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# taz.de -- Nazi-Rennfahrer bleibt präsent: Rasen für das Reich
> Seit der NS-Zeit ehrt in Lingen im Emsland eine Straße den Namen eines
> SS-Hauptsturmführers. Nun hat der Stadtrat beschlossen: So soll's auch
> bleiben.
Bild: Im Zeichen des Hakenkreuzes unterwegs: Rosemeyer in seinem Rennwagen
Osnabrück taz | Im emsländischen Lingen wird mit Bernd Rosemeyer eine
höchst fragwürdige Figur verehrt. Denn der gebürtige Lingener war in der
NS-Zeit nicht nur ein berühmter Rennfahrer, sondern auch Mitglied der SS.
Das kann man seit Freitag auch auf dem Schild der Straße lesen, die seit
1938 nach Rosemeyer benannt ist.
Denn der Rechtsanwalt Robert Koop, Fraktionsvorsitzender der unabhängigen
Wählergemeinschaft „Die Bürgernahen“ im Stadtrat, hat es gemeinsam mit
weiteren Lingener*innen kurzerhand modifiziert oder, wie er es selbst
nennt, „nach rechts justiert“: Neben den Informationen „Bernd Rosemeyer
(1909–1938) Motorrad- und Autorennfahrer. Weltrekordler“, die auf dem
Schild zu lesen sind, steht dort nun auch: SS-Hauptsturmführer.
Der wird in Lingen fast schon wie ein Heiliger verehrt: Es gibt einen
Motorsportclub Bernd Rosemeyer, ein aus dem Mittelalter stammender Lingener
Junggesellenverein namens Kivelinge hat eine Sektion nach Rosemeyer
benannt, der lokale Schützenverein ebenfalls. Der Bauunternehmer Heinrich
Liesen [1][gründete eine] Bernd-Rosemeyer-„Stiftung“ und plant in Lingen
[2][ein Rosemeyer-Museum]. Ginge es nach ihm, wäre dem SS-Mann schon längst
posthum die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen worden.
Letzteres wurde abgelehnt, aber eine Umbenennung der ehemaligen Lingener
Bahnhofstraße ebenfalls: Am vergangenen Mittwoch stimmte der Stadtrat
dagegen. Und so wird die Straße auch weiterhin den Namen Bernd Rosemeyer
tragen.
## „Heldentod“ bei Weltrekordversuch
Rosemeyer starb im Januar 1938 bei einem Weltrekord-Versuch auf der
Reichsautobahn Frankfurt–Darmstadt bei Mörfelden-Walldorf, bei einem Tempo
von fast 430 Stundenkilometern. Der Tod des Grand-Prix-Europameisters und
Rekord-Geschwindigkeitsfahrers galt als Heldentod.
Von den Nazis wurde er gebührend ausgeschlachtet: Tausende erwiesen ihm die
letzte Ehre. Eine Abordnung der „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ hielt die
Totenwache. Hitler und Himmler schickten persönliche Beleidsbekundungen an
die Witwe Rosemeyers.
Im Essay über Heroismus, der [3][seiner Abhandlung über die Sprache des
Dritten Reichs als Vorwort dient], schrieb der Literaturwissenschaftler
Victor Klemperer 1946 dazu: „Das einprägsamste und häufigste Bild des
Heldentums liefert in der Mitte der dreißiger Jahre der Autorennfahrer:
Nach seinem Todessturz steht Bernd Rosemeyer eine Zeitlang fast
gleichwertig mit Horst Wessel vor den Augen der Volksphantasie.“
Und in Lingen ist Rosemeyer für viele bis heute ein Held. Dabei war er
bereits seit 1932 Mitglied der SS und blieb es auch, obwohl nur ein Jahr
später die ersten Konzentrationslager im Emsland erbaut wurden – direkt vor
seiner Nase.
## SS-Eintritt ohne Not
Warum er in die SS eintrat, ist nicht bekannt, fest steht aber: Um die
eigene Karriere nicht zu gefährden, genügte für aufstrebende Rennfahrer
damals die Mitgliedschaft im nationalsozialistischen Kraftfahrkorps, eine
SS-Mitgliedschaft war dafür keineswegs notwendig. Abgesehen von Rosemeyer
weiß man auch von keinem deutschen Grand-Prix-Fahrer, der Mitglied der SS
war.
