# taz.de -- Borgward-Biografin Birgid Hanke: "Autos interessieren mich nicht" | |
> Carl F. W. Borgward, Sohn eines Altonaer Kohlehändlers, mobilisierte mit | |
> seinen Arabellas und Lloyds die Nachkriegsbevölkerung. Bis heute ist sein | |
> Leben von Legenden überlagert. | |
Bild: Das Podest wackelt: Carl F. W. Borgward wie ihn der Künstler Walter Wade… | |
taz: Frau Hanke, interessieren Sie sich für Autos? | |
Birgid Hanke: Eigentlich nicht. Ich bin überzeugte Radlerin. | |
Warum haben Sie dann drei Jahre lang das Leben von Carl Borgward | |
recherchiert, dessen Bremer Auto-Fabriken vor fast 50 Jahren Konkurs | |
gingen? | |
Borgward ist im kollektiven Gedächtnis fest verankert, weil er für die | |
Automobilisierung der Deutschen in der Nachkriegszeit steht. Für mich ist | |
die Borgward-Biographie auch ein Versuch, meine Wahlheimat Bremen besser zu | |
verstehen. | |
Die bezeichnen den Borgward-Crash von 1961 als "ersten Riss im | |
Wirtschaftswunderland". Was machte ihn so bedeutend? | |
Borgward war der viertgrößte deutsche Autoproduzent, beschäftigte 20.000 | |
Menschen und galt als Erfolgs-Mythos. Bremens Bürgermeister Wilhelm Kaisen | |
hat bis zu seinem Tod nicht verwunden, dass er Ludwig Erhard nicht zu einer | |
Rettungsaktion bewegen konnte. | |
Bis heute kursiert die Legende, der Bremer Senat habe Borgward selbst auf | |
dem Gewissen ... | |
Es gibt ein Sammelsurium ebenso virulenter wie unhaltbarer Theorien, die | |
den Zusammenbruch mit einer Dolchstoßlegende verbrämen. Ich kann aber | |
nachweisen, dass Borgward ihn selbst mitverursacht hat. | |
Wodurch? | |
Er war ein genialer Autoentwickler, aber auch ein starrköpfiger Patriarch, | |
der die eindringlichen Warnungen seiner Mitarbeiter ignorierte. Sein | |
Finanzchef verzweifelte daran, dass Borgward dessen Memoranden stets in der | |
untersten Schublade versenkte. | |
Was wollte er nicht wissen? | |
Beispielsweise, dass die Eigenkapitalquote deutlich zu niedrig war. | |
Borgward bestand auch darauf, dass es keinerlei Abstimmungen zwischen | |
seinen eigenständigen Firmen Borgward, Lloyd und Goliath gab. | |
Auch im technischen Bereich schlichen sich Schwächen ein. Die Arabella | |
wurde vom Volksmund sicher nicht grundlos in "Aquabella" umgetauft. | |
Die Karosserie war leider nicht ganz wasserdicht, woran sich wieder | |
Borgwards autokratisches Selbstverständnis zeigt: Er gab die | |
Serien-Produktion gegen den Rat seiner Ingenieure frei. Peter Kurze hat | |
dafür den Begriff "Bananen-Auto" geprägt. Das sind Fahrzeuge, die bei ihren | |
Besitzern nachreifen müssen … | |
"Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd": Die Sperrholzautos gehörten auch | |
zu Borgwards Imperium. Und er verhob sich bei der Hubschrauberproduktion. | |
Wieso lösen Borgwards Erfolge und Misserfolge heute noch heftige Reaktionen | |
aus? | |
Es geht um immer noch virulente Schuldzuweisungen. Als ich Leo Brawand | |
besuchte, dessen Titelstory für den Spiegel von 1960 angeblich zum | |
Borgward-Niedergang beitrug, bekam der 80-jährige Herr einen | |
Tobsuchtsanfall. Er meinte, ich sei von der Borgward-Familie "gekauft". | |
Die Borgward-Apologeten regen sich ebenso heftig über den "Verrat" des | |
Senats auf. | |
Ja. Mein erster Kontakt zu dieser Thematik hat mich nachhaltig beeindruckt: | |
Ein Mitarbeiter des Bremer Mercedes-Werks, das auf dem alten | |
Borgward-Gelände steht, knallte die Faust auf den Tisch und fluchte: "Diese | |
verdammten zehn Millionen!" | |
Die berüchtigte dritte Rate, die der Senat nicht überwies. | |
Weil das ein Fass ohne Boden war. Das nichtsdestoweniger immer noch | |
ungebrochene Wir-Gefühl der Borgwardianer ist beeindruckend. Wobei ich bei | |
meinen Interviews einen auffälligen Unterschied innerhalb der | |
Mitarbeiterschaft bemerkt habe: Je niedriger sie in der Firmen-Hierarchie | |
standen, desto größer ist bis heute ihre Bewunderung für Borgward. Er war | |
eben ein Boss, der sich auch mal selbst an die Werkbank stellte und seinen | |
Leuten die richtigen Handgriffe vormachte. | |
Sie haben erstmals sämtliche auf Bogward bezogene Entnazifizierungsakten | |
ausgewertet. Würden Sie sich dem Urteil des damaligen Tribunals | |
anschließen: "minderbelastet"? | |
Nein, ich halte das für absurd. Borgward war Wehrwirtschaftsführer und | |
Obersturmbannführer des NS-Kraftfahrerkorps. Natürlich gibt es viele | |
widersprüchliche Vorkommnisse. Beispielsweise fand ich Belege, dass | |
Borgward 1944 keinem Geringeren als dem Stabschef von Rüstungsminister | |
Albert Speer damit drohte, ihm "ein paar in die Fresse" zu hauen. Der hatte | |
den AG Weser-Vorstand der Sabotage bezichtigt. Karl-Otto Saur, der | |
Stabschef, war im "Dritten Reich" ein gefürchteter Mann. | |
Und Borgward war ebenso cholerisch veranlagt wie Saur. Aber was sagt das | |
über seine Einstellung zum NS-Staat? | |
Borgward war Technik-besessen und wollte weiter Autos bauen. Dass die auch | |
wichtig für die Wehrmacht waren, hat er später schlicht geleugnet. | |
Sie schreiben, dass Borgward seine Zwangsarbeiter gut behandelt habe. Wie | |
verhielt er sich gegenüber seinen jüdischen Mitarbeitern? | |
Darüber ist noch nichts bekannt. Aber immerhin hat Borgward nicht von | |
Arisierungen profitiert. Es gab ja immer wieder Gerüchte, dass die große | |
Borgward-Villa am Osterdeich einen jüdischen Vorbesitzer gehabt habe. Das | |
entbehrt jeder Grundlage. | |
Wie lange wird es den Borgward-Mythos noch geben? | |
Das Verrückte ist, dass immer neue Borgwardianer nachkommen. In | |
Skandinavien, auch in Australien, gibt es große Borgward-Communities, die | |
von Technik und Ästhetik der Oldtimer fasziniert sind. In Bremen werde ich | |
ständig auf Borgward angesprochen. Mir wurde sogar prophezeit, dass ich | |
eine geheime Telefonnummer brauche. | |
Birgid Hanke, Carl F.W.Borgward, Unternehmer und Autokonstrukteur, Verlag | |
Delius Klasing, 192 S., 22,90 Euro: Vorstellung heute um 19 Uhr im | |
Wall-Saal der Bremer Stadtbibliothek | |
10 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
Henning Bleyl | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Bremen | |
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