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# taz.de -- Bundeswehr in Afghanistan: Das Jahr der Entscheidung
> Der Abzug soll Ende 2011 beginnen - wenn die Lage es zulässt. Aber wie
> ist denn die Lage momentan in der Provinz, aus der die Soldaten zuerst
> abziehen würden?
Bild: Abhängig von der Lage, dürfen sie Ende des Jahres womöglich ihre Koffe…
FAISABAD taz | Es ist ein kahler, kalter Flur, in dem Schams Mohad an einem
kühlen Januartag steht und in seinen grauen Bart lacht. Der Flur gehört zu
einer Mädchenschule, an der 42 Lehrerinnen unterrichten. Der 56-jährige
Mohad ist ihr Chef und der einzige Mann an der Chatta-Highschool.
"Natürlich könnte auch eine Frau die Leiterin sein", sagt er und verweist
auf seine Vorgängerin.
Hier lernen 780 Schülerinnen an einfachen Holztischen in winzigen
Klassenräumen; die Bundesregierung unterstützt das Projekt im Rahmen der
zivilen Aufbauhilfe. In Faisabad selbst müht sich die Bundeswehr
währenddessen, vereinzelte Aufständische zurückzudrängen. Wenn die
ursprüngliche Idee von "Entwicklungshelfern in Uniform" in Afghanistan noch
irgendwo umgesetzt wird, dann vermutlich hier, in der Mädchenschule von
Schams Mohad.
Faisabad ist die Hauptstadt von Badachschan, einer der ärmsten Provinzen im
Nordosten des Landes. Aber es ist zugleich eine der friedlichsten. Am Fluss
Kocha erstreckt sich die Stadt längs eines Tals, das nur bei gutem Wetter
angeflogen werden kann. Eine Gebirgskette umschließt die Stadt, die Gipfel
sind schneebedeckt. Früher war Badachschan die Heimat der Nordallianz, die
schon vor dem Einmarsch der Alliierten Truppen vor fast zehn Jahren
Widerstand gegen das Talibanregime geleistet hatte.
Knapp 300 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind hier stationiert,
doch die erbitterten Kämpfe in der Region Kundus, nur einige hundert
Kilometer westlich, scheinen weit weg zu sein. Es gibt selten Unruhe, zwei
Geschosse trafen im vergangenen September das Bundeswehrlager - geringer
Materialschaden. Einzelfälle. Die Entscheidung der Bundesregierung, 2011
mit dem Abzug aus Afghanistan zu beginnen, kann deshalb auch für die Region
direkte Folgen haben. Denn Faisabad steht auf der Liste der Orte, aus denen
abgezogen werden soll, weit oben.
Schams Mohad gestikuliert, er hat von diesen Gerüchten gehört, sagt er,
während der kalte Wind durch den Flur der Chatta-Mädchenschule pfeift. Die
Abzugsperspektive behagt ihm nicht. "Es ist gut, dass die Bundeswehr hier
ist. Die Taliban wissen das und würden sonst in die Stadt kommen. Wir
hoffen, dass wir in drei oder vier Jahren auf eigenen Beinen stehen können
- jetzt sind wir noch nicht so weit."
Doch die Politik hat ihre eigenen Gesetze, und spätestens seit der
Natokonferenz in Lissabon im November und der konkreten Abzugsansage von
US-Präsident Barack Obama kommt keine Diskussion über Afghanistan mehr ohne
genaue Daten aus.
Wenn es die Lage zulässt
Es geht um die eventuelle Beendigung des Einsatzes im Jahr 2014, um eine
baldige Übergabe der Verantwortung in puncto Sicherheit und Verwaltung an
die Afghanen. Auch die Bundesregierung hat sich mit ihrem
Kabinettsbeschluss auf den Beginn des Abzugs 2011 festgelegt - wenn es die
Lage zulässt.
Vorangegangen war ein öffentlich ausgetragener Streit zwischen
FDP-Außenminister Guido Westerwelle, der unbedingt 2011 den Abzug beginnen
will, und CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der sich
für den Fall einer schlechteren Sicherheitslage unbedingt ein Türchen offen
halten möchte.
