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# taz.de -- Debatte Demokratisierung: Bewegte arabische Welt
> Der Wille zur Demokratie lässt sich nicht mehr aufhalten. Die spannende
> Frage ist jetzt, ob sich ein säkularisierter Islam durchsetzen kann.
Das Jahr 1989 gilt zu Recht als das Triumphjahr der liberalen Demokratie:
Der gesamte "Ostblock" übernahm die Grundausstattung seiner bürgerlichen
Antipoden - freie, gleiche und geheime Wahlen, Parteienwettbewerb,
Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie
Rechtsstaatlichkeit. Perfekt war das nicht: Als Nachklang der Sowjetära
blieben eine unterentwickelte Zivilgesellschaft, bürokratische Willkür,
endemische Korruption und eine Riege demokratisch akklamierter, aber
autoritär regierender Präsidenten. Trotzdem war die samtene Revolution
unwiderruflich.
Das zwanzigste Jahrhundert hatte mehrere Wellen von Demokratisierungen:
Auslöser waren Frankreich, die USA und England, denen im 20. Jahrhundert
die meisten Staaten der nordatlantischen Hemisphäre folgten. Die zweite
Welle brachte die Rückkehr der (Halb-)Demokratien, die dem Faschismus
anheimgefallen waren: Deutschland, Italien, Japan.
Die dritte Welle hob laut dem US-Politologen Samuel Huntington in den
1970er Jahren in Südeuropa, Lateinamerika und in vielen Staaten Afrikas und
Asiens an. Erst damit wurde die liberale Demokratie, bis dahin eher eine
Ausnahmeerscheinung reicher westlicher Nationen, zu einem echten Welterfolg
und Referenzrahmen.
Demokratie ohne Wohlfahrt?
Die Defekte etwa der postkommunistischen Regime sind allenthalben sichtbar,
frisch in Ungarn, tragisch in Exjugoslawien und am krassesten in der
Russischen Föderation, aber nur Nordkorea hält noch an der "Diktatur des
Proletariats" fest, und sogar in Kuba können Oppositionelle hoffen.
Auch China ist unter einen Demokratisierungsdruck geraten, den die Partei
mit einer Mischung aus Wirtschaftserfolg und Großmachtambitionen
aufzufangen sucht. Der tiefere Grund dafür ist, dass kein Land, das sich
dem Weltmarkt und der ökonomischen Liberalisierung derartig öffnet, vor
einer politischen Liberalisierung gefeit ist.
Das Problem besteht eher darin, dass die Bedingungen dieser Liberalisierung
und das Fehlen ihrer wohlfahrtsstaatlichen Absicherung die Grundlagen der
politischen Gleichheit erodieren lassen - und diese Gefahr besteht im
Grunde auch in westlichen Ländern.
Der Westen hat sich unter dem Banner der friedlichen Koexistenz in der
scheinbar ewigen Blockkonfrontation mit der Unterstützung von
Demokratiebewegungen zurückgehalten, um es vornehm zu formulieren. Jimmy
Carter hatte Anstrengungen für Lateinamerika unternommen, die Europäische
Union hat mit der Beitrittsperspektive die Freiheitsbewegungen in
Griechenland, Portugal und Spanien beflügelt. Das wars.
Ansonsten verhielt sich der Westen aus außenwirtschaftlichen und
geostrategischen Gründen schofel gegenüber den Unterdrückten im Osten und
Süden der Welt. Die bittere Lektion des Westens hieß: Befreit euch selbst!
Bis dahin kommen uns die Autokraten für den Handel und die Eindämmung der
Flüchtlingsströme gerade recht. Ruchbar wird das jetzt am Beispiel
Tunesiens, wo Ben Ali als Garant der Abwehr von Terroristen und illegalen
Einwanderern allzu lange opportun war.
Arabische Welt unterschätzt
Deshalb hielt man die fünfte, nun anschwellende Welle der Demokratisierung
in der arabisch-islamischen Welt für Zukunftsmusik. Betrachtet man eine
Weltkarte der Demokratie (etwa der US-Organisation Freedom House), sticht
diese Region als weißer Fleck heraus. Warum? Oft mussten, wie schon im Fall
Chinas, kulturalistische Argumente herhalten, als sei diese Weltregion per
se, sozusagen in ihren Genen, unfähig und unwillig zur Demokratie.
