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# taz.de -- Tote bei Volksaufstand in Ägypten: Kabinett tritt zurück, Mubarak…
> Mubarak ist es mit seiner Rede nicht gelungen, das Volk zu beruhigen.
> Tausende gingen nachts auf die Straßen, auch am Samstag hielt der Protest
> an. Nun bildet Mubarak die Regierung um.
Bild: Konkurrierende Sicherheitskräfte: Polizeieinheiten und das Militär tref…
KAIRO dpa/dapd/reuters | Nach den blutigen Unruhen mit mindestens 35 Toten
bleibt die Lage in Ägypten extrem angespannt. Augenzeugen zufolge waren am
Samstagmorgen an mehreren Stellen in der Stadt Schüsse zu hören. Arabische
Fernsehsender berichteten, Einheiten von Polizei und Armee hätten in der
Nähe einer Gruppe von Demonstranten Schüsse abgegeben.
Dem 82-jährigen Machthaber Husni Mubarak war es nicht gelungen, in seiner
Fernsehansprache am Freitagabend, der ersten seit dem Beginn der Proteste,
die Menschen zu beruhigen. Trotz Ausgangssperre hatten tausende Ägypter in
der Nacht zum Samstag ihre Proteste gegen das Regime des seit 30 Jahren
regierenden Präsidenten fortgesetzt.
Für Samstag hatte Mubarak die Bildung einer neuen Regierung angekündigt.
Nach Angaben des staatlichen Fernsehens ist das Kabinett inzwischen
komplett zurückgetreten. Indes kehrte der Generalstabschef der ägyptischen
Armee, Sami Anan, in das Land zurück. Er sei auf dem Flughafen von Kairo
gelandet, hieß es von Mitarbeitern des Airports. Anan hatte sich in den
vergangenen Tagen zu militärischen Gesprächen in den USA aufgehalten und
kürzte seinen Aufenthalt angesichts der tagelangen Protesten nun ab.
Viele Tote
Nach offiziellen Angaben der ägyptischen Regierung vom Samstag sind bereits
25 Demonstranten und zehn Polizisten umgekommen. Bislang war von
offizieller Seite stets von acht Toten die Rede. Man muss aber von einer
beträchtlich höheren Opferzahl ausgehen, da inzwischen immer mehr Berichte
aus den Kranken- und Leichenschauhäusern des Landes eingehen. Die Agentur
reuters zählte am Samstagmittag bereits 74 Tote, Al-Dschasira sogar 95.
Dazu kommen mehr als 2.000 Verletzte: Mindestens 750 Polizisten und 1.500
Demonstranten mussten ärztlich versorgt werden, hieß es am Samstagvormittag
aus offiziellen Kreisen.
Auch die Plünderungen gingen weiter. Randalierer attackierten in der Nacht
mehrere Hotels und richteten Zerstörungen an, darunter im bekannten Ramses
Hotel. Nach Angaben von Anwohnern stürmten Plünderer an der Ausfallstraße
zu den Pyramiden von Gizeh ein Hotel und verwüsteten mehrere nahe gelegene
Geschäfte und ein Restaurant. In zwei Stadtvierteln seien aus Polizeiwachen
Häftlinge befreit worden.
Militär statt Polizei
An vielen Straßenkreuzungen und vor Behördengebäuden waren am Morgen
gepanzerte Fahrzeuge und Panzer der Armee postiert. Die Polizei, die von
wütenden Demonstranten am Freitag teils überrannt worden war, zeigte
dagegen nur an wenigen Stellen Präsenz. Demonstranten berichteten, die
Soldaten seien weniger aggressiv als die Polizei und hätten sie in der
Nacht sogar mit Essen und Tee versorgt.
Auf einem Panzer ließen sich Menschen am Samstag mit Soldaten
fotografieren. An den Straßen standen ausgebrannte und zerstörte Wracks von
Polizeiwagen, Brandgeruch lag in der Luft.
Der öffentliche Nahverkehr in Kairo war am Samstag stark eingeschränkt. Nur
wenige Busse verkehrten. Wer nicht unbedingt aus dem Haus musste, blieb
lieber daheim. Einige kleinere Geschäfte öffneten, größere Läden in der
City blieben zunächst geschlossen.
Zuvor waren am Freitag bei den bisher schwersten Straßenschlachten zwischen
Demonstranten und Sicherheitskräften mindestens 25 Menschen ums Leben
gekommen, tausende wurden verletzt.
Parteizentrale angezündet
Demonstranten zündeten die Zentrale der Nationaldemokratischen Partei (NDP)
an, noch am Samstag brannte es in dem Gebäude. Auch viele Polizeiwachen
wurden in Brand gesteckt und Polizeifahrzeuge demoliert. Das Militär, das
am Abend in mehreren Städten aufgefahren war, wurde von vielen
Demonstranten jubelnd begrüßt.
Die Menschen auf den Straßen hatten nach der Rede in der Nacht weiter den
Rücktritt des Staatschefs gefordert. "Mubarak muss das Land verlassen",
skandierten Regierungsgegner auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo.
Mubarak hatte in der Ansprache vor Chaos gewarnt und "neue Schritte hin zu
mehr Demokratie" sowie eine Verbesserung des Lebensstandards versprochen.
US-Präsident Barack Obama drängte Mubarak zur Umsetzung der
Reformversprechen. "Ich habe ihm gesagt, dass er die Verantwortung hat,
seinen Worten eine Bedeutung zu geben", sagte Obama in Washington.
Angesichts der Lage drohte das Weiße Haus Einschnitte bei der
milliardenschweren Hilfe für Kairo an.
Wie Obama forderten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ein Ende der Gewalt und mahnte Meinungs- und
Informationsfreiheit an. Das Auswärtige Amt hat bislang keine konkreten
Hinweise, dass deutsche Staatsbürger von den Unruhen unmittelbar betroffen
sind. Die Botschaft in Kairo sei mit Hochdruck darum bemüht, sich ein
klares Lagebild zu verschaffen, sagte eine Außenamtssprecherin am Morgen.
El-Baradei äußert sich trotz Hausarrest
Der in Kairo unter Hausarrest stehende Friedensnobelpreisträger und frühere
Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Mohammed el Baradei,
sagte dem Sender Al-Dschasira, das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte
lasse "das brutale Gesicht dieses Regimes" zum Vorschein kommen.
Israel schweigt derweil zu den Protesten im Nachbarland. Ministerpräsident
Benjamin Netanjahu habe sämtlichen Regierungssprechern Stillschweigen
verordnet, verlautete am Samstag aus Sicherheitskreisen. Die israelische
Regierung sei besorgt, die Unruhen könnten die Beziehungen zu Kairo
gefährden und sich in die palästinensischen Gebiete oder Jordanien
ausbreiten.
Gewährsleute bei den israelischen Behörden sagten, sie rechneten nicht mit
einem Sturz des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak. Es könne jedoch den
Beziehungen zu Israel schaden, wenn die oppositionelle Muslimbruderschaft
in Ägypten großen Zulauf bekomme.
Ägypten schloss vor drei Jahrzehnten als erstes arabisches Land Frieden mit
Israel und ist heute einer der wichtigsten Verbündeten Israels. Ägypten
dient dem jüdischen Staat als Brücke zur arabischen Welt.
29 Jan 2011
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