# taz.de -- Proteste gegen Minsiter des alten Regime: "Karawane der Freiheit" e… | |
> Der Protestzug aus Sidi Bouzid fordert eine Regierung ohne belastete | |
> Alt-Minister. Und zwei Kommissionen sollen die Korruption des alten | |
> Ben-Ali-Regimes aufarbeiten. | |
Bild: Von Gegnern zu Verbündeten: In Tunis sind Polizisten zu Demonstranten ge… | |
TUNIS taz | Am Sonntag, dem letzten Tag der dreitägigen Staatstrauer für | |
die Opfer der tunesischen Revolte, erreichte eine "Karawane für die | |
Freiheit" die Hauptstadt Tunis. Die mehr als tausend Teilnehmer forderten | |
eine Übergangsregierung ohne Beteiligung von Ministern aus der alten | |
Staatspartei RCD. Neben Premier Mohammed Ghannouchi stammen auch der | |
Innen-, der Verteidigungs- und der Finanzminister aus der alten Riege des | |
Regimes. Die Karawane hatte sich am Tag zuvor in der 280 Kilometer | |
entfernten Stadt Sidi Bouzid auf den Weg gemacht. Dort hatte die Revolte | |
nach der Selbstverbrennung des jungen Mohammed Bouazizi begonnen. | |
"Jeden Tag etwas Neues", staunten die Passanten auf der Avenue Habib | |
Bourguiba, der Flaniermeile von Tunis, am Samstag. Die Polizei | |
demonstrierte - nicht etwa ihre Macht, sondern für ihre Rechte. "Wir wollen | |
mehr Lohn und wir wollen uns gewerkschaftlich organisieren", sagt ein | |
Teilnehmer. Rund 200 Euro verdiene ein normaler Polizeibeamter netto im | |
Monat. Die mehreren tausend Beamten, die zum Sitz von Premier Mohammed | |
Ghannouchi zogen, trugen meist keine Uniform, sondern machten sich mit | |
einem roten Band am Oberarm kenntlich. | |
Sie waren teils mit Bussen aus der Provinz angereist. Andere zogen zu Fuß | |
von ihren Kasernen, weit außerhalb der Hauptstadt, ins Zentrum. Die wenigen | |
Beamten, die am Samstag ihren Dienst taten, trugen ebenfalls das rote Band | |
der Solidarität. Die Passanten schauten mit Wohlwollen zu. "Die gehören | |
doch auch zum Volk", lautete das Urteil vieler Passanten. | |
"Ich werde mich nach der Übergangsphase aus der Politik zurückziehen", trat | |
Ghannouchi Befürchtungen entgegen, er wolle bei den ersten freien Wahlen in | |
spätestens sechs Monaten erneut kandidieren. Seine Übergangsregierung gab | |
bekannt, dass in der kommenden Woche zwei Kommissionen gebildet werden, um | |
die Polizeigewalt und die Korruption des alten Regimes von Ben Ali | |
aufzuarbeiten. Sie wird vom früheren UN-Sonderberichterstatter für | |
Religions- und Glaubensfreiheit, Abdelfatah Amor, geleitet. Eine dritte | |
Kommission wird sich um die notwendigen politischen Reformen kümmern. | |
Die Gremien seien "unabhängig" und akzeptierten keinerlei Einflussnahme von | |
außen, versichert der Chef der Reformkommission, Rechtsprofessor Iyad Ben | |
Achour. Er werde "die tunesischen Gesetze von allem reinigen, was dem | |
Regime Ben Alis erlaubt hat, das Volk zu kontrollieren". Die Polizeigewalt | |
wird eine Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Präsidenten der | |
tunesischen Menschenrechtsliga (LTDH), Taoufik Bouderbala, unter die Lupe | |
nehmen. 78 Demonstranten verloren nach offiziellen Angaben ihr Leben, nach | |
UN-Angaben gab es dagegen mehr als 100 Opfer. | |
Am Samstag versammelten sich auch in der algerischen Hauptstadt Algier | |
mehrere hundert Demonstranten. Sie forderten eine Aufhebung des seit 1992 | |
gültigen Ausnahmezustands und schwenkten tunesische Fahnen. Die Polizei | |
löste die nicht genehmigte Versammlung auf. 42 Demonstranten wurden dabei | |
verletzt. Das Innenministerium spricht von 19 Verletzten, darunter 8 | |
Polizisten. Auch in Sanaa, der Hauptstadt des Jemen, forderten tausende | |
Demonstranten den Rücktritt des seit 32 Jahren amtierenden Präsidenten Ali | |
Abdallah Saleh. Die Polizei setzte Tränengas gegen die Menge ein. | |
23 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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