Vor Ort verwies man gern auf die Erbschaft von Kolonialismus, Imperialismus
und Zionismus, um von hausgemachter Tyrannei abzulenken. Die militärische
Intervention im Irak (wo heute aber auch halbwegs frei gewählt werden kann)
und der oberflächliche Demokratieexport, der auf die rasche Abhaltung von
Wahlen abzielte, ohne die dafür notwendigen Bedingungen zu schaffen, haben
liberale Strömungen kompromittiert.
Doch alle seriösen Umfragen und vier Entwicklungsberichte der
UN-Entwicklungsprogramms UNDP konnten bereits belegen, wie groß die
Sehnsucht nach Volkssouveränität war - und dass man sie nicht mit Blick auf
eventuelle Erfolge der Islamisten abblocken darf.
Starke Wertunterschiede gab und gibt es im interkulturellen Vergleich nicht
in der Wertschätzung der Demokratie, sondern in der Geringschätzung von
Frauen und Homosexuellen. Und nicht der Islam als solcher ist das Problem,
wie die relativ erfolgreichen Demokratisierungen der Türkei, Indonesiens,
Marokkos, Bahreins und auch Palästinas demonstrieren, es sind die vom
Westen direkt und indirekt gestützten Eliten.
Junge Frauen werden wichtiger
Islamisten, die glauben, allein Wahlen machten eine Demokratie, werden vor
allem dort zum Problem, wo zwischen ihnen und den Militärdiktaturen bzw.
Erbmonarchien von Algier über Kairo und Damaskus bis nach Riad kein
politischer Manövrierraum mehr besteht und zivilgesellschaftliche
Initiativen regelrecht zerrieben werden. Die spannendste Frage ist derzeit,
ob die Demokratisierung auch einen säkularen Islam mit sich bringt, der die
Lage der Frauen, Homosexuellen und der religiösen Minderheiten verbessert.
Vom Brotaufstand in Algerien 1988 bis zur iranischen Demokratiebewegung
2009 hat sich gezeigt, dass die junge Generation und gerade die jungen
Frauen Demokratie ohne Wenn und Aber wollen. Sie rufen, wie schon 2005 in
Kairo, den Despoten "Kifaja!" zu - "Genug ist genug"! Internet und
Sozialmedien schafften und schaffen hier beste Kommunikationsmöglichkeiten,
weil mit ihnen die Türhüter der staatlich zensierten und kontrollierten
Medien zu umgehen sind.
Die nach dem Zweiten Weltkrieg dominierenden Ideologien: Nationalismus,
Panarabismus und Staatssozialismus haben sich gründlich diskreditiert, die
Jungen fragen nicht Ideologien nach, sondern Rechtsstaatlichkeit und gutes
Regieren.
Nicht nur die massive Jugendarbeitslosigkeit zeigt, wie kläglich die Regime
versagt haben, sie bringen auch keine Sicherheit, nur volle Gefängnisse und
Polizeiwillkür. Dass dieses totale Versagen in einer Region geschehen
konnte, in der die reichsten Vorkommen von Öl und Gas lagern und diese
teuer exportiert werden, während große Teile der Bevölkerung verarmten, ist
der besondere Skandal.
Im Maghreb wie im Maschrek sind rund zwei Drittel der Bevölkerung unter 25
Jahre alt. Aufhalten wird diese fünfte Welle also niemand mehr, auch wenn
man sicher chaotische Übergänge und herbe Rückschläge einkalkulieren muss.
Die EU und die in der Region operierenden Unternehmen täten gut daran, die
Demokratisierung ihrer Peripherie endlich zur eigenen Sache zu erklären und
ihre Vorreiter konkret zu unterstützen. Es würde übrigens einen guten
Eindruck machen, in der Alten Welt mehr Beteiligungsdemokratie zu wagen.
Die sechste Welle rollt dann in den klassischen Demokratien selbst.
21 Jan 2011
## AUTOREN
Claus Leggewie
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