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# taz.de -- Regierungskrise in Italien: Noch ein letztes Gefecht
> Gianfranco Fini, Verfassungsrechtler, die "Hetz"-Presse: Italiens Premier
> Berlusconi hat inzwischen fast alle gegen sich. Aber er will kämpfen -
> schon um sich vor der Justiz zu retten.
Bild: Wegschauen könnte - wie so oft - helfen.
Silvio Berlusconi ist zornig. Zornig über "Berufspolitiker" vom Schlage
eines Gianfranco Fini, seines ehemaligen Partners, der ihn jetzt zu stürzen
sucht. "Anderswo setzen Politiker in seinem Alter sich zur Ruhe, anderswo
schreiben die Blairs und Aznars ihre Memoiren", wettert der italienische
Ministerpräsident, "bloß bei uns machen die Finis immer weiter."
Dass Fini um fast 20 Jahre jünger ist als er selbst, stört den 74-jährigen.
Berlusconi ist ja auch kein "Politikaster", sondern eine
"Ausnahmeerscheinung". Und als solche glaubt er sich den Italienern noch
lange erhalten zu müssen, trotz Regierungskrise und womöglich baldiger
Wahlen. Denn mit dem am Montag erfolgten Rücktritt von vier
Kabinettsmitgliedern aus den Reihen der Fini-Partei FLI (Zukunft und
Freiheit für Italien) sind alle Chancen auf einen neuen Kompromiss zwischen
Berlusconi und Fini geschwunden. Zu tief ist nicht bloß der persönliche,
sondern auch der politische Graben zwischen den beiden.
Fini will eine weltoffene, moderate, dialogbereite Rechte, Berlusconi
hingegen hat immer die Karte des Populismus gespielt und sucht, wo immer es
geht, die Polarisierung mit dem politischen Gegner. Eskaliert war der
Konflikt im Juli, als Berlusconi Fini aus der gemeinsamen Partei PdL (Volk
der Freiheit) warf. Nun hat der offene Kampf begonnen.
Für diesen ist Berlusconi gerüstet. Nach einem Treffen mit seinem letzten
Verbündeten Umberto Bossi von der rechtspopulistischen Lega Nord am
Montagabend ließ er verlauten, er habe mit Bossi einen "Stahlpakt"
geschlossen. Die gemeinsame Linie sei jetzt: entweder ein Vertrauensvotum
des Parlaments oder sofortige Neuwahlen.
"Fini wird sich noch wundern, was im Wahlkampf auf ihn zukommen wird",
fügte der Nochregierungschef drohend hinzu. Dass Italien ein wahrer
politischer Showdown bevorsteht, bezweifelt niemand im Land. Und letzte
Gefechte hat Berlusconi seit seinem Eintritt in die Politik Ende 1993 immer
wieder geführt - und immer wieder gewonnen.
Doch diesmal muss er sich noch ein wenig gedulden. Denn nur in einem Punkt
sind sich alle Parteien einig: Zunächst wird das Parlament den
Staatshaushalt 2011 und das mit ihm verbundene "Stabilitätsgesetz"
verabschieden und sich erst ab etwa Mitte Dezember der politischen
Instabilität widmen können.
Berlusconi wird dann wieder zu großer Form auflaufen. Einen Vorgeschmack
liefert er schon jetzt. Kaum hatte die größte Oppositionskraft, die
Demokratische Partei, einen Misstrauensantrag im Abgeordnetenhaus
eingebracht, da stellte Berlusconis PdL einen Vertrauensantrag im zweiten
Haus des Parlaments, im Senat. Nun verlangt Berlusconi, dass der
Vertrauensantrag im Senat zuerst abgestimmt wird. Dort hat er noch die
Mehrheit; wenn danach das Abgeordnetenhaus gegen ihn stimmen werde, so
Berlusconi, dann könne Staatspräsident Giorgio Napolitano ja "bloß für das
Abgeordnetenhaus Neuwahlen ansetzen".
Dass Verfassungsrechtler diesen Gedanken bizarr finden, ist dem
Wahlkampfgenie Berlusconi egal. Oft genug hat er seine Anhänger mit kruden
Ausfällen in Stimmung gebracht. Ende 1994, nachdem er erstmals gestürzt
war, behauptete er, er sei "Opfer eines Justizputsches" geworden, weil kurz
zuvor die Staatsanwaltschaft Mailand gegen ihn Korruptionsermittlungen
aufgenommen hatte. Und 2006, nach seiner knappen Wahlniederlage, hämmerte
er seinen Anhängern ein, sei Kontrahent Romano Prodi habe nur "durch
Wahlfälschung" gewonnen.
Auch im kommenden Wahlkampf dürfte sich Berlusconi wieder als Opfer dunkler
Mächte inszenieren. Als Opfer der "Kommunisten", als Opfer der
"Hetz"-Presse - die Parole "lest keine Zeitungen!" gab er in den letzten
Tagen mehrfach aus - und natürlich als Opfer der Justiz.
Noch geben die Meinungsumfragen seiner Allianz aus PdL und Lega Nord etwa
40 Prozent. Das würde zum Wahlsieg reichen, sofern es gelingt, die Anhänger
des eignen Lagers zu mobilisieren. Das weiß auch die Opposition; sie aber
ist gespalten in den Block der gemäßigten Linken um die Demokratische
Partei und in einen Mitte-rechts-Block, in dem sich Gianfranco Finis FLI
gerade mit der christdemokratischen Zentrumsunion und zwei weiteren Listen
zusammengetan hat.
Doch um Berlusconi zu schlagen, müsse man "ein Notstandsbündnis" zur
"Rettung der Demokratie" schließen, fordern jetzt diverse
Oppositionspolitiker; sie meinen das große Bündnis aller Berlusconi-Gegner,
vom früheren Faschisten Fini hin zu den früheren Kommunisten in der
Demokratischen Partei. Für machbar halten dies aber nur wenige.
Eher schon könnte Berlusconis Erbfeind, die Justiz, sein Schicksal
besiegeln. Am 14. Dezember wird das Verfassungsgericht über das auf ihn
maßgeschneiderte Immunitätsgesetz befinden. Sollte das Gericht dieses
Gesetz verwerfen, müsste Berlusconi mit der sofortigen Neuaufnahme von zwei
Prozessen und in einem der beiden Verfahren mit einem Schuldspruch binnen
weniger Wochen rechnen.
Auch deshalb will Berlusconi schnelle Neuwahlen. Während des Wahlkampfs
müsste das Verfahren nämlich ruhen. Danach käme, wenn denn Berlusconi
gewinnt, sofort ein neues Immunitätsgesetz. So schließt sich der Kreis:
Einst ging Berlusconi in die Politik, um sich vor den Nachstellungen der
Staatsanwälte zu schützen. Heute muss er in der Politik bleiben, um einer
Verurteilung zu entkommen. Memoiren mögen andere schreiben - Berlusconi
kann sich diesen Luxus bis auf weiteres nicht leisten.
16 Nov 2010
## AUTOREN
Michael Braun
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