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# taz.de -- Männer in Kitas: "Ich hätte gern mehr"
> Früher hat sich niemand dafür interessiert, dass fast nur Frauen in Kitas
> arbeiten. Heute wollen alle, dass es mehr Erzieher gibt. Kristina
> Schröder startet jetzt ein Modellprogramm.
Bild: Horst Köhler ließ sich mal in einer Kita blicken. Wäre ja eventuell au…
André Schrom drückt Leonies Rücken sanft an die Wand. Darauf sind Striche
gezogen, Namen geschrieben und Daten. So, wie man das macht, wenn man sehen
will, wie schnell ein Kind wächst. André Schrom sagt: "Gleich wissen wir,
wie groß du im letzten Jahr geworden bist." Leonie streckt ihren Rücken
durch und schaut André Schrom erwartungsvoll an. Der zeichnet mit einem
Bleistift dort, wo der Kopf des fünfjährigen Mädchens endet, eine dünne
Linie. Dann greift er zum Zollstock und misst die Höhe.
André Schrom ist 23 Jahre alt und seit drei Jahren Erzieher in der Kita
Preußstraße im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, Leonie ist dort in der
großen Gruppe. Das Haus liegt versteckt in einer kurzen Sackgasse, es hat
einen großen Garten, viele Bäume und zurzeit Platz für 109 Kinder.
André Schrom hat eine weiche Stimme und eine altmodische Brille. Er ist
lang und schlaksig. Und ein Exot: Ein Mann in einem Frauenberuf. Er ist
einer von vier Männern in der Preußstraßen-Kita.
Das ist zu wenig, sagt Carsta Herfen, die Leiterin der Kita: "Ich hätte
gern mehr." Obwohl ihr Haus, in dem insgesamt 19 pädagogische Fachkräfte
arbeiten, mit vier Männern "schon besser bestückt" ist als die meisten
anderen Einrichtungen. Das Statistische Bundesamt hat ausgerechnet, dass
nur 3,5 Prozent der ErzieherInnen in ganz Deutschland männlich sind. Dabei
sind Männer in der Kita wichtig, findet Carsta Herfen: "Sie sind zwar nicht
besser als Frauen. Aber sie sind lockerer im Umgang mit den Kindern,
unternehmenslustiger und spontaner."
Das hat sie im Herbst wieder erlebt, als es noch mal so schön warm wurde.
Schrom war spontan mit seiner Gruppe auf "Berlin-Tour", am Grab von Königin
Luise im Schloss Charlottenburg. Warmes Mittagessen fiel aus, dafür packte
der Erzieher Würstchen ein, Stullen und Äpfel.
Seit einem Jahr sind Männer in Kitas ein großes Thema. Plötzlich wollen
alle mehr männliches Fachpersonal, die Eltern, die Erzieherinnen, die
Kita-Leitungen. Warum eigentlich? "Ich finde es einfach schön, wenn meine
Tochter von Frauen und von Männern betreut wird", sagt eine Mutter: "Als
ich im Kindergarten war, gab es nur einen Mann, den Hausmeister. Wir sind
immer auf ihm herumgeturnt."
Jetzt will die Mutter, dass ihre fünfjährige Tochter "Vielfalt" erlebt:
Erzieherinnen, die trösten und Erzieherinnen, die in der Kita-Werkstatt
hämmern, Erzieher, die auf Bäume klettern und Erzieher, die auch mal
traurig sind. Heute arbeiten in Kitas und Grundschulen fast nur Frauen.
Mädchen und Jungen erfahren nicht, wie Männer ticken. Das beklagen manche
Bildungsforscher schon länger. Wenn männliche Vorbilder fehlen, sagt Tim
Rohrmann, orientieren sich vor allem Jungs schnell an fragwürdigen medialen
"Vorbildern": Superman, Batman, Power Ranger.
Der Psychologe kennt sich bestens aus damit, er hat einige Bücher dazu
geschrieben und er plädiert seit Langem dafür, Männer in Kitas und in
Grundschulen ernster zu nehmen. Aber das ist nicht so einfach, sagt er:
"Bis jetzt war das ein echtes ,Orchideenthema'." Er steht am Pult einer
Kita-Fachtagung in Berlin und erzählt von seiner schwierigen Mission. Vor
15 Jahren hatte er mal eine Fortbildung dazu angeboten und Mühe gehabt, 15
Erzieher aus dem gesamten Bundesgebiet zusammenzubekommen.
Vor ein paar Jahren hat es Werbeaktionen gegeben in Hamburg, Hessen und
Schleswig-Holstein, eine hieß "Helden des Alltags". Keine war erfolgreich.
Heute wird für das Thema viel Geld ausgegeben. Das kommt zum Beispiel aus
dem Familienministerium, aus dem neuen Referat Jungen- und Männerpolitik.
12,5 Millionen Euro steckt Familienministerin Kristina Schröder (CDU) ab
Januar in das Modellprogramm "Mehr Männer in Kitas": 3.770 Einrichtungen in
76 Orten können damit ihr Gender-Know-how und ihr Männerkontingent
aufbessern. Um das Ganze zu steuern, gibt es in Berlin seit einem Jahr
MiKa, die Koordinierungsstelle "Mehr Männer in Kitas". In Brandenburg sind
gerade zwanzig arbeitslose Männer zu Erziehern umgeschult worden.
Ein ehrgeiziges Projekt. Die Ministerin begibt sich auf vermintes Terrain.
Nicht nur, dass das "Brandenburger Modell" umstritten ist.
