# taz.de -- Unterbringung von Sicherungsverwahrten: Wegsperren ja - aber wo? | |
> Seit Jahresbeginn können ehemals Sicherungsverwahrte erneut inhaftiert | |
> werden, wenn sie psychisch gestört und gefährlich sind. Doch den Ländern | |
> fehlt die Traute. | |
Bild: Keiner will die Gewalt- und Sexualtäter in seiner Nähe haben. | |
FREIBURG taz | Die Länder haben offensichtlich Schiss vor dem selbst | |
geschürten Populismus. Einerseits wollten sie unbedingt verhindern, dass | |
Gewalt- und Sexualtäter nach einem Straßburger Urteil aus der | |
Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen. Dafür hat ihnen der Bund | |
jetzt auch ein Gesetz an die Hand gegeben, das seit Jahresbeginn gilt. Doch | |
nun müssten die Länder sagen, wo sie die betroffenen Straftäter stattdessen | |
unterbringen wollen - und trauen sich nicht. | |
Am mutigsten war die baden-württembergische Sozialministerin Monika Stolz | |
(CDU). Kurz vor Silvester verkündete sie, dass bis zu zehn | |
Ex-Sicherungsverwahrte in einer ehemaligen Jugendarrestanstalt im | |
nordbadischen Wiesloch untergebracht werden sollen. Sofort protestierte der | |
Oberbürgermeister, der Standort sei völlig ungeeignet, weil ein | |
Kindergarten und eine Musikschule in der Nähe seien. CDU-Ministerpräsident | |
Stephan Mappus reagierte schnell und ordnete eine neue Suche an, bei der | |
auch auf "unabdingbare soziale Akzeptanz" zu achten sei. | |
Ähnlich war die Reaktion von Lokalpolitikern in Nordrhein-Westfalen. Als | |
dort das Frauen-Abschiebegefängnis in Neuss als möglicher Standort geprüft | |
wurde, protestierte sofort der dortige Oberbürgermeister via Bild-Zeitung: | |
"Die Schwerstkriminellen sollen mitten in unsere City einquartiert werden, | |
nur rund 300 Meter von Schulen und Kindergärten entfernt. Ein Unding!" | |
An diesem Freitag wollte die zuständige Gesundheitsministerin Barbara | |
Steffen (Grüne) auf Anfrage nur bestätigen, dass die Unterbringung | |
"möglichst in einer eigenständigen Einrichtung" erfolgt. Der Standort sei | |
noch nicht entschieden. Andere Länder wie Bayern und Hessen zeigen sich | |
noch verschlossener. | |
Konkret geht es um über hundert Straftäter, die sich derzeit auf ein Urteil | |
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berufen können. Das | |
Straßburger Gericht hatte die rückwirkende Verlängerung der | |
Sicherungsverwahrung im Jahr 1998 beanstandet. | |
Bis dahin war die Verwahrung auf zehn Jahre befristet, seitdem kann sie | |
unbefristet verhängt werden - auch für Taten, die vor 1998 begangen wurden. | |
Diese sogenannten EGMR-Altfälle müssen nach dem Straßburger Urteil also aus | |
der Verwahrung entlassen werden, wenn sie ihre Haftstrafe plus zehn Jahre | |
Sicherungsverwahrung abgesessen haben - selbst wenn sie dann noch als | |
gefährlich gelten. | |
Als Reaktion auf das Urteil hat der Bundestag im Dezember das | |
Therapie-Unterbringungsgesetz (ThUG) beschlossen. Das Gesetz erlaubt, die | |
zu entlassenden oder bereits entlassenen EGMR-Altfälle doch wieder | |
zwangsweise unterzubringen, wenn zwei Gutachten bestätigen, dass sie | |
"psychisch gestört" und deshalb fortdauernd gefährlich sind. | |
Der Bundestag wählte diesen Ansatzpunkt, weil die Europäische | |
Menschenrechtskonvention das Wegschließen psychisch Kranker auch ohne | |
erneutes Strafurteil erlaubt. Die Unterbringung dürfe aber nicht mehr im | |
Strafvollzug erfolgen. | |
Bundesweit können sich derzeit nach einer Länderumfrage der taz rund 105 | |
Personen auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte | |
berufen. Davon wurden 36 Personen bereits entlassen und werden teilweise | |
rund um die Uhr von der Polizei überwacht. | |
Die anderen rund 70 Verwahrten sollten eigentlich schon längst entlassen | |
sein, warten aber noch auf eine Entscheidung. Wie viele Personen am Ende | |
auf Grundlage des ThUG tatsächlich untergebracht werden, hängt von der | |
Entscheidung der Gutachter und Gerichte ab. | |
7 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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