# taz.de -- Demo gegen Stuttgart 21: "Blut ist dicker als Vernunft" | |
> In Stuttgart haben tausende Menschen gegen das Bahnhofsprojekt | |
> demonstriert. Den Schlichterspruch von Heiner Geißler finden sie | |
> "katastrophal". Viele fühlen sich hintergangen. | |
Bild: Geben sich mit dem Schlichterspruch nicht zufrieden: "S 21"-Gegner in Stu… | |
STUTTGART taz | Mit einem "Warming Up" haben sich Gegner von "Stuttgart 21" | |
am Samstag auf die geplante Großdemonstration am nächsten Wochenende | |
eingestimmt. Knapp 10.000 Menschen zählten die Veranstalter beim ersten | |
Protest nach dem Schlichterspruch zum umstrittenen Bahnprojekt. Die Polizei | |
sprach von 3.000. | |
Dabei kriegten nicht nur - wie gewohnt - die Landesregierung und die | |
Deutschen Bahn ihr Fett weg. Auch auf Vermittler Heiner Geißler und seine | |
CDU-Mitgliedschaft zielten viele Plakate ab: "Willkommen im Club der | |
Täuscher" oder "Blut ist dicker als Vernunft - Schäm Dich, Geißler", | |
lauteten einige der Sprüche. | |
Geißler hatte sich am vergangenen Dienstag zum Ende der Schlichtung für | |
eine Fortsetzung von "Stuttgart 21" ausgesprochen. Sollte der geplante | |
Bahnhof einen Leistungstest nicht bestehen, sollten Verbesserungen | |
vorgenommen werden. | |
Doch auf diese Verbesserungen gaben viele Demonstranten am Samstag wenig. | |
Sobald die Vokabel "Stuttgart 21 Plus" zu hören war, kamen laute Buh-Rufe | |
und Pfiffe. Sie fühlen sich erneut hintergangen. Eine Frau bezeichnete die | |
Schlichtung als "Beruhigungspille", eine andere sprach von | |
"Hinhaltetaktik", ein Mann fand den Schlichterspruch einfach nur | |
"katastrophal". "Je länger man drüber nachdenkt, umso mehr ärgert man sich. | |
Man fühlt sich an der Nase herumgeführt", sagte eine weitere Demonstrantin. | |
Umso entschlossener wirkte die Protestmenge vor dem Stuttgarter | |
Hauptbahnhof, das Milliardenprojekt weiter bekämpfen zu wollen. | |
"Wenn ich Sie hier sehe, bin ich immer sicherer, dass wir es schaffen | |
werden, dieses verdammte Projekt zu stoppen", sagte der Gründer der | |
Parkschützer, Klaus Gebhard, auf der Rednerbühne. Geißler habe ihnen ein | |
dickes Ei gelegt, das sie aber zu Rührei zerlegen würden. Geißler habe | |
übersehen, wie die Stuttgarter drauf seien. Die Aufklärungsarbeit über das | |
Projekt könne man nicht mehr zurückdrehen, die Menschen wüssten inzwischen | |
mehr als die Politiker. "An den Gründen für unsere Proteste hat die | |
Schlichtung nichts geändert, aber auch gar nichts", so Gebhard. | |
Besonders kritisiert wurde von allen Rednern, dass es nach der Schlichtung | |
weder eine Bürgerbefragung gibt noch einen Bau- und Vergabestopp, während | |
die Verbesserungen geprüft werden. Geißler tingle als Erfinder des | |
Stuttgarter Modells durch die Talkshows, von dem die Stuttgarter selbst gar | |
nichts hätten, hieß es in einem Schreiben einer Parkschützerin, der auf der | |
Bühne vorgelesen wurde. | |
Der Ingenieur Karl-Dieter Bodak, der lange Zeit für die Deutsche Bahn | |
arbeitete, ging auf deren Unternehmenskultur ein. Eisenbahner und Planer, | |
denen die Probleme bei "Stuttgart 21" bewusst seien, würden bei der | |
Unternehmensspitze kein Gehör finden. "Wir sollten mit hartnäckiger | |
Friedfertigkeit und mit friedfertiger Hartnäckigkeit weiterkämpfen", sagte | |
Bodak. "Was anderes bleibt uns nicht übrig." | |
Während zu der Demo am vergangenen Samstag nur die aktiven Parkschützer | |
aufgerufen hatten, wird die kommende vom gesamten Aktionsbündnis | |
veranstaltet. Auch soll ein Sonderzug aus Berlin nach Stuttgart kommen. | |
Unterdessen sagte Bahnchef Rüdiger Grube bei künftigen Großprojekten eine | |
frühere und intensivere Beteiligung der betroffenen Bürger zu. "Das ist das | |
Wichtigste, was ich aus dieser Diskussion gelernt habe. Man darf keine | |
Scheu und keine Berührungsängste haben und muss frühzeitig in den Dialog | |
mit den Bürgern treten", sagte Grube der Welt am Sonntag. Nur auf diese | |
Weise ließen sich Großprojekte erfolgreich umsetzen. | |
5 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Nadine Michel | |
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