# taz.de -- Debatte Sicherungsverwahrung: Kultur des Wegschließens | |
> Die Regierung hat bei der Gesetzesreform keine Vorkehrungen gegen | |
> Missbrauch getroffen. Nun müssen es Bundesgerichtshof und | |
> Bundesverfassungsgericht wieder hinbiegen. | |
Bild: Haftstrafe oder Sicherungsverwahrung? Die Aussicht ist die gleiche. | |
Die Sicherungsverwahrung droht zu einer Standardmaßnahme der deutschen | |
Kriminalpolitik zu werden. Schon seit 1998 stieg die Zahl der Verwahrten um | |
mehr als 160 Prozent auf heute über 520 Personen. Ausgerechnet die Reform | |
der liberalen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger befördert | |
die Ausweitung. | |
Die Zahl der Betroffenen könnte sich mittelfristig auf einige tausend | |
vervielfachen. Sicherungsverwahrung, das ist die massivste präventive | |
Maßnahme des Staates. Hier werden Menschen, die zum Teil abscheuliche | |
Verbrechen begangen haben, auch nach Verbüßung der Strafe nicht aus der | |
Haft entlassen. Vielmehr bleiben sie vorsorglich weiter weggesperrt, bis | |
sie nicht mehr als gefährlich gelten. | |
Ewig schuldige Sexualtäter | |
Die Reform dieser Haft nach der Haft hat zwei Teile und zwei Anlässe. Zum | |
einen will die Regierung verhindern, dass mehr als hundert Verwahrte | |
kurzfristig entlassen werden müssen. Diese können sich auf ein Urteil des | |
Straßburger Gerichtshofs für Menschenrechte berufen, doch mithilfe einer | |
neuen Begründung sollen viele von ihnen weiter hinter Gittern bleiben. | |
Die Diskussion über dieses heikle Manöver hat in den letzten Monaten den | |
Blick auf die eigentliche Reform der Sicherungsverwahrung verstellt. Sie | |
wäre aber ohnehin gekommen, denn sie setzt eine Vorgabe des schwarz-gelben | |
Koalitionsvertrags um. Geplant ist, die Sicherungsverwahrung künftig auf | |
Gewalt- und Sexualstraftäter zu konzentrieren. | |
Notorische Einbrecher, Betrüger und Heiratsschwindler, die heute noch 7 | |
Prozent der Verwahrten ausmachen, sollen nicht mehr vorsorglich weggesperrt | |
werden können. Die Sicherungsverwahrung darf dann auch nicht mehr | |
nachträglich - also erst in der Haft - verhängt werden. Hier kommt die | |
Bundesregierung einem erneuten Urteil des Straßburger Gerichtshofs zuvor. | |
Kern der Reform ist jedoch die deutliche Ausweitung der sogenannten | |
vorbehaltenen Sicherungsverwahrung. Bei ihr wird die Verwahrung im | |
Strafurteil noch nicht verhängt, sondern nur angedroht. Die eigentliche | |
Entscheidung fällt am Ende der Strafhaft. Die vorbehaltene | |
Sicherungsverwahrung gibt es zwar schon seit 2004, aufgrund restriktiver | |
Vorgaben spielt sie bisher aber keine große Rolle. | |
Künftig soll sie jedoch schon über Ersttäter verhängt werden können, und | |
ein Hang zu Straftaten muss nicht mehr nachgewiesen werden. Das ist | |
durchaus konsequent. Denn wenn sich die Sicherungsverwahrung zu Recht auf | |
Gewalt- und Sexualtäter fokussiert, will niemand auf den x-ten Rückfall | |
warten, bevor die Bevölkerung geschützt werden kann. | |
Verwahrung überstrapaziert | |
Nun besteht aber umgekehrt die Gefahr, dass aufgrund eines verhängnisvollen | |
Automatismus viel zu viele Menschen in Sicherungsverwahrung landen. Künftig | |
dürfte die Verwahrung bei schweren Gewalt- und Sexualtaten im Urteil fast | |
schon routinemäßig vorbehalten werden - es ist ja noch keine endgültige | |
