# taz.de -- Kommunismus-Debatte: Die etwas andere Wahrheit | |
> Lötzsch ließ ihren Kommunismustext vom linken Philosophen Michael Brie | |
> schreiben. Ihre Eigenleistung hingegen: Die Streichung der Passagen über | |
> kommunistische Verbrechen. | |
Bild: Im Zentrum der Aufmerksamkeit: Gesine Lötzsch, Linksparteichefin. | |
BERLIN taz | Die Debatte um den umstrittenen Kommunismustext von | |
Linksparteichefin Gesine Lötzsch reißt nicht ab. Wie jetzt bekannt wurde, | |
hat Lötzsch entgegen anderslautender Äußerungen den Text nicht selbst | |
verfasst. Aus der Ursprungsversion hat sie aber wichtige Passagen | |
gestrichen - um stattdessen die seit Tagen heftig kritisierten Stellen | |
einzufügen, die sich unreflektiert mit dem Kommunismus beschäftigen. | |
Nach taz-Informationen wurde der linke Philosoph und Mitarbeiter der | |
parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung Michael Brie gebeten, einen Textentwurf | |
für den Beitrag von Lötzsch für die junge Welt zu verfassen. Der | |
Reformsozialist Brie kam dieser Bitte nach. Er selbst wollte das am | |
Dienstag gegenüber der taz weder bestätigen noch dementieren. | |
"Unreflektierter Umgang" | |
An sich ist es kein ungewöhnlicher Vorgang, wenn ranghohe Parteipolitiker | |
sich von Experten zuarbeiten lassen. Pikant ist jedoch die Bearbeitung des | |
Textes durch Lötzsch. Von Bries Ursprungsversion, die die | |
Rosa-Luxemburg-Stiftung nicht herausgeben will, sei an einigen Stellen vom | |
"Terror des Bolschewismus" und dessen Opfern die Rede gewesen, heißt es aus | |
der Stiftung. In Lötzschs Text fehlen derartige Passagen gänzlich. | |
Stattdessen habe sie die ersten Absätze des Textes, in denen sie sich mit | |
dem Kommunismus auseinandersetzt, eingefügt. "Die Wege zum Kommunismus | |
können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie | |
ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung", so die | |
entscheidende Passage. In der Stiftung zeigt man sich darüber verwundert, | |
kritisiert das als "unreflektierten Umgang mit dem Kommunismus-Begriff". | |
Gesine Lötzsch wollte am Dienstag auf taz-Anfrage keine Stellungnahme | |
abgeben. Gegenüber Spiegel Online sagte sie lediglich: "Ich habe mir | |
natürlich zuarbeiten lassen, ich äußere mich aber nicht zu | |
Bearbeitungsschritten. Es ist doch logisch, dass man Zuarbeiten nicht eins | |
zu eins umsetzt." | |
Kritik von Parteifreunden, die sie zuvor teils heftig für ihre Einlassungen | |
über den Kommunismus zurechtgewiesen hatten, gibt es an der jetzt bekannt | |
gewordenen Entstehung des Textes kaum. Lediglich der Bundestagsabgeordnete | |
Jan Korte sagte der taz: "Es ist immer eine gute Nachricht, wenn Michael | |
Brie zuarbeitet. Wie man seine Texte dann umarbeitet, ist aber jedem selbst | |
überlassen." Er selbst jedenfalls schreibe seine Texte lieber selbst. Korte | |
sieht nach den neuesten Erkenntnisse aber keinen Grund, die Debatte weiter | |
zu eskalieren. "Jetzt muss auch mal Schluss sein mit der Sache", sagte der | |
Linksparteiabgeordnete. | |
Auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung versucht die Wogen zu glätten. Zunächst | |
hieß es am Dienstagmorgen, man habe Lötzsch verschiedene Texte zum | |
gewünschten Thema geliefert, aus denen die Rede dann zusammengebaut wurde. | |
Später wurde dann bestätigt, dass Michael Brie tatsächlich direkt für den | |
Anlass einen Text verfasst hatte. | |
Für Gesine Lötzsch wird der Fall immer ungemütlicher. "Ich bin Demokratin | |
mit Haut und Haar", sagte sie am Montag beim politischen Jahresauftakt | |
ihrer Partei. Am Samstag erntete sie bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz der | |
jungen Welt heftigen Beifall, als sie gegen Kritiker und Medien schoss. Dem | |
Vorwurf, sie habe sich unreflektiert mit dem Kommunismus-Begriff | |
auseinandergesetzt, entgegnete sie: "Ich habe beim Schreiben des Textes an | |
die Opfer des Stalinismus gedacht. Wie kann ich es denn nicht tun." | |
Ein ziemlich eigenwilliger Umgang mit der Wahrheit. Denn selbst geschrieben | |
hat sie den Text nicht. Und an die Opfer kann sie lediglich beim | |
Herausstreichen derselbigen gedacht haben. | |
11 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
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