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# taz.de -- Alu-Produktion in Deutschland: Still ruht der Rotschlamm-See
> Hinter einem 16 Meter hohen Deich liegt bei Stade Deutschlands einzige
> aktive Deponie für Rotschlamm. Eine Katastrophe wie in Ungarn fürchtet
> hier niemand.
Bild: Kann in Stade nicht passieren, glaubt die Bevölkerung: Aluschlammkrusten…
Einfach zu finden ist Deutschlands einzige aktive Rotschlamm-Deponie nicht:
Hinter einer Baumreihe in Stade-Bützfleth versteckt sich ein 16 Meter hoher
Deich, der einen Schlammsee von der Größe der Hamburger Außenalster
umschließt. Darin sammelt sich das, was bei der Aluminium-Gewinnung im vier
Kilometer entfernten Werk der Firma Aluminium-Oxid-Stade (AOS) übrig
bleibt.
Dass es hier zu einer Katastrophe wie in Ungarn kommen kann, wo nach dem
Dammbruch einer Rotschlamm-Deponie neun Menschen gestorben sind und ein
riesiges Gebiet unbewohnbar wurde, das scheint hier niemand zu befürchten.
"Ich glaube nicht, dass das hier passieren kann", sagt eine Kundin in der
Bützflether Bäckerei Holst. Damit trifft sie den Tenor der Meinungen unter
der Kundschaft. Die Leute vertrauen auf die Qualität des Deichbaus und
darauf, dass das, was in dem Schlammsee auf halbem Wege zwischen Hamburg
und Cuxhaven steckt, nicht so ätzend und giftig ist wie in Ungarn.
Schließlich tummelten sich ja viele Vögel auf dem Schlammsee mit seinen
Inseln. "Die müssten ja totgehen", sagt die Kundin.
Der Rotschlamm fällt in Sichtweite im AOS-Werk an. Mit Hilfe 270 Grad
heißer Natronlauge wird hier Aluminium-Oxid ("Roterde") aus Bauxit gelöst.
Übrig bleibt ein weißes Pulver, aus dem das eigentliche Alumimium erzeugt
wird - aber nicht mehr in Stade. Das Aluminium-Oxid-Werk ist das letzte in
Deutschland. Mit dem Verschwinden der Aluminiumhütten fehlten den
Tonerde-Werken die Abnehmer, so dass sich nur Stade mit seiner
Jahresproduktion von gut einer Million Tonnen halten konnte.
Im Gegensatz zu der Aluminiumoxidfabrik MAL in Ungarn trenne AOS die
ätzende Natronlauge vom Rotschlamm, bevor dieser zur Deponie gepumpt werde,
sagt AOS-Geschäftsführer Helmuth Buhrfeindt. Verätzungen wie unter den
Dorfbewohnern in Westungarn wären im Falle eines Deichbruchs unmöglich.
Große Mengen an Arsen und Schwermetallen, die in Ungarn den Boden
vergiften, könnten in Bützfleth nicht auftreten, hier lägen die
Konzentrationen unterhalb der Grenzwerte für eine Deponie der harmlosesten
Klasse null.
"Da dürfen nur sehr gering belastete Abfälle abgelagert werden", bestätigt
Christina von Mirbach vom Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg. Im Mai wurden die
Gifte in Konzentrationen deutlich unterhalb des zulässigen Werts im Schlamm
gemessen. Mineralölkohlenwasserstoffe liegen als Ausreißer zehnfach
darüber. Mehrere dichte Bodenschichten verhinderten, dass Stoffe aus der
Deponie ins Grundwasser gelangen.
Nach Auskunft Mirbachs sind die Deiche bei jeder Erhöhung um 3 Meter auf
ihre Standsicherheit hin überprüft worden. Das Gewerbeaufsichtsamt
kontrolliere jedes Jahr den Deich und auch, ob Staub von der Deponie
verweht worden sei.
"Ich glaube denen, weil wir sehr intensiv diskutiert haben", sagt Heiner
Baumgarten. Der heutige Landesvorsitzende des Umweltverbandes BUND hat die
Planung vor mehr als 25 Jahren kritisch begleitet. "Bisher ist nichts
passiert", sagt er, "aber sicher kann man sich auch nicht sein."
Ähnlich sieht das der Landwirt Gerd Tripmaker, der 100 Meter von dem
versteckten Deich entfernt einen Haufen Grassilage platt fährt. Tripmaker
gehört zu denen, die Einwendungen gegen eine Erhöhung des Deichs um weitere
6 auf 21 Meter erhoben haben. Die Küstenschutzdeiche an der Nordsee
erreichen gerade mal 9,50 Meter. "Wenn es mal zu einem Deichbruch kommen
sollte, leben wir schon etwas gefährlich", sagt er, um zugleich Verständnis
für AOS als Unternehmen zu äußern.
Die Erhöhung würde AOS Deponieraum für weitere 20 Jahre verschaffen, sagt
Geschäftsführer Buhrfeindt. Danach werde die Deponie abgedeckt und begrünt.
Denkbar sei auch, dass dann Rohstoffe so knapp seien, dass es sich lohne,
den Rotschlamm zu verwerten. Denn zum größten Teil besteht er aus Eisen-,
Aluminium-, Silizium- und Titan-Oxiden. "Ich sehe da schon irgendwann ein
Rohstofflager", sagt Buhrfeindt.
13 Oct 2010
## AUTOREN
Gernot Knödler
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