Geschlechtergerechtigkeit gut und schön, sagen Kritiker. Aber es kann doch
nicht jeder Arbeitslose auf Kinder losgelassen werden, für den Beruf muss
man doch brennen und gut ausgebildet sein.
Außerdem will Kristina Schröder Männer für einen Job begeistern, der wenig
Prestige hat, schlechte Verdienstmöglichkeiten und kaum Aufstiegschancen
bietet. Rund 2.000 Euro brutto monatlich verdienen Erzieherinnen und
Erzieher, nur wenig mehr als Gabelstaplerfahrer. Welcher Mann will das
schon? Erzieher gelten als Weicheier und Ökoschlunzen, als peinlich und
lächerlich.
André Schrom kennt diese Vorurteile, aber sie sind ihm egal. "Ich wollte
noch nie einen dieser typischen Männerberufe ergreifen, Kfz-Monteur oder
Mechatroniker. Die Arbeit mit Kindern macht viel mehr Spaß." Als er in der
9. Klasse sagte, er mache ein Schülerpraktikum in der Kita, lachten alle.
In der öffentlichen Wahrnehmung wird das Thema auch immer wieder
überschattet durch sexuellen Kindesmissbrauch, gerade in den vergangenen
Monaten, als die Kette der Skandale in Schulen, Heimen und in der
Katholischen Kirche nicht abriss. Die Eltern stört das nicht. "Ich bin
zufrieden", sagt ein Vater.
In der Verkleidungsecke liegen Prinzessinnen- und Räuberkostüme. Kadiv
setzt sich eine Mädchenkrone auf und lacht. Manchmal beschweren sich Eltern
darüber, weil sie nicht wollen, dass ihre Söhne Kleider anziehen. Was sagt
André Schrom dann? "Das erlauben wir trotzdem."
Jetzt ist Michya dran, er ist vier und kommt aus Japan. "Du bist so viel
gewachsen", sagt der Erzieher und zeigt eine zentimetergroße Spanne
zwischen Daumen und Zeigefinger. Da fliegt die Tür auf. Darin steht Nick
Erdmann: klein, kompakt, kahlköpfig, an den Oberarmen tätowiert. "Tach",
ruft er. Er ist seit fünf Jahren Erzieher und seit vier Jahren hier in der
Preußstraße. Nick Erdmann ist noch exotischer als sein Kollege, er ist
Genderbeauftragter. Der erste in einer Berliner Kita überhaupt, bundesweit
hat er nur einen einzigen "Fachkollegen", den Männerbeauftragten in
Frankfurt am Main.
Seit einem Jahr ist Nick Erdmann im Amt, seitdem ist er begehrt wie Jörg
Pilawa in Quizshows. Neuerdings sitzt der Erzieher auf Podien und zieht von
Fachtagung zu Fachtagung. Sein Handy klingelt sich heiß, alle wollen
wissen: Wie kriegen wir Männer zu uns in die Kita? Was sagen die Eltern?
Sorgen mehr Erzieher dafür, dass die Erzieherinnen endlich mal
"aufgewertet" werden? Mehr Geld und mehr Prestige für einen geschmähten
Frauenberuf.
Es fragen sich alle aber auch das: Wie stellt man sich die neuen Erzieher
überhaupt vor? Mit Rastalocken und in Birkenstockschuhen? Oder doch "ganz
normal"? Offensichtlich nicht so wie Nick Erdmann. Als der 38-Jährige
einmal zu einer Konferenz kam, hielten ihn selbst seine BranchenkollegInnen
für den Hausmeister.
Elisa und Nelson wuseln um ihren Erzieher herum. Elisa krabbelt auf Nick
Erdmanns Schoß, der rümpft die Nase. "Ich glaube, da ist gründlich was in
die Hose gegangen", sagt der Mann. Er schmeißt die Zweijährige in die Luft,
die lacht. Nick Erdmann auch. Dann trägt er das Mädchen zum Wickeltisch im
Bad und wechselt die Windel.
Nick Erdmann war mal Koch und Soldat auf Zeit, aber beides langweilte ihn.
In der Bundeswehrfachschule ließ er sich zum Erzieher ausbilden. Er sagt:
"Ich kann mir nichts Besseres mehr vorstellen. Ich komme zur Arbeit und
zwanzig Menschen freuen sich, dass ich da bin."
Was machen André Schrom und Nick Erdmann anders als ihre Kolleginnen?
Nichts, sagt Nick Erdmann: "Wir Männer wollen nicht die besseren Frauen
sein. Aber wir geben auch nicht die Handwerker." Hämmern kann sowieso "die
kleine Gabi" viel besser. Aber niemand singt so viel mit den Kindern wie
André Schrom.
Sind die Männer Konkurrenz für die Frauen? Nö, sagt Carsta Herfen, die
Leiterin: "Bei uns jedenfalls nicht. Wir empfinden unsere Männer als
Bereicherung." Das muss woanders nicht so sein.
Den Kindern ist das alles vollkommen egal. Michya sagt: "André ist lustig.
Gabi ist auch lustig." Die Kinder unterscheiden nicht zwischen weiblichen
und männlichen Erziehern, sie wollen einfach, dass jemand mit ihnen spielt.
Ist das in der Preußstraße schon so, weil es dort Gabi und Carsta und Nick
und André gibt? "Keine Ahnung." Nick Erdmann zuckt mit den Schultern: "Wir
sind einfach so, wie wir sind."
8 Dec 2010
## AUTOREN
Simone Schmollack
Simone Schmollack
## TAGS
Schwerpunkt u24 taz
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