# taz.de -- Dietmar Bartsch über die Linkspartei: "Ernst hat Fehler gemacht" | |
> Die drei Gehälter von Parteichef Klaus Ernst, Gesine Lötzsch und das | |
> K-Wort: Ist die Linke noch zu retten? Der ehemalige Bundesgeschäftsführer | |
> Dietmar Bartsch erklärt, wie. | |
Bild: Ex-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch (li.) mit Parteichef Klaus Ern… | |
taz: Herr Bartsch, sind Sie nachtragend? | |
Dietmar Bartsch: Nein, aber auch nicht vergesslich. | |
Vor genau einem Jahr hat Gregor Gysi Sie beim Neujahrsempfang der | |
Linkspartei öffentlich bezichtigt, sich illoyal gegenüber Oskar Lafontaine | |
verhalten zu haben. Danach haben Sie als Bundesgeschäftsführer nicht mehr | |
kandidiert. Das ist nicht vergessen? | |
Nein, so einen Tag vergisst man nicht. Nicht nur weil es um mich ging, | |
sondern auch weil an diesem Tag ein Stück politischer Kultur in unserer | |
Partei kaputtgegangen ist. | |
Was bedeutet kulturell zerstört? | |
Es war ein einmaliger Vorgang, dass der Fraktionsvorsitzende dem | |
Bundesgeschäftsführer Illoyalität vorgeworfen hat. Ich war als direkt | |
gewählter Bundesgeschäftsführer und zuvor als Bundesschatzmeister immer | |
loyal zu den Zielen, Grundsätzen, Beschlüssen und Aufgaben der Partei. | |
Dahin hatten wir uns in der PDS von der personengebundenen Loyalität | |
gegenüber einem oder einer Vorsitzenden emanzipiert. Das machte es möglich, | |
Meinungsverschiedenheiten in innerparteilicher Solidarität auszutragen. | |
Sie waren überrascht, als Gysi Sie abgekanzelt hat? | |
Ich habe mit Gregor Gysi schwierigste Zeiten und Aufgaben erfolgreich | |
gemeistert. Er hat unendlich viel für den Erfolg der PDS und die Erfolge | |
der LINKEN geleistet. Ich habe bis zu diesem Tag nicht für möglich | |
gehalten, dass so etwas passieren kann. | |
Also war der 11. Januar 2010 der Beginn der Führungskrise der Linkspartei, | |
die bis heute andauert? | |
Wir haben bis 2009 zu recht die Parteibildung und die Wahlkämpfe in den | |
Mittelpunkt gestellt und politische Kontroversen nicht öffentlich | |
ausgetragen. Der Januar war Ausdruck politischer Konflikte. Danach ist ein | |
neunköpfiges Personaltableau mit Klaus Ernst und Gesine Lötzsch an der | |
Spitze ausgehandelt worden, das für Befriedung und Ausgleich sorgen sollte. | |
Ich habe das nächtliche Auswahlverfahren nicht kritisiert, weil es nötig | |
war, Handlungsfähigkeit zu zeigen. | |
Die neue Spitze ist akribisch nach Mann/Frau, Ost/West und den Strömungen | |
quotiert. Funktioniert das? | |
Man muss erstmal in Rechnung stellen, dass die Personalauseinandersetzungen | |
eine Hypothek für die neue Führung waren, die zum größten Teil daran | |
unbeteiligt war. Zweitens: Um den Erfolg der Parteiführung zu beurteilen, | |
ist es zu früh. Der misst sich an Mitgliederzahlen und Wahlergebnissen. Man | |
wird also Ende 2011 den Erfolg einschätzen können. | |
War Gesine Lötzschs Kommunismus-Lob ein Fehler? | |
Sie hat ja nicht den Kommunismus gelobt, sondern sich klar und deutlich zum | |
demokratischen Sozialismus bekannt. Die teilweise hysterische Reaktioen, | |
bis hin zum Gequatsche über ein Verbot, sind absurd. | |
Ist es kein Fehler von Kommunismus zu reden, ohne die Verbrechen zu | |
erwähnen? | |
Schon die PDS hat mit dem Stalinismus unwiderruflich gebrochen. Wir haben | |
uns zu Fehlern und Verbrechen bekannt. Es wird kein Zurück hinter diese | |
Position geben. | |
Ernst und Lötzsch scheinen die Unterschiede zwischen Ost und West - | |
Volkspartei hier, Protestpartei dort - noch zu katalysieren. | |
Diese Unterschiede kann und sollte niemand wegwischen. Es ist etwas völlig | |
anderes, ob wir, wie in Sachsen-Anhalt, stärkste Partei werden oder, wie in | |
