# taz.de -- USA und die Demonstrationen in Ägypten: Die beste Gelegenheit | |
> Barack Obama zögert, Mubarak zum Rücktritt zu zwingen. Er zögert auch, | |
> die Demokratiebewegung offen zu unterstützen. Und vergibt so vielleicht | |
> seine beste Chance. | |
Bild: Unterstützer der ägyptischen Demonstranten vor dem Weißen Haus in Wash… | |
WASHINGTON taz | Die 27. jährliche militärische Begegnung auf der | |
Spitzenebene zwischen Ägypten und den USA verlief anders als alle | |
vorausgegangenen: Fünf Tage vor dem geplanten Ende des Treffens im Pentagon | |
packte General Sami Hafez Enan, Stabschef der ägyptischen Streitkräfte, | |
seine Koffer und reiste überstürzt von Washington nach Kairo zurück. Dort | |
entließ sein Präsident am selben Tag das komplette Kabinett. | |
Während der General und seine 25-köpfige Delegation in der Luft waren, gab | |
im Weißen Haus Barack Obama seine erste Erklärung zu der Demokratiebewegung | |
in Ägypten ab. Der US-Präsident verurteilte Gewalt gegen friedliche | |
DemonstrantInnen und verlangte den Respekt der „universellen Rechte“ sowie | |
die Konkretisierung der Reform-Versprechen des ägyptischen Regimes: „So | |
habe ich es auch Präsident Mubarak am Telefon gesagt.“ | |
Eine Demokratiebewegung können die USA auch anders unterstützen. Das haben | |
sie in Georgien und Serbien gezeigt. Im Fall von Ägypten – der bislang | |
größten außenpolitischen Herausforderung seiner Amtszeit - verlangt der | |
US-Präsident weder den Rücktritt von Mubarak, noch Wahlen, noch erwähnt er | |
die Möglichkeit, die intensive Zusammenarbeit mit dem Regime zu | |
unterbrechen. Immerhin überweisen die USA alljährlich 1,5 Milliarden Dollar | |
nach Ägypten – davon 1,3 Milliarden Dollar für Militärhilfe. Damit ist | |
Ägypten der zweitwichtigste militärische Günstling Washingtons – direkt | |
nach Israel. | |
Die Mitglieder der hochrangig besetzten „Ägypten-Arbeitsgruppe“ in | |
Washington, darunter republikanische und demokratische PolitikerInnen, | |
sowie Nahost-ExpertInnen vergangener US-Regierungen, wollen, dass diese | |
Unterstützung für das Regime aufhört. Sie verlangen den Rücktritt von | |
Mubarak, Neuwahlen sowie das Ende des Ausnahmezustands, mit dem die | |
ägyptische Spitze seit drei Jahrzehnten regiert. „Nur freie und faire | |
Wahlen können für einen friedlichen Übergang zu einer legitimen Regierung | |
in Ägypten sorgen“, erklären sie am Samstag in Washington. | |
Robert Kagan, Co-Chef der Gruppe, fügt hinzu: „Wir hätten es kommen sehen | |
müssen.“ Der Forscher Shadi Hamid, vom Washingtoner Brookings-Institut | |
warnt, dass die ÄgypterInnen das Schweigen aus den USA „als Komplizität“ | |
interpretieren könnten. Und der frühere US-Botschafter in Israel, Martin | |
Indyk, der nicht zu der Gruppe gehört, sagt am Samstag, dass Obama bald zu | |
Mubarak sagen müsse, dass er gehen muss: im Idealfall nachdem ein | |
Übergangplan vorliegt. | |
Bei Demonstrationen vor dem Weißen Haus in Washington, vor der UNO in New | |
York und vor dem TV-Sender CNN in Atlanta prangern DemonstrantInnen am | |
Samstag auf Transparenten an, dass das ägyptische Regime Tränengas aus den | |
USA bezieht und dass es mit US-Waffen schießt und foltert. Ein Demonstrant | |
erklärt einem Journalisten: “Dies ist eine gute Gelegenheit, der arabischen | |
Welt zu sagen, dass die USA auf Seiten der Demokratie stehen“. | |
Doch genau damit tut sich Washington schwer. Nacheinander haben | |
Ex-Außenministerin Condoleeza Rice (2005) und der gegenwärtige US-Präsident | |
(2009) bei viel beachteten Reden in Kairo Plädoyers für mehr Demokratie und | |
Meinungsfreiheit abgegeben. Doch zu der Demokratiebewegung in Tunesien | |
äußert sich Außenministerin Hillary Clinton erst einen Tag vor der Flucht | |
des Ex-Präsidenten Ben Ali. Nach dessen Sturz versichert Präsident Obama am | |
Dienstag bei seiner State of the Union-Ansprache den TunesierInnen die | |
Sympathie des US-amerikanischen Volkes. Ein Teil der US-Abgeordneten - aber | |
längst nicht alle – erhebt sich, um die Botschaft mit stehendem Applaus zu | |
bestätigen. | |
Doch über Ägypten, wo zu dem Zeitpunkt schon massive Proteste gegen das | |
Regime stattfanden, sagt Obama in seiner mehr als einstündigen Ansprache | |
nichts. Die erste Erklärung zu der ägyptischen Demokratiebewegung kommt | |
wieder von Außenministerin Clinton. Sie spricht sowohl von Gewaltfreiheit, | |
als auch von Stabilität – bei ihr hat beides dieselbe Wichtigkeit. | |
Unterdessen berichten JournalistInnen US-amerikanischer Fernsehsender live | |
aus Kairo. Sie vermitteln ein Bild von DemonstrantInnen, die Englisch | |
sprechen, englischsprachige Transparente mit sich tragen, und keinerlei | |
us-kritische oder -feindliche Stellungnahmen abgeben. Steven Cook, | |
Wissenschaftler am „Council on Foreign Relations“, der in der vergangenen | |
Woche in Kairo war, beschreibt bei einer Konferenz des | |
US-Außenministeriums, wie er im Zentrum der ägyptischen Haupstadt | |
„vermutlich der einzige Amerikaner“ inmitten von tausenden | |
DemokratiedemonstrantInnen war, während die wenige Schritt entfernte | |
US-Botschaft ihre Tore verrammelt hatte. „Dies ist kein islamistischer | |
Aufstand“, versichert er: „es geht um liberale, amerikanische Werte.“ | |
Während Obamas zögerliches Vorgehen und seine Beratungen mit | |
Sicherheitsexperten darauf schließen lassen, dass er von der Entwicklung | |
überrascht ist, zeigen Dokumente von Wikileaks, wie gut Washington über die | |
Lage in Ägypten informiert ist. Aus den Berichten der US-Botschafterin in | |
Kairo geht hervor, dass die USA noch zur Zeit von Bush zumindest einen | |
jungen Oppositionellen aus sozialen Netzwerken in Ägypten zu einer | |
Fortbildung in die USA geladen und dafür gesorgt haben, dies vor den | |
ägyptischen Autoritäten geheimzuhalten. Dass sie Informationen über | |
Umstürzpläne für dieses Jahr hatten. Und dass es im vergangenen Jahr zu | |
Missstimmungen mit dem Regime in Kairo gekommen ist. | |
Anlass war das US-Verlangen nach Menschenrechten und politischen und | |
wirtschaftlichen Reformen. Und die US-Kritik, dass Ägypten auch 31 Jahre | |
nach dem Friedensvertrag Israel weiterhin als wichtigsten Feind betrachtet | |
und sich nicht den nach US-Ansicht zentralen neuen strategischen | |
Herausforderungen der Region stellt. | |
30 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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