# taz.de -- Interview Missbrauch im Netz: "Aus Ansprechpartnern werden Täter" | |
> Pädophile Täter informieren sich in den Chatprofilen über ihre Opfer, | |
> sagt die Psychologin Julia von Weiler. Sie gewinnen dann das Vertrauen | |
> der Jugendlichen. | |
Bild: Auf in den Kunterbunt-Chat! Doch sind das wirklich nur Kinder, die sich d… | |
taz: Frau von Weiler, welche Altersgruppe ist am stärksten gefährdet und | |
wieso? | |
Julia von Weiler: Am meisten gefährdet sind Kinder und Jugendliche zwischen | |
10 und 15 Jahren. Sie fangen an, sich selbstverständlich in Chatrooms und | |
sozialen Netzwerken zu bewegen. Die Frage, wie sie sich schützen können, | |
stellt sich ihnen zunächst nicht. | |
Mag sein, aber die Kids lernen auch bald die Privatheitsregeln des Netz | |
kennen. | |
Ja, über die Privatsphären-Einstellungen können sie bestimmen, wer von den | |
Besuchern was sehen darf. Gleichzeitig haben sie aber so viele | |
Onlinekontakte - 144 im Schnitt -, dass sie oft schnell den Überblick | |
verlieren. Wenn allein "Freunde und Freunde meiner Freunde" Fotos sehen | |
können, multipliziert sich das bei 144 Freunden im Durchschnitt auf über | |
20.000. Das überblickt keiner mehr. | |
Gut, was hat das mit den Pädophilen im Netz zu tun? | |
Mögliche Täter und Täterinnen erfahren über diese Profile sehr schnell sehr | |
viel über die Jugendlichen. Sie können so gezielt auf ihre Interessen | |
eingehen, der erste Schritt wird ihnen so leicht gemacht. | |
Was bringt Jugendliche dazu, mit deutlich Älteren zu chatten und dabei | |
intime Details auszutauschen? | |
Täter oder Täterinnen können auch online eine Beziehung aufbauen. Sie | |
interessieren sich für alles, was Jugendliche beschäftigt. Sie geben sich | |
als jugendlich aus, machen sich vielleicht ein wenig jünger, verschweigen, | |
dass sie verheiratet sind und Kinder haben. Oder sie sagen, sie seien in | |
ihrem Beruf sehr erfolgreich. Mit der Zeit werden sie ein wichtiger | |
Ansprechpartner - und das nutzen sie dann, um nach und nach über sexuelle | |
Dinge ins Gespräch zu kommen. Von da ist es nur noch ein Schritt zu | |
sexuellen Handlungen. | |
Die Täter begegnen den Jugendlichen auf Augenhöhe? | |
Ja, und genau das ist so gemein. Denn wir alle wünschen uns doch Menschen, | |
die sich für uns interessieren und denen wir vertrauen können. | |
Welche Chatforen sind am gefährlichsten? | |
Nach wie vor wird uns viel über [1][Knuddels.de] berichtet. Im Prinzip | |
sollte man schauen, ob in den Chats genügend Moderatoren als | |
Ansprechpartner vorhanden sind. Und ob es dort so etwas wie einen | |
"Alarmbutton" gibt, über den man sich - wenn man in Not geraten ist - Hilfe | |
holen kann. | |
Was sollen Jugendliche beim Chatten im Internet beachten? | |
Sie sollten ihrem Gefühl vertrauen. Wichtig ist, sich nicht zu Dingen | |
verleiten zu lassen, bei denen sie sich unwohl fühlen. Sie müssen sich | |
klarmachen, dass im Netz alles wahr sein kann - oder auch nicht. Das ist | |
für uns alle schwer. Im Netz können wir leichter lügen und unsere Rolle | |
verlassen. "Im Netz kann ich all das sein, was ich nicht bin: cool, schön, | |
schlagfertig, sexy", sagte mal eine Jugendliche zu mir. Das gilt auch für | |
das Gegenüber. | |
Was können Eltern tun, um ihre Kinder zu schützen? | |
Eltern müssen ihre Kinder aufklären. Vage Umschreibungen sind keine Hilfe. | |
Kinder müssen außerdem wissen, dass es in Ordnung ist, darüber zu sprechen. | |
Sie müssen darauf setzen können, dass Erwachsene ihnen helfen, wenn sie | |
sich anvertrauen. Bis zu 90 Prozent aller sexualisierten Übergriffe finden | |
im sozialen Umfeld des Kindes statt - da gehören der Chatroom oder das | |
soziale Netzwerk längst dazu. Hier haben Täter und Täterinnen direkten | |
Zugriff auf das Kind. | |
Wie sollen Eltern reagieren, wenn ihre Kinder Opfer eines sexuellen | |
Übergriffs werden? | |
Eltern sollten Ruhe bewahren, so schwer das sein mag. Sie sollten den | |
Jugendlichen zuhören. Es wäre ganz falsch, ihnen im ersten Schreck die | |
Schuld zu geben. Wir müssen in diesem Moment für Kinder und Jugendliche da | |
sein. Eltern sollten zugleich aber auch begreifen, wie schamvoll das alles | |
für die Jugendlichen ist. Wenn die Vermutung besteht, dass ein Kind sexuell | |
missbraucht wird, hilft die Infoline N.I.N.A. Oder andere Nottelefone wie | |
"Sprechen hilft!". | |
Was können Opfer tun, welche Anlaufstellen gibt es? | |
Es ist wichtig, sich jemandem anzuvertrauen - auch wenn das schmerzt und | |
man sich schämt. Niemand hat das Recht, Kindern und Jugendlichen mit Worten | |
oder Taten wehzutun. Die Schuld und auch die Verantwortung liegen bei den | |
Tätern. Also, auch wenn es schwer fällt, bitte nicht den Mut verlieren und | |
sich Hilfe suchen! | |
Wie können sich Jugendliche schützen? | |
Das Internet ist ein eigener Raum. Also gilt es, klug zu sein mit dem, was | |
Jugendliche im Internet über sich offenbaren, und auf sein Gefühl zu | |
achten. Sobald sich jemand auffällig intensiv vor allem um deine Sorgen | |
kümmert, dann kann das ein Signal sein. Dazu gehören dann auch übertriebene | |
Komplimente - vor allem wenn sie sich auf Aussehen oder Körper beziehen und | |
wenn dabei dann Sex zum Thema wird. Wenn jemand großzügige Geschenke | |
anbietet oder Angebote macht, die sich einfach zu gut anhören, sollte man | |
misstrauisch werden. Dann sollten Kinder misstrauisch werden - und am | |
besten mit einer erwachsenen Vertrauensperson darüber sprechen. | |
24 Nov 2010 | |
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[1] http://Knuddels.de | |
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Schwerpunkt Überwachung | |
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