# taz.de -- Julia von Weiler über Netzsperren und Spender: "Wir haben nichts z… | |
> Der Verein Innocence in Danger kämpft gegen Kindesmissbrauch. Zuletzt | |
> stand er wegen finanzieller Intransparenz in der Kritik. Jetzt legt die | |
> Leiterin Julia von Weiler Zahlen vor. | |
Bild: Julia von Weiler (l.), hier mit Stephanie zu Guttenberg. | |
taz: Frau von Weiler, kann man Ihnen trauen? | |
Julia von Weiler: Na klar, warum fragen Sie? | |
Weil Ihre Organisation Innocence in Danger tagelang keine Auskunft über ihr | |
Budget geben konnte. Innocence hat seine Unschuld verloren. | |
Es gab einen Zeitungsbericht mit seltsamen Recherchemethoden, der obendrein | |
auf falschen Behauptungen beruhte: Wir haben die Kriterien des Deutschen | |
Spendensiegels nämlich nicht gefürchtet, sondern wir haben ganz bewusst auf | |
das Siegel verzichtet. | |
Dennoch: Sie waren nicht in der Lage zu erklären, von wem Sie wofür Geld | |
bekommen. | |
Wir haben die Zahlen in Rücksprache mit unserem Steuerberater vorgelegt, | |
und das hat länger als einen Tag gedauert. Bei einem überschaubaren Budget | |
von knapp über 420.000 Euro im Jahr 2009 haben wir ohnehin nichts zu | |
verbergen. | |
Haben Sie nicht Vertrauen bei den Bürgern verspielt, die Angst um die | |
Sicherheit ihrer Kinder im Netz haben? | |
Dazu besteht keinerlei Anlass. Bei uns ist der Schutz der Opfer der oberste | |
Grundsatz. Ich stehe dafür persönlich ein, weil ich mich seit 20 Jahren in | |
verschiedenen Einrichtungen dafür einsetze, sexuell Missbrauchten zu helfen | |
und andere Kinder davor zu bewahren, in eine solche Lage zu kommen. | |
Aber wie soll man die politische Agenda einer Organisation verstehen, wenn | |
sie keine Zahlen vorlegt? | |
Sie sollten uns an unserer Arbeit messen. Und die machen wir gut. Die | |
Gesellschaft steht durch das Internet vor völlig neuen Herausforderungen - | |
das gilt auch für sexuellen Missbrauch. Im Netz kann ein Kind ganz anders | |
Opfer werden, als es früher der Fall war. Es gibt andere Formen der | |
Annäherung. Und durch das Sprengen der Raum-Zeit-Dimension ist ein | |
missbrauchtes und gefilmtes Kind, das einmal im Netz gestanden hat, dort | |
für immer zu sehen. | |
Für einen Pornoproduzenten könnte Ihr Verein ein prima Investitionsobjekt | |
sein: Sie wollen ja nicht ihm an den Kragen, sondern plädieren für | |
Netzsperren, also letztlich die Kontrolle der Konsumenten. | |
Nein, das ist falsch. Wir haben im Kampf gegen Kinderpornografie nie allein | |
auf die Netzsperre gesetzt. Wir haben immer gesagt, es muss gelöscht werden | |
und dass die Hoster, Provider und die Produzenten zur Rechenschaft gezogen | |
werden müssen. Unsere Agenda ist der Opferschutz - alles, was dem dient, | |
fordern wir. | |
Wie wird kinderpornografisches Material verbreitet? | |
Über ganz verschiedene Wege. Als sich Innocence Ende der 1990er gründete, | |
konnte man Kinderpornografie über viele Webseiten abrufen. Es handelte sich | |
um altes Material, das digitalisiert aufbereitet und ins Netz gestellt | |
worden war. Mittlerweile kommen die Sachen anders an den Mann, etwa durch | |
sogenannte Peer2Peer- und Filesharing-Netzwerke statt nur über Webseiten. | |
Haben die Konsumenten keine Angst, dass sie mit Ermittlern Dateien tauschen | |
und auffliegen? | |
In Deutschland ist es so, dass die Strafverfolger nicht in solchen | |
Netzwerken aktiv Material anbieten dürfen. Im Übrigen, gesicherte Zahlen | |
über die Verbreitungswege von Kinderpornografie gibt es keine. Sie sind zu | |
komplex und nicht wirklich erforscht. | |
Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann sagt, er sei überrascht, | |
wie wenig in diesem Gewerbe kommerziell relevant ist. | |
Es gibt Tauschringe, wo die Bilder und Filme selbst zur Währung werden. Das | |
heißt, man kann da erst mitmachen, wenn man selbst Missbrauchsfilme oder | |
-bilder in den Kreislauf einbringt. Aber es gibt nach wie vor Seiten, wo | |
man kaufen kann. Man überweist zum Beispiel 9 Euro 99 und bekommt einen | |
Zugang. Die Frage, wie viel da wirklich verdient wird, werden wir wohl nie | |
zur Gänze beantworten. Die nächste Frage wäre, wie viele Bilder überhaupt | |
