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# taz.de -- Christian Ströbele über Afghanistan-Einsatz: Ändert endlich die …
> Die Rede, die ich für die Grünen im Bundestag halten will, die sie mich
> aber nicht halten lassen. Doch wir können nicht einfach so weitermachen.
Bild: Bundeswehrsoldat bei Kundus: "Die Bundeswehr wird immer mehr als Besatzer…
Ich lehne eine erneute Verlängerung des Isaf-Mandats der Bundeswehr ab.
Das ehemals fast friedliche Isaf-Mandat für die deutschen Soldaten für den
Schutz der Regierung und Verwaltung in Kabul und mit dem Auftrag, Waffen
nur einzusetzen zum Schutz der Bevölkerung oder zum Eigenschutz in der
konkreten Situation, ist von Nato und Bundesregierung pervertiert worden in
ein Mandat zum Krieg. Krieg mit immer mehr Soldaten und mit immer mehr
Opfern.
Unter diesem Mandat wurden im letzten Jahr mehr Menschen getötet und
verletzt als jemals zuvor unter dem Kampfmandat "Enduring Freedom". Über
10.000 Zivilisten, Polizisten, Staatsangestellte, Soldaten und Mitarbeiter
von Hilfsorganisationen haben ihr Leben verloren. Die Zahl der
Nato-Soldaten wurde um mehr als 30 Prozent auf ca. 140.000 erhöht, die der
deutschen auf 5.350 aufgestockt. Die neue Strategie heißt "Partnering".
Unter dieser Tarnbezeichnung zieht die Nato in Kampfeinsätze Seit an Seit
mit Afghanen, zuweilen auch ohne diese. Großoffensiven in Helmand oder
Kandahar sowie im Norden, wo die Bundeswehr die Verantwortung trägt. Und
die Nato unterstützt die Tötung von Zielpersonen (Targeting).
Die Bundesregierung stellt eine verbesserte Sicherheitslage fest und gibt
sich zuversichtlich. Stattdessen aber verschlechtert sich die militärische
Lage jedes Jahr dramatisch. So werden trotz Großoffensive aus der Provinz
Helmand ein Jahr später schwerste Verluste der Nato gemeldet. Im letzten
Monat starben 25 alliierte Soldaten, meist aus den USA. Der
UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan von 2008 bis 2010, Kai Eide, stellte
fest, "aus der "Clear - hold - build"-Strategie sei eine "Clear and again
clear"-Übung geworden." Das heißt: Die Regionen werden nicht gehalten oder
gar aufgebaut, sondern nur immer wieder gesäubert. In Marja begann im
Februar 2010 eine Nato-Offensive, die drei Monate später erfolgreich
beendet sein sollte. Heute steht fest, sie ist gescheitert.
Die US-Streitkräfte verstärken den Offensivkrieg im Rahmen der "Counter
Insurgency" durch extralegale Hinrichtungen in nie gekanntem Ausmaß.
Hunderte von Zielpersonen werden Opfer von Kommandooperationen. Immer mehr
unbemannte Drohnen werden in Afghanistan und im angrenzenden Pakistan
eingesetzt. Die USA verweigern jede nähere Auskunft zu diesen Operationen.
Aber nach Medienberichten sollen nur etwa ein Drittel Aufständischen
gegolten haben. Laut New York Times gab es 2010 sechsmal so viele solcher
Kommandooperationen. Auch die Bundeswehr benennt Zielpersonen für die
Targeting-Listen von Isaf bzw. Nato.
Diese Geheimoperationen treiben den Aufständischen immer mehr Kämpfer zu.
Sie verhindern Verhandlungslösungen. Denn wie soll mit denen verhandelt
werden, die mit Drohnen gejagt und getötet werden?
Das Ansehen der Deutschen in Afghanistan sinkt rapide, und auch die
Bundeswehr wird immer mehr als Besatzer wahrgenommen. Deutsche
Hilfsorganisationen meiden deshalb die Nähe zum Militär. Ihre Mitarbeiter
verlassen die sicheren Orte möglichst nur noch in besonders gesicherten
Fahrzeugen.
Die Fortsetzung des Krieges ein, vier oder mehr Jahre ist unverantwortlich.
Nichts spricht für die Zuversicht der Bundesregierung, sondern vieles
dafür, dass sich die Sicherheitslage weiter verschlechtern wird, vor allem
die Erfahrung der Verschlechterung der letzten Jahre. Jedes weitere Jahr
Krieg kann weitere zehntausend Mensch das Leben kosten. Und was ist, wenn
auch in vier Jahren die Sicherheitslage den Abzug nicht zulässt? Dann sind
Zehntausende zusätzlich getötet und verletzt worden. Der von uns geforderte
wirkliche Strategiewechsel sowie Bemühungen, die Gewalteskalation zu
beenden, sind nicht erkennbar. Immer weiter Krieg führen macht keinen Sinn.
Wir brauchen den wirklichen Strategiewechsel.
Die Bundeswehr stoppt unverzüglich alle militärischen Offensivoperationen.
Sie stellt die Beteiligung an Kommandounternehmen ein. Sie beschränkt sich
auf Notwehr und Nothilfe. Sie strebt zunächst
Waffenstillstandsvereinbarungen mit allen Aufständischen an, die dazu
bereit sind. Solche gab es immer wieder örtlich und regional. Auch die
nationale Friedens-Jirga hatte sich bereits im Jahr 2009 bereit erklärt,
die Gespräche mit Kommandeuren der Aufständischen in der Provinz Kundus
jederzeit wiederaufzunehmen.
Es beginnen Verhandlungen mit den Aufständischen und der Regionalverwaltung
unter Beteiligung von VertreterInnen der Zivilgesellschaft über die Zukunft
dieser Region und des Landes. Ziel sind Vereinbarungen zur Einhaltung der
Menschenrechte und der afghanischen Verfassung, zu verstärkten Aufbauhilfen
sowie zum raschen Abzug der Bundeswehr. Alle Finanzmittel, die durch die
Einstellung der militärischen Operationen und die Reduzierung des Militärs
frei werden, werden der Bevölkerung bzw. dort aktiven
Nichtregierungsorganisationen (NRO) unter internationaler Aufsicht für den
Aufbau zur Verfügung gestellt.
Gleichzeitig setzt sich die Bundesregierung bei den Nato-Partnern und in
der UNO dafür ein, dass alle militärischen Offensivoperationen,
insbesondere die Drohnenangriffe, in Afghanistan sofort eingestellt werden
und Waffenstillstand überall regional, in Provinzen und möglichst
landesweit mit den Aufständischen vereinbart wird. Verhandlungen über die
Zukunft des Landes unter Beteiligung der Regierung und Vertretern der
Zivilgesellschaft werden mit den Aufständischen begonnen. Die
Nachbarstaaten Afghanistans werden in die Verhandlungen einbezogen.
Auch der UN-Beauftragte Kai Eide hat am 29. 12. 2010 vorgeschlagen, zu
prüfen, wie die militärischen Aktionen zurückgefahren werden können, wie
begrenzte Einstellungen von Kampfhandlungen ermöglicht und wie sie zunächst
zeitlich und regional begrenzt sowie dann entsprechend ausgedehnt werden
können, falls sie sich als erfolgreich erweisen.
Deutschland und die Nato müssen wenigstens versuchen, neue Wege gehen, da
die bisherigen in die Irre geführt haben.
27 Jan 2011
## AUTOREN
Christian Ströbele
## TAGS
Schwerpunkt Christian Ströbele
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