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# taz.de -- Tunesien nach der Revolution: Freiheit für die Bücher!
> Besuch in einem Buchladen von Tunis: Verbotene Literatur liegt jetzt
> offen im Schaufenster. "Bücher brauchen kein Einreisevisum", freut sich
> die Händlerin.
Bild: Soldaten mit der tunesischen Nationalflagge feiern den Neuanfang.
TUNIS taz | Die Flaniermeile in Tunesiens Hauptstadt ist um eine Attraktion
reicher. Gestern waren es nicht die rund 1.000 Demonstranten, die einmal
mehr durch die Avenue Habib Bourguiba zogen, um den Rücktritt der Minister
aus den Reihen der ehemaligen Regierungspartei RCD zu fordern, die das
Interesse der Passanten auf sich zogen. Es waren auch nicht die
Transparente und Sprühereien, die mittlerweile die Innenstadt von Tunis
zieren. Es war ein Schaufenster. Dutzende von Menschen drängelten sich den
ganzen Tag über vor der Buchhandlung Al Kitab, um Bücher zu sehen, von
deren Existenz zwar viele wussten, die sie aber noch nie in der Hand
gehalten haben.
"Ausstellungsexemplare verbotener Bücher", stand handgeschrieben auf
Französisch und Arabisch zu lesen. Zwei Angestellte der Bücherei sammelten
Unterschriften für die sofortige Freigabe der Buchimporte. Bisher genehmigt
das Innenministerium, was in Tunesien gelesen werden darf und was nicht.
"Wir haben die Exemplare in unserem Freundeskreis gesammelt. Sie lagen
irgendwo versteckt unter der Matratze", sagt die Chefin von Al Kitab, Selma
Jabbes, und lächelt verschmitzt. Eine Großbestellung aus Frankreich sei
bereits per Flugzeug unterwegs. Sie werde in den nächsten Tagen erwartet.
"Dann werden wir sehen, was passiert", meint die streitbare Buchhändlerin.
Sie habe sich immer an die Gesetze gehalten, aber jetzt will sie nicht mehr
einsehen, "warum Bücher ein Einreisevisum brauchen". Auf den Schmuggel oder
den bloßen Besitz verbotener Bücher stand bisher in Tunesien Gefängnis. Die
wenigen Exemplare, die dennoch ins Land gelangten, wurden meist von
ausländischen Besuchern hineingeschmuggelt.
Neben kritischen Analysen über das Regime des am 14. Januar gestürzten
Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali gibt es im Schaufenster auch
geschichtliche Abhandlungen über die Ära des ersten Präsidenten der
tunesischen Unabhängigkeit, Habib Bourguiba.
Auf Arabisch stehen in der Auslage unter anderem Werke von islamistischen
Theoretikern wie des im Londoner Exil lebenden Chefs der tunesischen
Ennahda-Bewegung, Rachid Ghannouchi. "Die Bürger haben das Recht, sich frei
zu informieren. Das gilt für alle Tendenzen", meint Jabbes dazu.
Draußen überlegen sich die Schaulustigen bereits, was sie als Erstes
kaufen, sobald die Lieferung eintrifft. " ,La Régente de Carthage' von
Nicolas Beau et Catherine Graciet", meint einer - das über Internet
bekanntgewordene französische Enthüllungsbuch über die Machenschaften der
Präsidentengattin Leila Trabelsi und ihres Clans, die sich in den Jahren
der Diktatur um unvorstellbare Summen bereichert haben.
Das interessiere ihn nicht, meint ein anderer: "Alles Vergangenheit!" Er
werde eher zu einem universitären Text über die Verstrickung von Politik
und Wirtschaft in Tunesien greifen.
Wieder andere interessieren sich für die Werke des tunesisch-französischen
Journalisten Taoufik Ben Brik, der vor elf Jahren durch einen 42-tägigen
Hungerstreik die Zensur in Tunesien anprangerte und 2009 sechs Monate im
Gefängnis verbrachte.
Ein anderer vermisst sein Lieblingsbuch: "Notre ami Ben Ali". Der
Maghrebspezialist der französischen Tageszeitung Le Monde, Jean-Pierre
Tuquoi, analysiert darin mit weiteren Kollegen, wie und warum Frankreich
und Europa Ben Ali stützten. "Es war auf die Schnelle einfach kein Exemplar
aufzutreiben", entschuldigt sich die Buchhändlerin.
21 Jan 2011
## AUTOREN
Reiner Wandler
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