# taz.de -- Parteitag der CDU: Leitkultur im Leitantrag | |
> Auf ihrem Parteitag wird sich die CDU wohl die liberalste Führung ihrer | |
> Geschichte geben. Doch beim Thema Integration wird sich die Kluft | |
> zwischen Parteiführung und Basis zeigen. | |
Bild: Wie reagiert die Basis auf die neue, wohl liberalste Parteispitze der CDU? | |
So mittig und liberal, wie sich die CDU vor ihrem Parteitag präsentiert, | |
war sie noch nie - zumindest personell gesehen. Wenn alles planmäßig läuft, | |
werden die Delegierten auf dem Parteitag, der an diesem Montag in Karlsruhe | |
beginnt, drei enge Verbündete Angela Merkels zu deren Stellvertretern | |
küren. Roland Koch, Christian Wulff und Jürgen Rüttgers scheiden aus; an | |
ihre Stelle treten der NRW-Landeschef Norbert Röttgen, Arbeitsministerin | |
Ursula von der Leyen und, wie schon bisher, Bildungsministerin Annette | |
Schavan. | |
Kein Wirtschaftsliberaler, kein Vertreter des Sozialflügels, kein | |
Konservativer mit Sendungsbewusstsein. Selten war eine CDU-Spitze politisch | |
so homogen. Nur Merkels vierter designierter Stellvertreter, der hessische | |
Ministerpräsident Volker Bouffier, zählt zum rechten Flügel, hat bislang | |
aber keine bundespolitischen Ambitionen gezeigt. | |
Die CDU wird nach Karlsruhe noch mehr auf ihre Vorsitzende fixiert sein und | |
von einer stromlinienförmigen Führung gesteuert werden. Merkel, Schavan, | |
Röttgen, von der Leyen - alle vier haben einen ähnlichen Stil. Sie sind | |
gesellschaftspolitisch liberal und wollen pragmatisch und unideologisch | |
wirken, modern, großstädtisch, anschlussfähig an viele Milieus. | |
Aber dieses Selbstbild hat Risse. Das Thema Migration zeigt, wie gespalten | |
und zögerlich die CDU in Schlüsselfragen ist. "Die christlich-jüdische | |
Tradition, die Philosophie der Antike, die Aufklärung und unser | |
historischen Erfahrungen bilden die Leitkultur in Deutschland." So steht es | |
im Leitantrag des CDU-Parteitags. Die ganze Doppeldeutigkeit der CDU beim | |
Thema Migration steckt schon in diesem Satz. Das Wort "Leitkultur" legt | |
nahe, dass Migranten eine Art Gäste sind, die sich den hiesigen Sitten | |
anzupassen haben. | |
Allerdings ist dieses Reizwort mit universalistischem Bedeutungsrauschen - | |
Antike, jüdische Tradition, Aufklärung - hübsch verpackt. "Bei dem | |
Kampfbegriff ,Leitkultur' denkt man aber nicht an Platon, sondern an | |
Eisbein und Sauerkraut", kritisiert Volker Beck, parlamentarischer | |
Geschäftsführer der Grünen-Fraktion und Schwarz-Grün nicht abgeneigt. | |
Die CDU hat seit 2005 ihr Image in Migrationsfragen aufpoliert. Mit der | |
Islamkonferenz, mit dem Integrationsministerium in Nordrhein-Westfalen und | |
der ersten muslimischen Ministerin in Niedersachsen hat sie starke Symbole | |
gesetzt. Der liberale Flügel hat, wie Bildungsministerin Schavan meint, | |
akzeptiert, dass "wir ein Einwanderungsland sind". Auch dass Merkel Thilo | |
Sarrazins islamophobes Buch abkanzelte, passte ins Bild. Allerdings hat man | |
im Adenauer-Haus aufmerksam registriert, dass die Sarrazin-Debatte bei der | |
Parteibasis etwas anders angekommen ist. | |
Reinhard Grindel ist ein konservativer CDU-Innenpolitiker aus | |
Norddeutschland. "Merkel", sagt er, "hätte bei der Sarrazin-Debatte mehr | |
betonen sollen, dass wir Probleme mit Migranten nicht übersehen und viele | |
gesetzliche Möglichkeiten haben, diese Probleme wirksam zu bekämpfen." Das | |
Problem der Migrationspolitik sei, dass "wir uns unsere Einwanderer nie | |
aussuchen konnten". Gekommen seien vor allem "Aussiedler Asylbewerber, | |
Familiennachzug, jüdische Zuwanderer", aber keine Fachkräfte. Daher die | |
Integrationsprobleme, die jahrelang durch grüne Multikulti-Ideologie | |
verdrängt worden seien. Erst die Union habe "fördern und fordern" endlich | |
als Prinzip durchgesetzt. | |
Dazu passt der Vorschlag des niedersächsischen Innenministers Uwe | |
Schünemann, der ebenfalls zum konservativen Flügel zählt. Kinder | |
ausländischer Eltern, so schlug Schünemann in Bild am Sonntag vor, sollen | |
