# taz.de -- Debatte Afghanistan: Was lief schief? | |
> Die Bundeswehr hätte sich niemals der Angriffslogik der USA anpassen | |
> dürfen. Die Jagd auf die Taliban hat diese politisch massiv gestärkt. | |
Bild: Die große Einsamkeit: Bundeswehrsoldat in Afghanistan. | |
Es ist das aufwändigste, langwierigste und riskanteste Unternehmen, in das | |
die Bundeswehr je entsandt wurde. Jetzt stehen die Zeichen auf Ausstieg. | |
So wenig wie ihre Nato-Partner werden die deutschen Soldaten den Hindukusch | |
als Sieger verlassen. Zu desolat fällt die Interventionsbilanz aus. | |
Kontinuierlich steigende Opferzahlen vermeldet die Statistik seit 2006, | |
2010 waren die Verluste am höchsten. "Jedes Jahr töten wir mehr Taliban, | |
und jedes Jahr gibt es mehr von ihnen" - bitterer hat niemand das | |
Afghanistan-Debakel resümiert als Richard Holbrooke, Washingtons jüngst | |
verstorbener Sondergesandter für die mittelasiatische Krisenregion. | |
Anbiederung an die USA | |
Mit 12.000 Soldaten hoffte man anfangs, das Land dauerhaft zu befrieden. | |
Inzwischen beträgt der Truppenumfang das Zehnfache. Die magische | |
Personalgrenze von 100.000 ist längst überschritten. Das war die | |
Mannschaftsstärke, mit der die Sowjetunion ein Jahrzehnt lang am Hindukusch | |
Krieg führte, ehe sie zermürbt aufgab. Für die Invasoren von heute liegt | |
der optimale Zeitpunkt, ein ähnliches Fiasko zu vermeiden, schon weit | |
zurück. Ihren größten Triumph verbuchten sie gleich zu Beginn, als die | |
Taliban-Herrschaft binnen wenigen Wochen unter massiven Luftschlägen | |
zusammenbrach. | |
Ihren größten Fehler begingen sie anschließend, indem sie mit | |
unverminderter Härte den Waffengang gegen den schon entmachteten Gegner | |
fortsetzten. Als der UNO-Sicherheitsrat die multinationale | |
Unterstützungstruppe Isaf ins Leben rief und mit einem eng begrenzten | |
Auftrag versah, entstand die unheilige Allianz von Wiederaufbauhelfern in | |
Uniform und Antiterrorkriegern mit Rambo-Manieren. Dass sich fortan in | |
Afghanistan zwei Militärkontingente mit verschiedenen Zielen und | |
unterschiedlichen Mitteln gegenseitig im Wege standen, geschah nicht auf | |
deutsches Betreiben, wohl aber unter deutscher Mitwirkung. Auch gegen die | |
Verschmelzung beider Missionen unter dem Nato-Dach und einem amerikanischem | |
Oberbefehlshaber ließ sich kein Protest vernehmen. Fortan dominierte im | |
ganzen Land die Jagd auf die schon von der Bildfläche verschwundenen | |
Aufständischen. | |
Parallel dazu brach die Sicherheitslage ein. Den Taliban gelang das | |
befürchtete Comeback. Die internationale Militärpräsenz insgesamt verlor an | |
Rückhalt in der Bevölkerung. In den Augen vieler Afghanen wurden aus | |
Beschützern Besatzer. Bei jeder Verschärfung der Gangart war die | |
Bundesregierung, ungeachtet ihrer parteipolitischen Zusammensetzung, den | |
Alliierten ein fügsamer Partner. Oft wider bessere Einsicht vollzog sie | |
nach, was das Bündnis vorgab. Die Skepsis gegenüber dem Konzept regionaler | |
Wiederaufbauteams ließ sie fallen. So gelangte die Bundeswehr 2003 nach | |
Kundus. | |
Keinerlei Fehlerbilanz | |
Die damaligen Oppositionsparteien, die heute die Regierung bilden, | |
bezweifelten den Sinn des Vorhabens und sprachen von politischem | |
Ablasshandel, den die Bundeswehr leisten müsse, weil sie sich der Teilnahme | |
an der Okkupation des Irak entzog. Der Anforderung deutscher | |
