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# taz.de -- Mubarak befördert Geheimdienstchef: Statt Rücktritt gibt es einen…
> Der neue Vizepräsident Ägyptens wird ein Vertrauter Mubaraks, der
> Geheimdienstchef Omar Suleiman. Trotz erneuter Ausgangssperre ziehen
> Tausende durch die Straßen, das Militär bleibt ruhig.
Bild: Umlagertes Militär in Kairo.
KAIRO dapd/afp/taz | Für den Sturz von Präsident Husni Mubarak setzen
Tausende Ägypter ihr Leben aufs Spiel. Am Samstag eröffnete die Polizei das
Feuer auf eine Menschenmenge, die versuchte, das Innenministerium zu
stürmen. Dabei wurden mindestens drei Menschen getötet.
Ebenfalls am Samstag ernannte Mubarak zum ersten Mal in den fast 30 Jahren
seiner Herrschaft einen Stellvertreter. Vizepräsident wird der bisherige
Geheimdienstchef und enge Vertraute Mubaraks, Omar Suleiman, wie das
Staatsfernsehen berichtete.
Ungeachtet einer neuen Ausgangssperre, die am Samstag um 15 Uhr (MEZ) in
Kraft trat, standen auch eine Stunde später noch Tausende auf der
Niluferstraße in der Nähe des Fernsehgebäudes in Kairo und trugen eine
Leiche mit sich. Die Panzer, die am dem Vorabend Position bezogen hatten,
waren in der Menschenmenge kaum noch zu sehen. Die meist jungen
Demonstranten kamen mit selbstgemachten Plakaten, schwenkten ägyptische
Fahnen und riefen "Nieder mit Mubarak". Menschen stehen auf den Panzern.
Ein Scheich, der ebenfalls auf einem Militärfahrzeug steht und "Gott ist
groß" ruft, wird von einem Demonstranten herunterkomplimentiert.
Dann kommt es zu einer kritischen Situation, als Demonstranten in Richtung
TV-Gebäude drängen. Die Soldaten reden den Protestierenden freundlich zu,
diese steigen schließlich von den Panzern und ziehen ab. Auch in den Reihen
der Demonstranten gibt es Leute, die sich um eine Deeskalation bemühen.
"Das Militär und das Volk sind eins!" rufen die Demonstranten. Ein Offizier
wird von ihnen auf den Schultern getragen. Auf einem Panzer steht "Nieder
mit Mubarak".
Diese Situation war eine ganz andere als noch am Freitag, als die Polizei
massiv gegen die Demonstranten vorging.
Die Zahl der Toten seit Beginn der Proteste ist nach offiziellen Angaben
auf mindestens 48 gestiegen, mehr als 2.000 Menschen erlitten Verletzungen.
Nach einer Zählung des arabischen Senders Al-Dschasira sollen mehr als 100
Menschen ums Leben gekommen sein.
Schon am Samstagvormittag kam es rund um den Tahrir-Platz im Zentrum Kairos
bereits zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Die
Protestierenden drängten auf den Platz und griffen die Polizei mit Steinen
an. Diese reagierte mit dem Einsatz von Tränengas, Schlagstöcken und
Gummigeschossen. Die Soldaten mischten sich bislang nicht ein.
Gepanzerte Militärfahrzeuge beziehen Stellung
Die Streitkräfte riegelten etliche Regierungsgebäude ab. Gepanzerte
Fahrzeuge bezogen vor dem Gebäude des Staatsfernsehens und dem
Außenministerium Stellung. Am Freitag hatten Demonstranten versucht, die
beiden Gebäude zu stürmen. Auch vor dem Ägyptischen Museum und den
Pyramiden fuhren Militärfahrzeuge auf, offenbar um die Kulturgüter zu
schützen.
Der von Mubarak verordnete Rücktritt der Regierung trug offenbar wenig zur
Beruhigung der Lage bei. In seiner ersten Reaktion seit Beginn der Proteste
am Dienstag hatte Mubarak diesen Schritt in der Nacht zum Samstag in einer
Fernsehansprache bereits angekündigt. Außerdem versprach er demokratische
und wirtschaftliche Reformen. Allerdings verteidigte der 82-Jährige auch
das Vorgehen der Sicherheitskräfte. "Ich werde nicht davor zurückscheuen,
jede Maßnahme zu ergreifen, die die Sicherheit eines jeden Ägypters
gewährleistet."