Entscheidung … Wenn dann aber nach Verbüßung der Haftstrafe geprüft wird, | |
ob die Sicherungsverwahrung wirklich angeordnet wird, hängt dem Straftäter | |
schon das Etikett des potenziellen Rückfalltäters an, das er kaum noch | |
loswird. Die Zahl der Verwahrten könnte so geradezu inflationär steigen. | |
Denn wie soll ein Straftäter beweisen, dass er doch nicht gefährlich ist? | |
Unter den hochreglementierten Umständen der Strafhaft ist das kaum möglich, | |
darin sind sich Experten einig. Erforderlich sind Vollzugslockerungen wie | |
Hafturlaub oder die Verlegung in den offenen Vollzug, bei denen sich der | |
Gefangene bewähren kann. | |
Es ist aber sehr zweifelhaft, ob man Vorbehaltsgefangenen solche | |
Lockerungen der Vollzugspraxis überhaupt zugestehen wird. Viele | |
Anstaltsleiter werden dies gerade mit Verweis auf die erhöhte | |
Gefährlichkeit verweigern. Hier wäre eine gesetzliche Klarstellung sinnvoll | |
gewesen, dass auch Gefangene mit Verwahrungsvorbehalt grundsätzlich einen | |
Anspruch auf Haftlockerungen haben. Leider hat die Bundesregierung darauf | |
verzichtet. | |
Therapie als letzte Chance | |
Immerhin könnte ein Gefangener am Ende der Haft noch geltend machen, dass | |
er erfolgreich an einer Therapie teilgenommen hat und nun nicht mehr | |
gefährlich ist. So kann der Gefangene sogar hinter Gittern aktiv etwas tun, | |
um die angedrohte Sicherungsverwahrung noch abzuwenden. Im Umkehrschluss | |
heißt das aber auch: Wer eine Therapie verweigert oder abbricht, was nicht | |
selten ist, gilt schnell als besonders rückfallgefährdet und wird der | |
Sicherungsverwahrung kaum entgehen. "Selbst schuld", könnte man sagen. | |
Doch ein Staat, der sich vorbehält, Menschen vorsorglich wegzuschließen, | |
muss vorher alles versuchen, genau dies zu verhindern. Er muss den | |
Betroffenen weit entgegenkommen, etwa indem er einem Gefangenen, der sich | |
mit dem Gefängnistherapeuten überworfen hat, einen externen Therapeuten | |
anbietet. | |
Und ein Gefangener, der sich für unschuldig hält, wird zwar meist die | |
Aufarbeitung der bestrittenen Tat verweigern, kann sich aber vielleicht auf | |
eine Behandlung einlassen, in der er die Kontrolle über seine Aggressionen | |
lernt. Am besten wäre deshalb ein Therapieanspruch für alle | |
Vorbehaltsgefangenen gewesen, doch auch dies fehlt im Reformgesetz. | |
Der Gesetzgeber setzt ganz darauf, dass Gutachter und Gerichte mit dem | |
neuen Instrumentarium verantwortungsvoll umgehen werden. Doch ist dies | |
wahrscheinlich in einer gesellschaftlichen Stimmung, die von größtmöglicher | |
Risikovermeidung geprägt ist? Gerade bei Rückfalltätern wird heute immer | |
bohrender nachgefragt, ob der Rückfall nicht vermeidbar gewesen wäre. Und | |
im Nachhinein ist man ja immer schlauer. Welcher Richter, welcher | |
Sachverständige wird da einem Straftäter mit vorbehaltener | |
Sicherungsverwahrung eine Chance geben, wenn er im Fall des Scheiterns von | |
den Boulevardmedien an den Pranger gestellt wird? | |
Der Gesetzgeber hat wenig gegen die Gefahr getan, dass die vorbehaltene | |
Sicherungsverwahrung ausufert. Jetzt müssen wieder Bundesgerichtshof und | |
Verfassungsgericht die Kohlen aus dem Feuer holen. | |
2 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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