Baden-Württemberg, erstmalig ins Parlament einziehen wollen. Wir müssen | |
diese Widersprüche produktiv machen. Wenn jemand aber vor allem | |
innerparteilich siegen will, werden wir unserer Verantwortung nicht | |
gerecht. Wir haben 11,9 Prozent bei den Bundestagwahlen erreicht. Das war | |
ein grandioser Erfolg, überhaupt nicht selbstverständlich für eine Partei | |
links von der SPD. Das war wesentlich ein Verdienst von Oskar Lafontaine. | |
Lafontaine will, dass die Linkspartei bei ihren drei großen Nein: Rente mit | |
67, Hartz IV, Afghanistan-Einsatz, bleibt. Reicht das? | |
Nein. Wenn wir 2013 mit den Themen von 2009 antreten, werden wir damit | |
nicht noch mal so erfolgreich sein. Sie bleiben, wie der Mindestlohn und | |
die Millionärssteuer, notwendig. Aber das reicht nicht. | |
Was fehlt? | |
Themen wie die Gesundheitspolitik, die Rückgewinnung des Öffentlichen und | |
die Ordnung der Finanzmärkte und der Haushalte werden bis 2013 eine große | |
Rolle spielen. Auch Demokratiefragen und neue Medien, nachhaltige | |
Entwicklung und Energieversorgung. Und wir dürfen uns nicht auf die SPD als | |
Hauptgegner fixieren, auch bei Hartz IV nicht. Unsere Hauptgegner sind die | |
Neoliberalen von Schwarz-Gelb. | |
Ist die Lage der Linkspartei, trotz Führungskrise, stabil? | |
Ja, wir liegen in den Umfragen zwischen acht und elf Prozent. Wir | |
profitieren nicht wie die Grünen von der Schwäche von Schwarz-Gelb. Aber | |
wir stehen solide da. Entscheidend, ob wir unser Ergebnis halten können, | |
wird sein, mit welchen Themen wir öffentlich durchdringen, welche Strategie | |
wir entwickeln und mit welchem Personal wir antreten. | |
Ist Klaus Ernst das Problem der Linkspartei? | |
Ach, nein. Er hat Fehler gemacht, mit seinen drei Gehältern und unbedachten | |
Äußerungen über den Osten. Aber es ist völlig naiv zu denken: Wenn Klaus | |
Ernst weg wäre, hätten wir kein Problem mehr. Natürlich sehe ich auch, dass | |
er die Konstituierung der Linken wesentlich mit auf den Weg gebracht hat. | |
Ist Ernst ein guter Parteivorsitzender? | |
Ich verteile keine Zensuren. | |
Parteivize Katja Kipping meint, dass West-Linke wie Klaus Ernst in der | |
Programmdebatte nur noch kleine Korrekturen zulassen wollen und lieber | |
Beton anmischen. Stimmt das? | |
Die Programmdebatte ist für die Partei extrem wichtig - und ohne | |
kontroverse Debatte ums Grundsätzliche geht es in unserer jungen linken | |
Partei nicht. | |
Also hat Kipping Recht mit ihrem Eindruck? | |
Wenn Katja Kipping als Vize-Parteichefin dies sagt, müssen sich alle | |
fragen, woher ihr Eindruck kommt und wie man das ändern kann. Es gibt in | |
der Partei manche die sagen: Wir verteidigen den Entwurf. Das ist so lange | |
in Ordnung, so lange diejenigen auch offen sind für Ergänzungen und | |
Veränderungen. Was aber absolut nicht geht ist, zu einer Debatte aufzurufen | |
und den Entwurf zugleich für sakrosankt zu erklären. | |
Lafontaine will drei Haltelinien im Grundsatzprogramm fixieren: keinen | |
Personalabbau, keinen Sozialabbau, keine Privatisierung, wenn die | |
Linkspartei regiert. Ist das klug? | |
Nein. Haltelinien gehören meines Erachtens nicht in Parteiprogramme. Es | |
muss aber auch klar sein, was Herz und Seele einer Partei ist, was sie um | |
den Preis ihres Zerfalls nicht machen kann und wird. Ich hoffe, dass wir am | |
Ende der Programmdebatte die Haltelinien durch etwas Besseres ersetzt haben | |
werden. | |
Also doch rote Linien? | |
Nein, das Programm soll die großen Linien der nächsten zehn, fünfzehn Jahre | |
beschreiben. Da wären Haltelinien ein zu kleines Karo. Außerdem: Warum denn | |
