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# taz.de -- Aluminiumproduktion auf Island: Krieg gegen die Natur
> Durch niedrige Energiepreise wil Island die Ansiedlung von
> Schwerindustrie ankurbeln. Nun bangt Fischer Örn Thorleifsson um seine
> Robbenpopulation. Besuch am Fjord.
Bild: Eingriff in die unberührte Natur Ostislands: Aluminiumfabrik bei Reydarf…
REYDASFJÖRDUR taz |Der Geruch von verbranntem Metall hängt schwer in der
Luft der Produktionshalle. Über mehrere hundert Meter lang reihen sich
hunderte Becken aneinander, in denen vollautomatisch Aluminium abgeschieden
wird. Eine chemische Reaktion, es zischt und dampft. Absperrungen und
Warnlichter signalisieren: Bis hierhin und nicht weiter!
"Die Anlage ist auf dem neuesten Stand der Technik. Wir produzieren hier
sehr sauber, die einzige Verschmutzung ist CO2, alles andere wird
recycelt", sagt Gudmundur Bjarnason, PR-Manager der derzeit größten
Aluminiumschmelze Islands. Sie gehört Alcoa, dem weltweit drittgrößten
Aluminiumproduzenten. Um gegen den ohrenbetäubenden Lärm der Maschinen
anzukommen, muss er fast schreien: "Hier auf Island haben wir saubere
Energie, das ist doch besser als in China. Dort kommt der Strom aus
veralteten Kohlekraftwerken." Mit blauem Overall, Schutzbrille und
Arbeitshelm unterscheidet er sich kaum von den wenigen Arbeitern, die
vereinzelt die Walzstraßen im Herzstück der Anlage überwachen.
Der hochautomatisierte Produktionsprozess ist kaum noch auf menschliche
Arbeitskraft angewiesen. Die Luft ist heiß und stickig. Das Aluminium wird
je nach Qualität getrennt, in Barren gepresst oder auf Spulen gewickelt.
"Die Aluminiumbarren kühlen hier ab und werden automatisch auf
Frachtschiffe verladen", sagt der Manager. Der Weltmarkt benötige in
Zukunft extrem viel Aluminium, insbesondere die Autoindustrie, fügt
Bjarnason hinzu. Er zeigt sich überzeugt von den Vorteilen, die die
Aluminiumindustrie für Island und das Werk für die strukturschwachen
Ostfjorde bringt. Als ehemaliger Bürgermeister des malerisch gelegenen
Reydarfjördur kennt er die Probleme und Ängste der Menschen.
Sein Nachfolger im Amt, Páll Björgvin Gudmundsson, hat sein Büro im Gebäude
der Ortsverwaltung im Zentrum des kleinen ehemaligen Fischerortes. Es sind
nur wenige Meter bis zum Strand, am Pier liegt gerade ein Hochseefrachter
vertäut, der die Aluminiumschmelze mit Rohstoff beliefert. Gleich zu dritt
erscheint die Stadtführung zum vereinbarten Gesprächstermin.
"Bevor Alcoa 2007 das Werk eröffnete, lag die Gemeinde wirtschaftlich
danieder. Bei den Menschen herrschte Depression und Perspektivlosigkeit",
sagt Ingibjörg Ólafsdóttir, Mitarbeiterin des Bürgermeisters. "Doch jetzt
geht es wirtschaftlich bergauf", schwärmt Bürgermeister Gudmundsson.
Vierhundert Arbeitsplätze im Werk sollen entstanden sein, 300 darüber
hinaus. Über Alcoa haben die Lokalpolitiker nur Gutes zu berichten. Der
Konzern sponsert Warnwesten für die Schulkinder im Ort. Und vermutlich
einiges mehr.
