vorerst einzustellen. Das Management bestreitet eigenes Verschulden. Es
beruft sich auf Messungen aus dem Jahr 1987, die eine Belastung unter den
Grenzwerten erbracht hatten. Obwohl Umweltverbände immer wieder gewarnt
hatten, der giftige Rotschlamm sei viel zu schlecht gesichert, ist das
Unternehmen fahrlässig unterversichert. Die maximale Deckung von 350.000
Euro dürfte gerade einem Hundertstel der tatsächlichen Schäden entsprechen.
Ungarns Aluminiumindustrie geht auf die arbeitsteilige Schwerindustrie der
ehemaligen COMMECON-Staaten zurück. Ungarn, reich an Bauxit, war zuständig
für die Gewinnung von Aluminiumoxid und die Lagerung des dabei entstehenden
Giftschlamms. Das für die Rüstungs- und Luftfahrtindustrie unentbehrliche
Aluminium wurde dann in der Sowjetunion hergestellt.
Nach der Wende brach die industrielle Kooperation zwischen den
Ostblockstaaten weg. Die ungarische Aluminiumindustrie hätte eingestellt
werden müssen, wenn man westliche Maßstäbe eingeführt hätte. Doch die
Regierungen entschieden sich für den Aufbau eigener Aluminiumwerke, die
dann privatisiert wurden. Als Anreiz wurden billiger Strom und die
Befreiung von der "landfill tax" angeboten. Diese Steuer wird auf
Rückstände aus dem Bergbau erhoben, die gereinigt und eingegraben werden
müssen. Ungarns Aluminiumproduzenten haben aber weder entgiftet noch
fachgerecht entsorgt. Nach halboffiziellen Angaben lagern 25 Millionen
Tonnen Rotschlamm in offenen Depots. Die ungarische NGO "Arbeitsgruppe
Luft" schätzt die Menge auf 30 Millionen Tonnen. Da die Entgiftung einer
Tonne Rotschlamm umgerechnet etwa 370 Euro kostet, müsste die Industrie elf
Milliarden Euro aufbringen, um den giftigen Müll zu entsorgen.
6 Oct 2010
## AUTOREN
R. Leonhard
M. Gergely
## TAGS
Aluminium
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