# taz.de -- Süssmuth über den Zustand der CDU: "Wir waren schon mal weiter" | |
> Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth spricht im Interview über | |
> Islamphobie. Und wirft Teilen ihrer Partei CDU "Realitätsverweigerung" | |
> vor. | |
Bild: Alte Debatte: Über ihre Einwanderungspolitik hat sich die CDU schon vor … | |
taz: Frau Süssmuth, hat Ihre Partei gerade nur einen kleinen Rückfall, oder | |
erleben wir eine Kehrtwende in der Integrationspolitik? | |
Rita Süssmuth: Das ist noch nicht endgültig abzusehen. Auf jeden Fall waren | |
wir schon mal weiter. Es wird wieder über alte Themen diskutiert, wie etwa, | |
ob wir ein Einwanderungsland sind. Darüber reden wir jetzt mehr als zehn | |
Jahre. Und wir reden vor allem über die Integrationsunwilligen. Dabei weiß | |
niemand, wie viele wirklich an ihren Integrationskursen nicht teilnehmen | |
oder sie abbrechen. Und warum sie das tun. | |
Die CDU schien ihre Integrationspoltik rundherum erneuert zu haben. Und nun | |
- mitten in der Sarrazin-Debatte - sagt die Kanzlerin, Multikulti sei | |
gescheitert, der Innenminister beißt sich an Integrationsverweigerern fest, | |
und auf dem CDU-Parteitag geht es um Leitkultur. Was passiert da gerade? | |
Es ist eine Auseinandersetzung zwischen denen, die die Realität akzeptieren | |
und gestalten wollen, und jenen, die sehr an einer homogenen Kultur hängen. | |
Für mich ist zum Beispiel die Ausblendung der muslimisch geprägten | |
Migranten ein Stück Realitätsverweigerung. | |
Was bedeutet es dann, wenn Frau Merkel sagt: "Multikulti ist gescheitert"? | |
Die Aussage ist richtig, wenn man sie so versteht, dass wir kein bloßes | |
Nebeneinander wollen. Gleichzeitig muss man aber klarstellen: Wir leben in | |
einer multikulturellen Gesellschaft. Und es geht darum, das Miteinander zu | |
gestalten. Die Grundlage dafür ist das Grundgesetz als gemeinsame | |
Wertebasis für unser Zusammenleben. | |
Diesen Nachsatz hat Frau Merkel so deutlich aber nicht gesagt - und | |
entsprechend war die Nachricht, die herüberkam, eine andere. | |
Ja, das stimmt, und besonders im Ausland ist der Satz so verstanden worden, | |
als leugneten wir, eine multikulturelle Gesellschaft zu sein. Das passt ja | |
auch zur derzeitigen Debatte, in der die rigorosen wie auch militanten | |
Gegner der Zuwanderung erklären, dass die Migranten uns nicht bereichern, | |
sondern nur Probleme schaffen. | |
Wer sind die Militanten? Seehofer? Sarrazin? | |
Sarrazin erklärt: Die Muslime sind gefährlich, sie werden immer mehr, die | |
Kulturen sind unvereinbar. Da ist eine Muslimphobie in seinem Buch, die | |
spaltet unsere Gesellschaft. | |
Warum verschärfen die Kanzlerin und auch der Innenminister diese Wirkung | |
dann noch? | |
Das wollen beide nicht. Allerdings antworten sie auf negative Stimmungen | |
gegen Fremde und die scharfe Kritik an nicht geleisteter Integration. Es | |
soll gezeigt werden, dass man die Kritik ernst nimmt, sich um die Probleme | |
kümmert. Ich kann mir das nur mit den Umfragen erklären, in denen Sarrazin | |
erschreckend viel Unterstützung bekommen hat. Man will zwar ein | |
Gegengewicht setzen, muss dabei aber sehr aufpassen, dass man ihm nicht das | |
Wort redet. Aber man darf nicht vergessen: Frau Merkel ist die erste | |
Kanzlerin, die sich wirklich um dieses Thema kümmert. Sie hat den | |
Integrationsgipfel einberufen. So wie ich sie kenne, will sie Integration. | |
Aber sie steht unter öffentlichem Druck, auch innerparteilich durch jene, | |
die anderes wollen | |
Und wer wird sich durchsetzen? | |
Ich hoffe, dass wir wieder nach vorne steuern. Denn ein Zurück führt in | |
einen Kampf der Kulturen, in dem wir zum Teil jetzt schon stehen. Deswegen | |
muss der Weg nach vorne gehen. Außerdem brauchen wir unsere Migranten und | |
eine gut gesteuerte Zuwanderung aus demografischen Gründen. Wir brauchen | |
eben beides: die Integration aller in Deutschland lebenden Migranten und | |
Nichtmigranten sowie nach Kriterien und Bedarf gesteuerte Zuwanderung. | |
15 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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