Männerüberschuss an den Ostfjorden
Gudmundssons Team klingt gerade so, als scheine ein Existieren des Ortes
ohne die Fürsorge Alcoas nicht mehr möglich zu sein. Das Stadtbild
Reydarfjördurs spricht eine andere Sprache: Bei all der Euphorie über den
vermeintlichen Aufschwung wollen die neuen, aber nur zur Hälfte bewohnten
Apartmentkomplexe nicht recht ins Bild passen. Wie stumme Zeugen wachen die
sechsstöckigen Fremdkörper aus Beton über den sonst so hübschen Ort. Viele
Arbeiter überlegen es sich schnell wieder anders, wollen hier nicht
bleiben. Denn 12-Stunden-Schichten und ein dank der Schwerindustrie
signifikanter Männerüberschuss führen zu massiven sozialen Problemen und
hoher Arbeitsplatzfluktuation bei Alcoa, berichtet Thorstein Bergsson von
der Grünen Partei Islands.
Nicht jeder also ist so begeistert von der Ansiedlung des Aluminiumwerks
wie Reydarfjördurs Bürgermeister Gudmundsson. "Ich verliere meine
Lebensgrundlage", klagt Örn Thorleifsson. Der Bauer und Seehundjäger kommt
mit schlammverspritzten Gummistiefeln aus der Tür seines Stalles. Sein
Gehöft Húsey liegt auf einem kleinen Hügel im fruchtbaren Flachland der
Küste. "Ich bekomme die Auswirkungen hier am eigenen Leibe zu spüren."
Hinter Thorleifssons Haus mündet der vom Kárahnjúkardamm gestaute Fluss ins
Meer. Während er in Richtung seines einfachen Bauernhauses trottet, weist
er auf die nahe Küste: "Das Meer raubt mir täglich mehr von meinem
Weideland. Seitdem der Fluss im Hochland gestaut wird, führt er keinen Sand
mehr mit sich, der der Erosion durch das Meer entgegenwirken kann."
Am Haus angekommen tauscht er seine Arbeitskleidung gegen Bequemes, setzt
sich in seinen Sessel. "Unsere Robbenpopulation schrumpft merklich."
Thorleifsson macht dafür den Mineralienmangel der für die
Aluminiumproduktion aufgestauten Flüsse verantwortlich, der sich nun in der
Nahrungskette an seiner Küste bemerkbar macht. Die Robben sind in
nahrungsreichere Gebiete abgewandert.
Das Thema Aluminiumproduktion treibt Thorleifsson, wie vielen Isländern,
die Zornesröte ins Gesicht: "Islands Natur und Energiereserven werden
verramscht, um den Reichtum einiger Großkonzerne zu mehren", sagt er
bitter. Er hatte lange gegen das Megaprojekt am Kárahnjúkar-Damm gekämpft.
Fünf Kilometer landeinwärts tobt ein Sturm. Mächtige Wellen branden gegen
das graue Bollwerk aus Stein und Beton, und die Gischt des aufgewühlten
Stausees spritzt vier oder fünf Meter hoch. Die Ausmaße des Damms sind
schier beeindruckend. Von der Dammkrone aus gleitet der Blick
schwindelerregend in die Tiefe. Einer uneinnehmbaren Festung gleich türmt
sich die Staumauer 193 Meter hoch auf. Höher als der Dreischluchtendamm in
China.
Eines der größten Wildnisgebiete Europas wurde hier in einen künstlichen
See verwandelt. Grasende Rentiere und nistende Kurzschnabelgänse sind den
vom Gletschersand getrübten Wassermassen auf 57 Quadratkilometern gewichen.
Der Staub der öden Uferflächen treibt vom Sturm aufgewirbelt durch die
Luft. Durch eine 40 Kilometer lange Röhre stürzt das Wasser über 600 Meter
Gefälle zum Kraftwerk hinunter. Hier wird der Strom erzeugt. Allerdings
nicht, um isländische Haushalte mit Energie zu versorgen, sondern einzig
und allein, um die Aluminiumschmelze in Reydarfjördur zu betreiben.
Bauxit vom anderen Ende der Welt
Der Kárahnjúkardamm ist das wohl umstrittenste Bauwerk der isländischen
Geschichte. Vielen Isländern ist er zum Symbol des Raubbaus an ihrer
fragilen subarktischen Natur geworden. Geht es nach den ehrgeizigen Plänen
von Staat und Schwerindustrie, so ist dies nur der Anfang. Eine neue
Aluminiumschmelze des Alcoa-Konkurrenten Century Aluminium ist schon im
Bau, eine weitere von Alcoa in der Planung. Bauxit, das Ausgangsprodukt für
Aluminium, kommt auf Island gar nicht vor. Es wird eigens importiert, meist
aus Australien und Brasilien, und legt eine Seereise um den halben Erdball
zurück. Möglichst bald schon möchte Island zu den Top Ten der weltweiten
Aluminiumproduzenten gehören. Ein Ende der Expansion der äußerst
energieintensiven Aluminiumbranche ist nicht in Sicht.