Aufklärungsflugzeuge begegnete die Bundeskanzlerin 2006 mit der Forderung | |
nach einer umfassenden Bilanz der Defizite der bisherigen Strategie. Die | |
blieb aus, die Tornados stellte sie trotzdem. | |
Den größten Anpassungsschritt an die Erwartungen Washingtons unternahm die | |
Bundeswehrführung im Frühjahr 2009: Sie zog ihre Vorbehalte gegen | |
Einsatzregeln zurück, die den Isaf-Truppen einräumen, auch jenseits | |
unmittelbarer Selbstverteidigung von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. | |
Ohne viel Aufhebens modifizierten die deutschen Kräfte ihren | |
Operationsstil. Statt nur passiv Patrouillen zu fahren, suchten sie immer | |
häufiger das offene Gefecht. Die Bundeswehr zeige, so ein Pressesprecher | |
selbstbewusst, dass sie in der Lage sei, gegnerische Kräfte zu stellen "und | |
auch zu töten". Bei den Verbündeten habe man damit gepunktet. Bestand etwa | |
darin der Auftrag? | |
Ein halbes Jahr später führte der Luftangriff auf die gekaperten Tanklaster | |
im Flussbett bei Kundus einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen, wie | |
einschneidend sich das Aufgabenverständnis der Bundeswehr gewandelt hatte. | |
Getroffen werden sollten außer den Fahrzeugen auch die umstehenden | |
Personen. Etliche davon waren unbeteiligte Zivilisten, darunter Kinder und | |
Jugendliche - möglicherweise Sympathisanten der Taliban, aber keinesfalls | |
Kombattanten. | |
Wir hätten dort klotzen können | |
Afghanistan zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Das war vor der Invasion | |
so, das hat sich seither nicht geändert. Unter 500 Dollar je Einwohner und | |
Jahr liegt das Bruttosozialprodukt. Auf fast 2.000 Dollar pro Kopf der | |
afghanischen Bevölkerung summieren sich die jährlichen Kriegskosten der | |
Interventionsstaaten, Tendenz immer noch steigend. | |
Die Relation verdeutlicht, wie mit Projekten ziviler Entwicklung in dem | |
ausgezehrten Land geradezu hätte geklotzt werden können, wären die | |
eingesetzten Mittel nicht in Verwendungen geflossen, die ihre Wirkung | |
schuldig blieben. Auch daran trägt die deutsche Politik Mitverantwortung. | |
Jahr für Jahr ließ sie sich den Militäreinsatz rund viermal so viel kosten | |
wie die zivile Aufbauhilfe. Sie korrigierte das Missverhältnis erst in | |
jüngster Zeit. | |
Die Richtlinien, nach denen die Bundeswehr gegenwärtig in Afghanistan | |
vorgeht, machen ungenaues Hinsehen quasi zum Programm. Sie erlauben den | |
gezielten Schuss nicht nur auf Personen, die feindselig handeln, sondern | |
auch auf solche, die feindseliges Handeln planen. Welche Dienstvorschrift, | |
welcher Vorgesetzte verrät dem Soldaten im Einsatz, woran er feindseliges | |
Planen erkennt? | |
Wenn inzwischen sogar die Politik beim Namen nennt, dass es Krieg ist, in | |
dem sich die Bundeswehr befindet, bleibt zu ergänzen: nicht ohne eigenes | |
Zutun. Effizienz heißt das Schlüsselwort der Militärreform, die in Berlin | |
auf der Tagesordnung steht. Mehr Kampfkraft, mehr Waffenwirkung zu | |
niedrigeren Kosten ist das Ziel. Denn Auslandseinsätze, so der | |
Verteidigungsminister, müssen für die Bundeswehr zur Selbstverständlichkeit | |
werden. Doch von selbst versteht sich nach den afghanischen Erfahrungen gar | |
nichts mehr. | |
20 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Mutz | |
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Schwerpunkt Christian Ströbele | |
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