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# taz.de -- Haushaltsstreit in NRW: "Tarnen, Tricksen, Täuschen"
> NRW muss weniger Schulden machen als gedacht. Die Opposition sieht sich
> von Rot-Grün gestäuscht. Ministerpräsidentin Kraft will diesen Vorwuf
> nicht gelten lassen.
Bild: Mussten sich gegen die Angriffe der Opposition verteidigen: Die rot-grün…
DÜSSELDORF taz | Wenn sich ein Bundesland weniger verschulden muss als
gedacht, ist das normalerweise ein Grund zum Jubeln. Nicht so in
Nordrhein-Westfalen. In einer hitzigen Debatte mussten Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft und ihr Finanzminister Norbert Walter-Borjans (beide SPD)
sich am Mittwoch im Landtag heftiger Angriffe der Opposition erwehren, sie
hätten das Parlament getäuscht.
Der Hintergrund: Mitte Januar hatte das Landesverfassungsgericht per
einstweiliger Anordnung der rot-grünen Minderheitsregierung den weiteren
Vollzug des Nachtragshaushalts 2010, der eine Rekordnettoneuverschuldung
von 8,4 Milliarden Euro vorsieht, teilweise untersagt. In der vergangenen
Woche gab Walter-Borjans dann überraschend bekannt, das Land müsse für das
abgelaufene Haushaltsjahr 1,3 Milliarden Euro weniger an Schulden
aufnehmen. Die Gründe seien zum einen Mehreinnahmen von 355 Millionen Euro
im Vergleich zur Steuerschätzung im November 2010 und zum anderen geringere
Ausgaben von 960 Millionen Euro gegenüber dem Haushaltsansatz.
Für die Opposition eine zu späte Information: Sie ist der Auffassung,
bereits während der Landtagssitzung am 19. Januar hätte Walter-Borjans das
Parlament über die positiven Haushaltsentwicklungen unterrichten müssen.
"Entweder hat die Landesregierung inzwischen vollständig den Überblick über
die Haushaltslager verloren oder Parlament, Verfassungsgerichtshof und
Öffentlichkeit wurden über den wahren Sachverhalt getäuscht", hieß es in
einem von der FDP eingebrachten und der CDU unterstützten
Missbilligungsantrag.
Walter-Borjans habe sich "zum Gespött der Leute" gemacht, kritisierte
CDU-Landtagsfraktionschef Karl-Josef Laumann. Sein Stellvertreter Armin
Laschet forderte Ministerpräsidentin Kraft zur Entlassung des
Finanzministers auf. "Ihre Autorität als Finanzminister ist zerstört",
wetterte FDP-Fraktionschef Gerhard Papke. Walter-Borjans habe "auf Pump
eine schwarze Kasse für die Regierungsarbeit" anlegen wollen und sei damit
aufgeflogen. Seine Devise dafür laute: "Tarnen, Tricksen, Täuschen."
Hannelore Kraft nahm ihren angegriffenen Kabinettskollegen in einer
engagierten Rede in Schutz. CDU und FDP würden eine "Empörungsmaschinerie
auffahren", empörte sie sich. Walter-Borjans habe er Informationspflichten
verletzt noch gegen das Budgetrecht des Parlaments verstoßen. Zwar sei er
bereits am 13. Januar mündlich über Verbesserungen im Etat 2010
unterrichtet worden, habe jedoch bis Mitte Januar noch keine Details über
Ursachen und Auswirkungen gehabt. Die Landesregierung habe die Zahlen
"schnellstmöglich" veröffentlicht.
Auch Walter-Borjans wies die Vorwürfe der Opposition zurück. Ein
Finanzminister sei "nicht zu ständigen Wasserstandsmeldungen verpflichtet",
wenn sich der Etat besser entwickle. Es stehe ihm vielmehr zu, die ihm
vorgelegten Daten zunächst sorgfältig auszuwerten. Außerdem sei im
Vergleich zu früheren Jahren die Haushaltsdaten dem Parlament sogar
deutlich früher vorgelegt worden. Vor der Beginn der Plenardebatte hatte er
am Mittwochvormittag auch noch dem Haushaltsausschuss in einer
Sondersitzung Rede und Antwort gestanden. In einer detaillierten Auflistung
stellte er dem Ausschuss dar, dass es erheblich geringere Ausgaben für
Personal und Zinsen sowie für Infrastrukturmaßnahmen und Kohlesubventionen
gegeben habe. Außerdem hätten höhere Steuereinnahmen zu der geringeren
Nettoneuverschuldung geführt.
Die Grünen warfen der schwarz-gelben Opposition vor, sie versuche, "aus
normalen Vorgängen einen Skandal zu entwickeln". Die Linkspartei
kritisierte die Vorwürfe von CDU und FDP als "faktenfreien Klamauk".
Gemeinsam mit SPD und Grünen stimmte sie denn auch gegen den
Missbilligungsantrag der FDP, der damit keine Mehrheit im Parlament fand.
Allerdings hat die Linkspartei die Vergangenheitsbewältigung ohnehin
bereits hinter sich gelassen: Sie blickt nach vorne - und macht Pläne, wie
die gesparten 1,3 Milliarden Schulden doch noch ausgegeben werden könnten.
So forderte sie, jetzt die Kommunen noch stärker finanziell zu entlasten
und außerdem die Studiengebühren rückwirkend abzuschaffen. "Solches Geld
darf nicht auf dem Altar der Haushaltskonsolidierung geopfert werden",
sagte ihr wirtschaftspolitischer Sprecher Michael Aggelidis. Aber auch für
die Begehrlichkeiten der Linkspartei zeigte Hannelore Kraft wenig
Verständnis. "Wenn wir über weniger Ausgaben reden, reden wir nicht über
mehr Geld, das wir verteilen können, sondern reden über weniger Schulden
für Nordrhein-Westfalen", hielt sie Aggelidis entgegen.
1 Jan 1970
## AUTOREN
Pascal Beucker
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