Am Samstag kamen zwischen 1.500 und 2.000 Einheimische und Touristen an den
Kairoer Flughafen, um das Land auf dem Luftweg zu verlassen, viele von
ihnen ohne Reservierung. Nachdem die Fluglinie Egypt Air bereits am Freitag
über Nacht ihren Betrieb eingestellt hatte und das landesweite Ausgehverbot
ausgeweitet wurde, war unklar, welche Maschinen noch abheben würden. Die
Lufthansa strich am Samstag ihre beiden Flüge von und nach Kairo. Auch Air
Berlin sagte einen Flug in die ägyptische Hauptstadt ab.
Mobilfunk teilweise wieder verfügbar
Der Zugang zum Mobilfunknetz in Ägypten wurde am Samstagmorgen teilweise
wiederhergestellt - die Dienste Vodafone und Mobinil waren wieder
verfügbar. Einen Zugang zum Internet gab es aber weiterhin nicht. Um den
Informationsfluss unter den Demonstranten zu stören, hatten die Behörden in
der Nacht zum Freitag offenbar den Datenverkehr gekappt.
In den bislang schwersten Auseinandersetzungen ging am Freitag die Zentrale
der regierenden Nationalen Demokratischen Partei in Flammen auf. Bei
Straßenschlachten wurden zahlreiche Fahrzeuge der Sicherheitskräfte in
Brand gesteckt. Nach Angaben von Sicherheitskräften brannten Demonstranten
in Kairo 17 Polizeiwachen nieder, stahlen Munition und Waffen und befreiten
Inhaftierte. Außerdem sei es zu Plünderungen gekommen. Den Angaben zufolge
gab es Proteste in mindestens elf der 28 Provinzen. In Städten wie
Alexandria, Suez, Assiut und Port Said sei es zu Unruhen gekommen.
Der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei hatte sich am Freitag den
Demonstranten in Kairo angeschlossen; später stellten ihn die ägyptischen
Behörden unter Hausarrest. Zuvor hatte sich der frühere Direktor der
Internationalen Atomenergiebehörde IAEA als Führer einer Übergangsregierung
angeboten.
Obama fordert konkrete Reformschritte
Die Demonstranten ignorierten ein am Freitag verhängtes nächtliches
Ausgehverbot. In Kairo kam es zu Hamsterkäufen: Vor einigen Supermärkten
bildeten sich Schlangen. Der Kauf von Brot wurde auf zehn Laibe pro Person
beschränkt.
US-Präsident Barack Obama forderte in einem Telefonat mit Mubarak, Ägypten
müsse konkrete Schritte zu Reformen unternehmen. Obama habe die ägyptischen
Behörden aufgerufen, keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten
anzuwenden, teilte das Weiße Haus mit. Pressesprecher Robert Gibbs
erklärte, die US-Regierung erwäge eine Kürzung der Auslandshilfe in der
Höhe von jährlich 1,5 Milliarden Dollar (1,1 Milliarden Euro), sollte
Mubarak keine entsprechenden Schritte einleiten.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat die Führung und die
Sicherheitskräfte in Ägypten aufgefordert, keine Gewalt gegen friedliche
Demonstrationen auszuüben. Die Lage dürfe nicht weiter eskalieren, erklärte
Westerwelle am Samstag in Berlin. Er sei "in großer Sorge" über die
Zuspitzung der Lage in Ägypten: "Die Nachrichten und Bilder der Gewalt aus
Kairo und anderen großen Städten sind erschütternd."
Politisch entscheidend sei nun, dass die ägyptische Führung den Weg
politischer und wirtschaftlicher Reformen einschlage, erklärte Westerwelle.
"Dauerhafte Stabilisierung braucht Demokratisierung, braucht die Achtung
der Menschenrechte und die Gewährung der Meinungsfreiheit."
Die Lage in den klassischen Touristenorten an der Küste des Roten Meers war
nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bisher ruhig, wie Westerwelle
weiter erklärte. Die deutsche Botschaft und der Krisenstab versuchten rund
um die Uhr, ein klares Lagebild zu gewinnen. Das Auswärtige Amt stehe dazu
auch im ständigen Kontakt mit den Reiseveranstaltern.
(Unter Mitarbeit von unserem Auslandskorrespondenten in Kairo: KARIM
EL-GAWHARY)
29 Jan 2011
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