kursieren. Wenn Sie da jemanden finden würden, der diese Frage genau | |
beantworten kann, wären wir alle einen großen Schritt weiter. | |
Sie sagen, dass man die Verbreitungswege noch gar nicht kennt. Wie kann man | |
dann einen so gravierenden Eingriff in die Internetinfrastruktur wie eine | |
Netzsperre fordern? | |
Was mir meine skandinavischen und britischen Kollegen sagen, ist, dass sie | |
damit sehr positive Erfahrungen gemacht haben. Wir sprechen hier auf zwei | |
verschiedenen Ebenen. Natürlich wollen wir, dass in erster Linie sofort | |
gelöscht wird. Aber ich finde es absolut legitim und richtig, dass da, wo | |
die Seiten auftreten, schnell alles dafür getan wird, dass keine Zugriffe | |
mehr möglich sind. | |
Wenn eine Seite geblockt wird, merkt der Betreiber das. Das heißt, die | |
strafrechtliche Verfolgung wird erschwert, weil er weiß, dass er im Fokus | |
ist. | |
Die Menschen, die diese kriminelle Energie haben, tragen schon im Vorfeld | |
dafür Sorge, dass sie kaum bis gar nicht gefunden werden. Wenn ich Ihr | |
Argument weiterdenke und es anwende auf das Löschen, dann ist das doch eine | |
Milchmädchenrechnung. Wir wissen doch nicht, wer sich die Bilder bis dahin | |
heruntergeladen hat und sie in der nächsten Sekunde oder erst übermorgen an | |
einer anderen Stelle wieder verbreitet. | |
Wie wägen Sie ab zwischen dem Schutz vor sexuellem Missbrauch und | |
Eingriffen in die Netzwelt? Ist Julia von Weiler eine zweite Zensursula? | |
Sie sprechen mir ja unglaublich viel Macht zu. Wir sind immer dafür | |
eingetreten: Opferschutz muss in dieser Abwägung einen hohen Stellenwert | |
bekommen. Also: Wie viele Einschränkungen der Freiheit des Netzes sind | |
einzufordern, um die Kinder und Jugendliche online zu schützen? | |
Sie haben an der RTL II-Produktion "Tatort Internet" teilgenommen, die viel | |
Kritik bekommen hat. War es kontraproduktiv, da mitzumachen? | |
Nein, denn es hat eine riesengroße Aufmerksamkeit dafür hervorgerufen, wie | |
Chatforen von Kindern und Jugendlichen geradezu zum Anbahnen sexuellen | |
Missbrauchs einladen. Ich verstehe, dass es die Leute überfordern kann. Es | |
ist das eine zu hören, wie Online-Grooming erfolgt, und etwas ganz anderes, | |
es zu sehen und gewissermaßen selbst dabei zu sein. | |
Wurde die Schraube eine Umdrehung zu weit angezogen? | |
Ich glaube nicht. Die Debatte in den Zeitungen richtete sich auf | |
Datenschutz und auf Schutz der Identität, also auf die Täter. Was bei uns | |
direkt ankam, war etwas ganz anderes: Hunderte von Betroffenen haben uns | |
gesagt: "Vielen Dank, endlich hat mal jemand den Mut, den Finger in die | |
Wunde zu legen." Das kam in den Zeitungen nicht so rüber, leider. | |
Von welcher politischen Partei fühlen Sie sich am meisten verstanden? | |
Ich rede mit allen. Bei diesem Thema ist Fraktionszwang eigentlich Quatsch. | |
Überall gibt es engagierte Leute, die für unser Anliegen offen sind. Und | |
ich glaube, dass in der Debatte um die Netzsperren und bei der um die | |
europäische Richtlinie auf einem so abstrakten Niveau gesprochen wird, dass | |
viele nicht mehr verstehen, worum es geht. Deswegen wiederhole ich es gern: | |
Die Gesellschaft ist auf einem Auge blind, sie übersieht die Opfer viel zu | |
oft. | |
Verraten Sie uns noch, woher Sie Ihr Geld bekommen? | |
Ja klar, 270.173 Euro haben wir durch Spenden eingenommen und knapp 149.605 | |
Euro durch Fördermittel. 14 Prozent unseres Budgets gehen in Verwaltung, 86 | |
Prozent flossen 2009 in Projekte, zum Beispiel die Infoline N.I.N.A oder | |
Smart-User, ein interaktives Präventionsmodellprojekt. | |
Haben Sie Großspender, die bestimmte Ziele verfolgen? | |
Ich wollte schon lachen, aber Sie haben ja recht: "Wer wird Millionär" ist | |
Großspender. Unsere Präsidentin Stephanie zu Guttenberg hat dort eine halbe | |
Million gewonnen. Jetzt können wir nachdenken, in welche Projekte das Geld | |
fließen wird. | |
7 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Julia Seeliger | |
Christian Füller | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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