# taz.de -- Räumung Liebig 14 in Berlin: Alles muss raus | |
> Die Bewohner des einst besetzten Berliner Hauses in der Liebigstraße 14 | |
> prozessierten jahrelang. Nun kommt doch die Polizei. | |
Bild: Opfer der Gentrifizierung? Die Liebigstraße 14 in Berlin. | |
BERLIN taz | Die Mobilisierung laufe gut, sagt Marcus. Blendend. Der | |
Mittzwanziger, grüner Anorak und Jeans, sitzt in einer Ecke des engen | |
Infoladens Daneben in Berlin-Friedrichshain. Die ersten Plakate für die | |
Demonstration müssten bereits nachgedruckt werden, immer mehr Menschen | |
kämen vorbei, um sich über den Stand der Proteste zu erkundigen. Marcus | |
nickt nach links. Eine Runde Schwarzgekleideter steckt dort die Köpfe | |
zusammen. | |
Am kommenden Mittwoch, morgens um acht Uhr, soll die Liebig 14 geräumt | |
werden. Ein Wohnprojekt, das als besetztes Haus begonnen hat. Der Infoladen | |
Daneben liegt direkt gegenüber. Marcus ist einer der Menschen, die sich | |
gerade in Berlin zusammenfinden, um das Hausprojekt doch noch zu retten. | |
Die Räumung ist das Ende eines jahrelangen Gezerres zwischen Bewohnern und | |
Eigentümern. Und ein Symbol. Für den Abschied von alternativ bewohnten | |
Häusern in Berlin. Dagegen rauft sich die linke Szene zu einem ihrer | |
letzten Verteidigungskämpfe zusammen. | |
Die Liebig 14 ist ein fünfgeschossiger, orange gestrichener Altbau im | |
Stadtteil Friedrichshain. Antifa-Plakate kleben an der Fassade, | |
schwarz-rote Wimpel spannen sich über die Straße zum Nachbarhaus. Drinnen | |
teilen sich 25 Menschen vier Bäder und drei Küchen. Innerhalb des Hauses | |
stehen die Türen offen. Und Donnerstags gibt es Kino und veganes Essen auch | |
für Nichtmitbewohner. | |
Die meisten, die hier leben, sind zwischen zwanzig und dreißig, der Älteste | |
37 Jahre alt. Studenten, Handwerker, Arbeitslose. Deutsche, Engländer, | |
Spanier. Bis zu acht Jahre wohnen sie im Haus. Es sind Leute wie Fiona, | |
Sarah und Fabian. "Wir probieren aus, wie man anders zusammenleben kann", | |
sagt die 21-jährige Fiona, blonde, teils grün gefärbte Dreadlocks unter dem | |
schwarzen Kapuzenpullover. Seit anderthalb Jahren wohnt sie im Haus. | |
Fiona, Sarah und Fabian sitzen in einer Bäckerei gleich neben der Liebig | |
14. Ins Haus lassen die Bewohner in diesen letzten Tagen keine Fremden | |
mehr. Schon seit Monaten hatten sie den Räumungsbescheid erwartet. Als das | |
Schreiben Anfang Januar im Briefkasten lag, sei es dennoch "sehr emotional" | |
im Haus geworden, sagt Fiona. Bereits im November 2009 ging der Prozess | |
über den letzten Mietvertrag vor Gericht verloren, wegen einer Zwischentür, | |
zu der die Eigentümer keinen Schlüssel hatten. Dabei habe es die Tür schon | |
lange gegeben, bevor die heutigen Besitzer das Haus 1999 kauften. | |
"Egoistischer Profitdrang", vermutet Fabian, 25 Jahre, Bart und blauer | |
Parka. "Mit uns haben sie wohl nicht genug verdient." | |
Die ruhigen Zeiten für linke Hausprojekte sind in Berlin vorbei. Über 120 | |
Häuser wurden in den Wendejahren - 1989, 1990 - vor allem im Osten der | |
Stadt besetzt. Im Frühjahr 1990 auch die Liebigstraße 14. Doch wer damals | |
besetzte, hat heute Mietverträge oder ist längst geräumt. Der Druck auf | |
alternative Wohnformen, vielfach noch mit Minimalmieten, steigt, je weiter | |