diese drei? Warum nicht ein klares Bekenntnis gegen Rassismus und | |
Antisemitismus, die für mich in einer linken Partei nichts verloren haben? | |
Oder ein Nein zu Kriegseinsätzen. Außerdem: Den Fetisch "kein | |
Personalabbau" können Linke, die in Kommunen und Ländern regieren, nicht | |
einhalten. Und zwar nicht weil sie böse Abweichler sind, sondern weil sie | |
sonst unter Zwangsverwaltung gestellt werden. Ich bin für mehr Lehrer, wo | |
mehr Lehrer gebraucht werden, auch für mehr Beschäftigte in Bereichen des | |
öffentlichen Dienstes, aber mehr Schlapphüte beispielsweise brauchen wir | |
nicht. Man muss also immer die konkrete Lage sehen und differenzieren. | |
Die Ostpragmatiker haben gehofft, dass sich der abstrakte Radikalismus der | |
West-Linken abschleift, wenn sie erst mal in Kommunalparlamenten über | |
Ortsumgehungen brüten. Hat sich das erfüllt? | |
Ja, es gibt diesen Prozess. In Hamburg und Niedersachsen z.B. lobt uns | |
sogar die politische Konkurrenz für unsere Sacharbeit in den | |
Landesparlamenten. Im Norden, wo die Partei in Landes- und | |
Kommunalparlamenten vertreten ist, ist sie stabiler - während sie etwa in | |
Rheinland-Pfalz, wo die Kommunalwahl katastrophal lief, oder in Bayern tief | |
zerstritten ist. Es ist einfach so, dass das Engagement unter konkreten | |
Handlungsbedingungen in Parlamenten, Verbänden und Gewerkschaften auch der | |
Partei hilft. Wer als Linker Chef des örtlichen Karnevalsvereins oder in | |
der Feuerwehr aktiv ist, tut auch für die Partei sehr viel. Kann sein, dass | |
manche das ungern hören. Aber so ist es. | |
Glauben Sie eigentlich noch an Rot-Rot-Grün? | |
Mit dem Glauben ist das so eine Sache. Rot-Grün wird 2013 keine eigene | |
Mehrheit bekommen. Man sollte sie auch besser - siehe Agenda 2010, Hartz | |
IV, Kriegseinsätze - nicht alleine regieren lassen. Eine abstrakte | |
Rot-Rot-Grün Debatte nützt nichts. Das wächst in und aus der Gesellschaft | |
oder wird es nicht geben. Aktuell geht es konkret darum, die CDU aus | |
Landesregierungen zu drängen. Etwa in Sachsen-Anhalt. Da kämpfen wir darum, | |
im März stärkste Partei zu werden und dass Wulf Gallert Ministerpräsident | |
wird. | |
Daraus wird nichts, weil die SPD nicht Juniorpartner der Linkspartei wird. | |
Das hat sie angekündigt, aber ich rate dazu, bis zum 20. März 18 Uhr zu | |
kämpfen und dann zu sondieren. Die SPD in Sachsen Anhalt sagt selbst, dass | |
sie politisch mehr Übereinstimmungen mit der Linken als mit der CDU hat. | |
Ich kann eine SPD nicht verstehen, die sich in NRW von, wie Sigmar Gabriel | |
sagt, Sektierern der Linken tolerieren lässt, aber nicht bereit ist, mit | |
den angeblichen Realos in Sachsen/Anhalt zu regieren. Diese Logik versteht | |
nur Gabriel. | |
Nochmal: Hat Rot-Rot-Grün eine Perspektive? | |
Ja, In NRW sorgen wir doch dafür, dass Rot-Grün regieren kann. Die SPD tut | |
zwar in Ländern, in denen sie regiert, etwa durch | |
Verfassungsschutzbeobachtung der Linken einiges dafür, das Verhältnis zu | |
beschweren. Aber zwischen einzelnen Politikerinnen und Politikern geht es | |
entspannter als früher zu. Man muss nochmal daran erinnern: Vor 15 Jahren | |
hätte sich niemand träumen lassen, dass Berlin zehn Jahr lang erfolgreich | |
Rot-Rot regiert wird. Bleiben wir also gelassen. | |
Obwohl Gabriel ein Bündnis mit der Linkspartei nach Lötzschs | |
Kommunismus-Äußerungen auf Bundesebene ausgeschlossen hat? | |
Wir werden 2013 für unsere Positionen werben, nicht für Koalitionen. Der | |
Genosse Gabriel ändert seine Meinung manchmal bekanntlich schnell. | |
10 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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