Am Ende einigten sich die Minister auf einen bis zur Unleserlichkeit
verklausulierten Kompromiss: "Die Bundesregierung ist zuversichtlich, im
Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die Präsenz ab Ende 2011
reduzieren zu können", steht im Mandatstext, "und wird dabei jeden
sicherheitspolitisch vertretbaren Spielraum für eine frühestmögliche
Reduzierung nutzen, sofern die Lage dies erlaubt und ohne dadurch unsere
Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden".
"Die Debatte in Berlin berücksichtigt nicht die Situation in Afghanistan",
sagt der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour, der Faisabad letzte
Woche besucht und sich ein ausführliches Bild von der Situation vor Ort
gemacht hat.
Es ist der vergangene Donnerstag, die UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) hat
eingeladen. An einer langen Tafel diskutieren zwanzig Mitarbeiter
verschiedener Organisationen bei Neonlicht und afghanischem Gebäck die
Perspektiven für Faisabad. "Für uns ist die Bundeswehr nicht nur Militär -
sie engagiert sich in allen Bereichen des Lebens", sagt Mohamed Nazir,
Projektmanager der amerikanischen Entwicklungsorganisation USAID. "Mancher
fürchtet, wenn die gehen, bricht hier alles zusammen."
Ob Mädchenschule oder UNO, es ist so etwas wie der öffentlich wahrnehmbare
Konsens bei den Aufbauhelfern in Faisabad: Die Deutschen müssen bleiben,
sonst wird alles schlechter. Dahinter steht nicht nur die Angst vor der
Unsicherheit. Es ist vor allem die Angst, dass mit einem Abzug des Militärs
auch das Geld für die zivile Hilfe ausbleiben könnte.
Die Bundeswehr ist für Faisabad längst mehr als eine militärische
Schutztruppe. Das Camp ist zum Wirtschaftsfaktor in der Stadt geworden.
Denn durch den dauernden Bedarf an Übersetzern, Reinigungskräften oder
Monteuren schafft die Bundeswehr Jobs, die vielen Menschen bisher
unbekannten Wohlstand bringen.
Aus Kreisen der deutschen Aufbauhelfer in Faisabad wird zumindest die Sorge
zerstreut, dass die zivile Unterstützung von der Anwesenheit der Truppen
abhängig ist. "Die deutschen Hilfsorganisationen werden ihr Engagement eher
noch erhöhen", heißt es, auch Vertreter der Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit (GIZ, vormals GTZ), die ein Energieprojekt in der Stadt
betreuen, haben sich festgelegt: "Wir bleiben, ob mit oder ohne
Bundeswehr." Der Grüne Nouripour wird noch deutlicher: "Die Sicherheitslage
ermöglicht feste Zusagen für den weiteren zivilen Aufbau."
Selbst die Bundeswehr sieht die Sicherheitslage nicht dramatisch: "Ein
Abzug aus Faisabad im Jahr 2011 wäre relativ früh", heißt es aus der
Führungsebene des Feldlagers. "Die afghanische Seite würde sich aber in die
Situation hineinfinden, hier für Sicherheit zu sorgen."
Unterdessen kündigen sich bei einem direkt mit der Bundeswehr verbundenen
Programm Veränderungen an: In einem Schreiben an die deutschen
Polizeiausbilder kündigt das Bundesinnenministerium ein baldiges Ende des
Aufbauprogramms "Focused District Development (FDD)" in Faisabad an. Das
Schulungsprogramm für die afghanischen Polizeikräfte soll "vor dem ersten
Schnee" beendet sein, heißt es. Stichtag sei der 31. 10. 2011. Das
Innenministerium dementierte gegenüber der taz.
Drei Bedingungen seien für einen Abzug aus Faisabad wichtig, sagt der
Abgeordnete Nouripour. Man müsse den Afghanen die Angst nehmen, dass die
zivile Hilfe mit dem Militär geht; man müsse zusichern, dass die Helfer in
kritischer Lage ausgeflogen werden könnten; man sollte die
Frühjahrsoffensive der Aufständischen abwarten, weil sich dann die
Schwerpunkte der Kämpfe verschieben könnten.
"Wenn das erfüllt ist", sagt Nouripour, "macht das Feldlager der Bundeswehr
keinen Sinn mehr."
13 Jan 2011
## AUTOREN
Gordon Repinski
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