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# taz.de -- Vor Parlamentswahl in Tunesien: Jubelempfang für einen Heimkehrer
> Nach 22 Jahren im Exil ist der ehemalige Chef der gemäßigten islamischen
> Partei Ennahda nach Tunesien zurückgekehrt. Vor ihm liegt eine schwierige
> Aufgabe.
Bild: Neue Hoffnung für Tunesien? Empfang von Rachid Ghannouchi am Flughafen i…
MADRID taz | Mehr als tausend Tunesier empfingen am Sonntag Rachid
Ghannouchi, den Führer der tunesischen Islamistenorganisation Ennahda
(Erneuerung), als er zur Mittagszeit aus seinem Londoner Exil auf dem
Flughafen in der tunesischen Hauptstadt landete. Hinter dem 69-jährigen
Geistlichen und Philosophieprofessor liegen mehr als 20 Jahre Exil. Vor ihm
liegt die schwierige Aufgabe, seine Partei in das demokratische Tunesien
einzubinden.
"Wir werden an den Parlamentswahlen teilnehmen", erklärte Ghannouchi, der
unter dem gestürzten Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali in Abwesenheit
wegen Verschwörung und Aufstand gegen den Staat zu lebenslanger Haftstrafe
verurteilt worden war, vor seinem Abflug in London. Zu den
Präsidentenwahlen, die spätestens in sechs Monaten stattfinden sollen,
werde Ennahda allerdings nicht antreten. Und er selbst werde künftig auch
den Parteivorsitz jemand anderem überlassen. "Wir haben jüngere und besser
vorbereitete Mitglieder", erklärte Ghannouchi.
Jahrelang wohnte der prominente Islamist in einem Einfamilienhaus in einem
Londoner Vorort. Er empfing dort die ganzen Jahre die Presse und Vertreter
islamistischer Organisationen anderer Länder. Seine Ennahda und seine
Bücher gelten in der islamischen Welt als Vorbild für einen gemäßigten
Islamismus. Die Partei entstand 1981 unter dem Einfluss der Muslimbrüder
aus Ägypten, entwickelte sich aber nach und nach zu einer Organisation, die
sich als "etwas konservativer als die in der Türkei regierende AKP von
Recep Tayyip Erdogan" definiert.
Unter Ghannouchi, der trotz des gleichen Nachnamens mit dem tunesischen
Premier nicht verwandt ist, setzte Ennahda auf einen demokratischen Wandel
in Tunesien. Von Gewalt wie im benachbarten Algerien wollte die
Organisation auch nach ihrem Verbot durch Ben Ali 1989, nachdem sie bei den
Wahlen offiziell 17 Prozent der Stimmen erzielte, nichts wissen, nicht
einmal, als tausende Mitglieder unter Ben Ali zu hohen Haftstrafen
verurteilt wurden. 2005 unterzeichnete Ennahda gar eine gemeinsame
Oppositionsplattform mit den linken Parteien.
Keiner weiß, wie stark Ennahda heute noch ist. Seit dem Sturz Ben Alis wird
die Partei, die einen Antrag auf Wiederzulassung gestellt hat, nur langsam
wieder sichtbar. Strukturen hat sie so gut wie keine. Ihr Generalsekretär
Hamadi Jabali ist einer der jungen Leute, auf die Ghannouchi setzt. Das
Büro des Journalisten, der wegen seiner politischen Ansichten 16 Jahre im
Gefängnis saß, ist sein Auto, die Telefonzentrale seine vier Handys im
Handschuhfach. Er setzt auf den "freien Dialog mit allen demokratischen
Kräften".
Seine Ennahda werde alles tun, um nicht zu diesen Vorurteilen beizutragen.
Jabali verspricht, weder das islamische Recht einführen zu wollen noch auf
eine islamische Verfassung zu setzen. Wie das künftige Tunesien aussehe
"wird alleine die freie Entscheidung des Volkes sein". Die Angst vor dem
Islamismus sei eine "Psychose" in Europa, die "die Diktatoren ausnutzen, um
mit der Unterstützung Europas an der Macht zu bleiben", sagte Jabali zur
taz.
30 Jan 2011
## AUTOREN
Reiner Wandler
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