An der Universität Reykjavík fällt Andri Snær Magnason im Gedränge kaum
auf. Der 37-jährige Schriftsteller und studierte Physiker ist jedoch Träger
des wichtigsten isländischen Literaturpreises. Der Hörsaal ist bis auf den
letzten Platz gefüllt, als er unter tosendem Beifall das Podium betritt.
Die isländische Natur spielt in seinen Werken eine herausragende Rolle.
Ruhig ist sein Gedichtvortrag. Bis er zum eigentlichen Thema seines
Vortrags kommt – denn Magnason hat einen echten Bestseller geschrieben:
"Draumalandid" (Traumland), eine Abrechnung mit der Energiepolitik der
Regierung und dem Bau des Kárahnjúkardamms. Die Leute sind deswegen zur
Lesung gekommen.
"Die Energieproduktion eines entwickelten Landes in vier Jahren zu
verdoppeln, ist verrückt", sagt Magnason mit einer Stimme, in der Wut und
Empörung mitschwingt. "Das Ganze dann nochmals zu verdoppeln, wie in Island
geplant, ist schlichtweg Wahnsinn."
Magnason ist so eine Art Michael Moore Islands. Einen Film zum Thema hat er
auch in die Kinos gebracht. Er genießt Kultstatus. Denn Isländer sind
naturverbunden. Die Launen der Natur – Vulkanausbrüche, Überschwemmungen,
tobende Schneestürme – sind fester Bestandteil des Alltags, Naturgottheiten
und Elfen bilden die Alltagsmythen. Und mit seiner herben Kritik an Islands
Umgang mit der Natur ist Magnason nicht allein unter Literaten. Schon vor
40 Jahren sprach Halldor Laxness, der isländische
Literaturnobelpreisträger, vom "Krieg gegen das Land" in Bezug auf den
Raubbau an der Natur.
Ein paar Straßen weiter, inmitten der Innenstadt von Reykjavík, hat
Sigmundur Einarsson, Geologe am Icelandic Institute of Natural History,
sein Büro. Seine Berufung ist schon beim Hereinkommen nicht zu übersehen.
In der Ecke ein versteinerter Baumstamm, an den Wänden geologische Karten
und Regale mit Fachbüchern. Auch er wirkt wie jemand, den so schnell nichts
aus der Bahn wirft: wacher Blick und fester Händedruck.
"Ich warne seit Jahren vor den Auswirkungen der immer exzessiveren
Ausbeutung unserer Energieressourcen", sagt er und öffnet eine Schublade,
zieht eine Karte Islands hervor und breitet sie auf seinem Schreibtisch
aus. "Die unbegrenzte Verfügbarkeit von Energie wird in Island stark
überschätzt." Mit roten Kreisen markiert er all die Gebiete, die für die
Energiegewinnung genutzt werden. "Die Geothermiequellen werden bereits bis
zur Belastungsgrenze ausgebeutet. Weitere Staudamm-Megaprojekte kann sich
Island schon finanziell nicht leisten, von der ökologischen Vertretbarkeit
ganz zu schweigen", sagt er erregt und pocht wiederholt mit dem Stift auf
die Karte. Ob Geothermie oder Wasserkraft – die für weitere
Aluminiumschmelzen erforderliche Energie kann seiner Meinung nach nicht
nachhaltig bereitgestellt werden.
Islands Gesellschaft ist verunsichert. Von der Bankenkrise bis ins Mark
erschüttert graben sich die Differenzen zwischen Befürwortern und Gegnern
der industriellen Großprojekte immer tiefer ins Fundament der Gesellschaft.
Dabei steht viel auf dem Spiel: eine der schönsten aber auch fragilsten
Naturlandschaften Europas.
5 Jan 2011
## AUTOREN
Jan Bosch
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