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# taz.de -- Unruhen in Ägypten: Tausende Häftlinge geflohen
> Ägypten versinkt im Chaos. Bürgerwehren schützen ihre Wohnviertel vor
> Plünderern, aus einem Gefängnis fliehen tausende Häftlinge. Und der
> TV-Sender "El Dschasira" wurde verboten.
Bild: Mit Machete, Maschinengewehr und Knüppel: Bürgerwehr in Kairo.
KAIRO dapd/afp | Aus einem ägyptischen Gefängnis sind in der Nacht zum
Sonntag tausende Häftlinge geflohen. Wie ein Sicherheitsbeamter am Sonntag
mitteilte, entkamen die Gefangenen aus der Haftanstalt von Wadi Natrun
hundert Kilometer nördlich von Kairo. Demnach revoltierten sie gegen die
Gefängniswärter und bemächtigten sich ihrer Waffen. Unter den Geflohenen
seien zahlreiche Islamisten, die seit Jahren inhaftiert waren, sowie
gewöhnliche Straftäter.
Aus Angst vor Plünderern haben Bewohner einiger Viertel der ägyptischen
Hauptstadt Kairo Bürgerwehren gebildet, um ihre Häuser und Geschäfte zu
schützen. Soldaten schwärmten in der Nacht zum Sonntag in den Straßen aus,
nachdem sich die Polizei aus weiten Teilen der Stadt zurückgezogen hatte.
Die ägyptische Regierung hat zudem den arabischen Fernsehsender El
Dschasira verboten. Wie die amtliche ägyptische Nachrichtenagentur Mena am
Sonntag meldete, ordnete der scheidende Informationsminister Anas el Fekki
ein Empfangsverbot für den Satellitensender an. Der Sender aus Katar hatte
bisher umfassend über die Proteste gegen die ägyptische Regierung
berichtet.
Unterdessen hielt die Unsicherheit über die politische Zukunft des Landes
weiter an. Tausende Regierungsgegner verbrachten die Nacht auf dem
zentralen Tahrir-Platz in Kairo und verstießen damit gegen das von der
Regierung verhängte nächtliche Ausgehverbot.
Angesichts der anhaltenden Massenproteste gegen seine Regierung hatte der
ägyptische Präsident Husni Mubarak am Samstag überraschend seine mögliche
Nachfolge geregelt: Erstmals seit seinem Amtsantritt im Oktober 1981
ernannte er einen Stellvertreter. Vizepräsident soll der bisherige
Geheimdienstchef Omar Suleiman, ein enger Vertrauter, werden. Die
Personalentscheidung wurde als scharfe Kehrtwende von seinem bisherigen
dynastischen Kurs gesehen, bei dem sein Sohn Gamal als favorisierter
Nachfolger des 82-Jährigen galt.
Am Samstag war es in Kairo erneut zu Gewalt gekommen. Plünderer zogen mit
Messern und Stöcken bewaffnet durch die Straßen und nahmen mit, was sie
tragen konnten. Außerdem demolierten sie Autos und Fenster. In einigen
Vierteln waren Gewehrschüsse zu hören. Die Zahl der Toten bei den
fünftägigen Unruhen stieg nach Angaben aus Sicherheitskreisen auf 74. Etwa
2.000 weitere wurden verletzt.
Streitkräfte schützen wichtige Einrichtungen mit Panzern
Mit Panzern und Schützenpanzern versuchten die Streitkräfte, wichtige
Einrichtungen in der 18-Millionen-Metropole zu schützen - Behördengebäude,
Touristenattraktionen wie das Ägyptische Museum und archäologische Stätten.
Soldaten gingen nicht gegen Demonstranten vor, auch nicht gegen jene, die
am Nachmittag das um eine Stunde von 16 bis 8 Uhr verlängerte Ausgehverbot
ignorierten. "Das ist die Revolution des Volkes aus allen Schichten", stand
auf einem an einem Panzer befestigten Spruchband. "Mubarak, nimm deinen
Sohn und verschwinde."
Auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos versammelten sich am Samstagabend
mehrere tausend Menschen. "Wir wollen, dass Mubarak geht, nicht nur seine
Regierung", erklärte einer von ihnen, Mohammed Mahmud. Am Nachmittag hatte
die Polizei das Feuer eröffnet, als eine Menschenmenge das Innenministerium
zu stürmen versuchte. Dabei wurden mindestens drei Menschen getötet. In der
Innenstadt von Kairo kletterten Demonstranten auf gepanzerte Fahrzeuge der
Sicherheitskräfte.
Schon am Samstagvormittag kam es rund um den Tahrir-Platz zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die
Protestierenden griffen die Sicherheitskräfte mit Steinen an, diese
reagierten mit Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen. Etliche
Regierungsgebäude wurden von den Streitkräften abgeriegelt. Auch vor dem
Ägyptischen Museum und den Pyramiden bezogen Militärfahrzeuge Stellung.
Die Demonstranten machen die Regierung für Armut, Arbeitslosigkeit und
Korruption in Ägypten verantwortlich. Die seit fünf Tagen anhaltenden
Proteste sind die umfangreichsten seit mindestens einem Jahrzehnt.
ElBaradei: Volk will Rücktritt Mubaraks
Der von Mubarak verordnete Rücktritt der Regierung trug offenbar wenig zur
Beruhigung der Lage bei. Als Nachfolger von Ministerpräsident Ahmed Nasif
benannte Mubarak am Samstag den bisherigen Luftfahrtminister Ahmed Schafik.
Der 82-Jährige versprach außerdem demokratische und wirtschaftliche
Reformen, verteidigte aber zugleich das Vorgehen der Sicherheitskräfte. Er
werde "nicht davor zurückscheuen, jede Maßnahme zu ergreifen, die die
Sicherheit eines jeden Ägypters gewährleistet".
Der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei hatte sich am Freitag den
Demonstranten in Kairo angeschlossen; später stellten ihn die ägyptischen
Behörden unter Hausarrest. Zuvor hatte sich der frühere Direktor der
Internationalen Atomenergiebehörde IAEA als Führer einer Übergangsregierung
angeboten. "Es gibt nichts unterhalb eines Rücktritts von Mubarak, was das
Volk zufrieden stellen wird", sagte ElBaradei am Samstag der
Nachrichtenagentur AP. "Ich denke, was Mubarak gestern (Freitag) sagte, war
eine Beleidigung der Intelligenz des ägyptischen Volkes."
US-Präsident Barack Obama forderte in einem Telefonat mit Mubarak, Ägypten
müsse konkrete Schritte zu Reformen unternehmen. Obama habe die ägyptischen
Behörden aufgerufen, keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten
anzuwenden, teilte das Weiße Haus mit. Pressesprecher Robert Gibbs
erklärte, die US-Regierung erwäge eine Kürzung der Auslandshilfe in der
Höhe von jährlich 1,5 Milliarden Dollar (1,1 Milliarden Euro), sollte
Mubarak keine entsprechenden Maßnahmen einleiten.
30 Jan 2011
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