Immer wieder haben sich in Lingen Privatpersonen, einzelne Ratsmitglieder
sowie [4][das Lingener „Forum Juden-Christen“] für die Umbenennung der
früheren Bahnhofstraße ausgesprochen. Angefeuert wurde die Debatte vor
allem durch die skurrilen, auch überregional bekannt gewordenen Pläne für
das Rosemeyer-Museum. Vor allem die Ratsfraktionen von FDP, Grünen/Freie
Wähler und Bürgernahen traten für eine Umbenennung ein.
Auch Lingens parteiloser Oberbürgermeister Dieter Krone, der sich lange aus
der Debatte herausgehalten hatte, bezog vor der Abstimmung im Rat deutlich
Position: „Ich denke, dass eine Umbenennung vorgenommen werden muss“, sagte
er. „Eine Straßenbenennung ist die höchste Form öffentlicher Ehrung, daher
müssen auch höchste Maßstäbe angesetzt werden“, so seine Begründung. Als
Sportler habe Rosemeyer zwar die Stadt bekannt gemacht, er sei aber auch
SS-Mitglied und Profiteur des NS-Regimes gewesen.
Doch in Lingen tut man sich emsländisch schwer mit dem Ausbruch aus
Altvertrautem. Von 40 Ratsmitgliedern stimmten am vergangenen Mittwoch nur
19 für eine Neubenennung der Straße, ein Mitglied enthielt sich. Wer wie
votiert hat, lässt sich nicht in Gänze aufklären, denn es wurde auf Wunsch
der CDU-Fraktion sowie zweier SPD-Abgeordneter geheim abgestimmt – ganz so,
als handele es sich hierbei um ein heikles Thema, das eine ganz private
Gewissensentscheidung erfordert.
Und während der Oberbürgermeister offen seine Position aussprechen durfte,
sollte das für andere nicht gelten: „Nach der Abstimmung haben einzelne
Ratsmitglieder erklärt, dass und warum sie für die Umbenennung votiert
haben“, berichtet Robert Koop. „Bernhard Bendick von der SPD wollte das
unterbinden mit der Behauptung, es sei nicht erlaubt, nach einer geheimen
Abstimmung zu verraten, wie man gestimmt hat. Ihm war das sichtlich
unangenehm.“
Unangenehm scheint es auch Simon Göhler zu sein, auf seine
Parteikolleg*innen im Rat angesprochen zu werden. Göhler ist
Vorsitzender des Lingener Vereins „Forum Juden-Christen“– gleichzeitig ab…
auch Vorstandsmitglied des CDU-Kreisverbandes.
## Geheime Abstimmung
„Man weiß ja aufgrund der geheimen Abstimmung nicht, wer sich im Rat wie
entschieden hat“, sagt er, obwohl klar ist, dass sich nahezu die gesamte
CDU-Fraktion gegen die Umbenennung ausgesprochen haben muss.
Er habe, sagt Göhler, allen Ratsmitgliedern im Vorfeld nicht nur im Namen
des Forum Juden-Christen, sondern auch als CDU-Mitglied erklärt, dass er
für eine Umbenennung in „Fredy-Markreich-Straße“ sei. Markreich war ein
jüdischer Kaufmann aus Lingen, der 1938 ins KZ Buchenwald verschleppt
wurde.
„Dass gegen die Umbenennung gestimmt wurde, kam überraschend und ist
traurig“, sagt Göhler, der aufgrund des Ratsentscheids zum Schweigemarsch
aufgerufen hat – zum Stolperstein für Markreich. Ob das Forum den
Kompromiss-Vorschlag unterstützen würde, in der Rosemeyer-Straße künftig
erklärende Tafeln zur besseren Einordnung anzubringen, müsse im
Vereinsvorstand noch diskutiert werden, sagt er.
Für Koop ist klar, dass es in einem Jahr eine erneute Abstimmung im Rat
geben muss: „Dieser Straßenname kann nicht bleiben.“
17 Jul 2022
## LINKS
[1] /!5484764
[2] /Debatte-um-Rennfahrer-und-SS-Mitglied/!5481175
[3] https://www.reclam.de/data/media/978-3-15-020520-4.pdf
[4] http://www.forum-juden-christen.de/
## AUTOREN
Simone Schnase
## TAGS
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Straßenumbenennung
Thüringen
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