mit guten Schulnoten die Abschiebung ihrer Familien verhindern können. | |
Grindel ist Integrationsexperte. Allerdings sieht er die Dinge stets durch | |
ein Raster, durch das die Deutschen eher als Opfer von Zuwanderungswellen | |
erscheinen. Stets ist klar, wer für Probleme verantwortlich ist. Dass | |
Migranten schlechtere Jobchancen haben, findet er "nicht in Ordnung". Aber | |
Schuld daran seien nicht nur die Deutschen, sondern mindestens ebenso die | |
"Integrationsverweigerer", die dem Image der Migranten schadeten. | |
Der "Integrationsverweigerer" ist der neue böse Bube für die CDU. Der | |
Leitantrag fordert energisch Schluss mit jeder "Toleranz" ihm gegenüber. | |
Wie viele Migranten den Integrationskurs wirklich schwänzen, weiß niemand. | |
Schätzungen gehen von ein paar Prozent aus. Sicher ist indessen, dass knapp | |
20.000 Migranten gern einen Deutschkurs besuchen würden, aber nicht können, | |
weil es an Kursen fehlt. | |
Die Union, glaubt Beck, sei noch immer nicht dagegen gefeit, "reflexhaft | |
auf Anti-Ausländer-Kampagnen zu setzen". So wie Horst Seehofer, der gegen | |
das Gespenst einer muslimischen Zuwanderungswelle agitiert. Und die | |
aufgeklärten Christdemokraten, so Beck, die das Migrationskapitel im | |
Leitantrag falsch finden, "haben nicht die Mehrheit in ihrem Laden". Auch | |
Grindel ist sicher, dass etwa Schavans Idee einer per Punktesystem | |
gesteuerten Zuwanderung in der CDU keine Mehrheit hat. | |
Das Tempo in der Integrations- und Zuwanderungspolitik bestimmen in | |
Deutschland zumeist die Fußlahmen. In der CDU sind das oft die Älteren, | |
ohne die die Union keine Wahl gewinnen kann. Die Senioren-Union, mit 60.000 | |
Mitgliedern zweitstärkste Organisation in der Partei, hat auf ihrem | |
Bundestreffen Ende Oktober einige sehr interessante Beschlüsse gefasst. | |
Zuwanderer, die "unserem Land nur auf der Tasche liegen, sollen Deutschland | |
wieder verlassen". Und: Den Eltern, die nicht seit mindestens zwölf Jahren | |
Deutsche sind, soll ab 2012 das Kindergeld gestrichen werden. | |
In ihrem Überschwang beantragte eine CDU-Seniorin beim Bundestreffen in | |
Recklinghausen gleich noch, Straftätern mit Migrationshintergrund die | |
deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Der Antrag bekam prompt eine | |
Mehrheit, ehe jemandem auffiel, dass das Grundgesetz Ausbürgerungen | |
verbietet. Die Abstimmung wurde wiederholt, der Beschluss rückgängig | |
gemacht. | |
Offenbar hat die CDU als Ganzes, trotz ihrer eher liberalen neuen Führung, | |
noch nicht verstanden, was eine pragmatische Migrantenpolitik ist. | |
15 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Integration | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Gott und die Welt: Leere Hände, leere Debatte | |
Ein Imam wollte Julia Klöckner nicht die Hand schütteln. Warum auch immer – | |
aber mit fehlender Treue zur Verfassung hat das nichts zu tun. | |
Kommentar CDU-Parteitag: Christin der Macht | |
Karlsruhe hat wieder mal gezeigt, dass Merkel eine begnadete Technikerin | |
der Macht ist. Der Preis für ihren Erfolg ist eine atemberaubende | |
Entpolitisierung der Partei. | |
Süssmuth über den Zustand der CDU: "Wir waren schon mal weiter" | |
Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth spricht im Interview über | |
Islamphobie. Und wirft Teilen ihrer Partei CDU "Realitätsverweigerung" vor. | |
Haushalt 2011: Großzügig bei Militär, geizig bei Hartz IV | |
"Unsozial" und "abzulehnen": Die Opposition wettert gegen den Etat 2011, | |
den Schwarz-Gelb beschlossen hat. Entwicklungsminister Dirk Niebel bekommt | |
65 neue Mitarbeiter. | |
Agrarausschuss umgangen, Haushalt umgeschichtet: Koalition pflügt Biobauern un… | |
Union und FDP setzen den Rotstift an und wollen "regionale Vermarktung | |
konventioneller Ware" mit Bio-Geld fördern. Also auch Gentec-Ware, fürchten | |
die Grünen. | |
Wolfgang Schäuble: Machtmensch macht, was er will | |
Wolfgang Schäuble hat seinen Sprecher düpiert und damit vergrault – und | |
wird dafür kritisiert. Dabei war der Vorfall vor allem eines: eine gute, | |
weil ehrliche Show. |