die hippen Innenstadtbezirke aufstreben. Neubesetzungen räumt die Berliner | |
Polizei heute innerhalb von 48 Stunden. Auch die Liebigstraße umkreisen | |
heute Bio-Cafés und Townhouses. | |
Die Bewohnerinnen und Bewohner der Liebig 14 haben viele Strategien | |
probiert, um ihr Hausprojekt zu retten. Sie haben vor Gericht gestritten, | |
luden Nachbarn ins Haus, setzten sich mit Politikern aus dem Bezirk an | |
einen Runden Tisch, unterbreiteten über eine Stiftung ein Kaufangebot fürs | |
Haus. Nichts hatte Erfolg. Die Eigentümer waren zu keinen Gesprächen | |
bereit. Bis zuletzt zahlten die Bewohner ihre Miete, fuhren 500 Kilometer | |
ins Ruhrgebiet, um einen der Eigentümer, den Geschäftsführer des Unnaer | |
Kinderschutzbunds, zu treffen. Er war nicht zu sprechen. | |
Auch Franz Schulz saß mit am Runden Tisch. Schulz ist Grünen-Bürgermeister | |
im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Schon vor einem Jahr schickte er einen | |
Brief an die Eigentümer, auch andere Grüne und Linke unterzeichneten. Man | |
bedauere die bevorstehende Räumung, schrieben sie. "Die Liebigstraße 14 ist | |
eines der Projekte, die für die kulturelle Vielfalt in unserem Bezirk | |
wichtig sind und ihn attraktiv machen." Bis heute haben die Politiker keine | |
Antwort erhalten. Die Räumung bereite ihm Sorgen, sagt Schulz. "Es wird zu | |
erheblichen Auseinandersetzungen kommen." | |
Die Liebig-Bewohner fahren jetzt ihre letzte Strategie. Sie drohen. Die | |
Zeit des Diskutierens sei vorbei, heißt es in ihren Flugblättern. Die | |
Räumung werde teuer. "Widerstandlos werden wir das Haus nicht räumen", sagt | |
Sarah, eine 24-jährige Engländerin. Hier gehe es nicht nur um das Zuhause | |
von 25 Menschen. "Die Räumung ist der Gipfel einer neoliberalen | |
Stadtaufwertung." Die Liebig 14 sei ein Opfer der Gentrifizierung. Eines | |
von vielen. Am Mittwoch, wenn die Polizei mit einem Großaufgebot anrücken | |
wird, wollen Autonome mit "dezentralen Aktionen" in der Stadt antworten. | |
Schon zuvor flogen Farbbeutel auf Polizeiwachen, Senatsgebäude und | |
Immobilienbüros. Ein Brandsatz traf das Rathaus von Bezirksbürgermeister | |
Schulz. Man werde sich von "Linksterroristen" nicht einschüchtern lassen, | |
sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Die Räumung sei rechtstaatlich | |
beschlossen und damit unabwendbar. | |
In der Bäckerei neben dem Liebig-Haus verlieren die Drohgebärden der | |
Bewohner das Martialische. Es klingt eher nach Mutmachen, wenn Fiona, Sarah | |
und Fabian betonen, nicht aufgeben zu wollen. Ihre wichtigsten Sachen haben | |
sie bereits aus dem Haus geschafft, auch wenn sie bis zum Schluss bleiben | |
wollen. Man wolle sich danach wieder zusammenfinden, sagt Fiona. "Die Idee | |
bleibt ja." | |
Das Thema Gentrifizierung füllt in Berlin inzwischen Bürgerversammlungen. | |
In Friedrichshain-Kreuzberg weiß man schon, was nach der Räumung eines | |
Hausprojekts kommt. Sechzig Menschen lebten in der ehemals besetzten | |
Yorckstraße 59, ehe diese 2005 geräumt wurde. Heute ist der Innenhof sauber | |
gepflastert, die alten Fabriketagen wurden zu großräumigen Lofts ausgebaut. | |
In einem wohnt der Schauspieler Til Schweiger. | |
28 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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