| # taz.de -- Debatte Menschenrechte: Das böse Wort mit M | |
| > Westerwelle redet von Menschenrechten – doch man sah die autoritären | |
| > Regimes gleichzeitig als Hort der Stabilität. Letztes Jahr verdoppelte | |
| > man die Waffenlieferungen nach Ägypten. | |
| Wollte man Guido Westerwelles Erklärungen zur Politik gegenüber Ägypten vom | |
| 31. 1. für bare Münze nehmen, so hätten wir in unsrem Außenminister einer | |
| wahren Champion in Sachen Kampf für die Menschenrechte vor uns. Im | |
| Interview mit dem Deutschlandfunk beharrte Westerwelle darauf, dass er | |
| anlässlich seines Besuchs in Ägypten 2010 gegenüber Präsident Husni Mubarak | |
| "auch stets die Bürgerrechte und die Menschenrechte angesprochen und auch | |
| deren Einhaltung angemahnt hat". Man kann sich lebhaft vorstellen, wie der | |
| Außenminister im vertrauten Gespräch mit dem ägyptischen Potentaten ganz am | |
| Ende seiner langen Gesprächsliste sich dieser Pflicht entledigt hat. Wie | |
| mitreisende deutsche Journalisten versichern, hat es Westerwelle während | |
| seines Besuchs konsequent vermieden, das lästige M-Wort öffentlich in den | |
| Mund zu nehmen. | |
| Direkter Support für Despoten | |
| Hingegen sprechen die Fakten der deutschen Menschenrechtspolitik eine laute | |
| Sprache. Die Bundesrepublik verdoppelte im vergangenen Jahr ihre | |
| Waffenlieferungen nach Ägypten. Darunter finden sich Kommunikationssysteme | |
| und leichte Waffen, die sich auch für den Polizeieinsatz im Fall von | |
| "Unruhen" eignen. Zudem hat Deutschland seinen Zuschuss für das ägyptische | |
| Budget direkt an die Regierung geleistet, und zwar bedingungslos. Dabei | |
| wäre es ein Leichtes gewesen, die Zahlungen an die Einhaltung von Menschen- | |
| und Bürgerrechten zu knüpfen. Die Themenauswahl für eine solche | |
| "Konditionalisierung" wäre groß gewesen, sie reicht - alles im Rahmen des | |
| angeblichen Kampfs gegen den Terror - von willkürlichen Verhaftungen, | |
| Folter und unfairen Gerichtsverfahren bis zur Unterdrückung der Meinungs- | |
| und Religionsfreiheit. | |
| Aber auch dort, wo menschenrechtliche Bedingungen in Verträgen mit | |
| despotisch regierten Staaten niedergelegt worden sind, ist damit nichts | |
| über deren nachfolgende Einhaltung gesagt, geschweige denn über effektive | |
| Kontrollmaßnahmen. Hierfür liefert gerade Tunesien, wo als erstes Land der | |
| demokratische Volksaufstand aufbrandete, ein instruktives Beispiel. | |
| Tunesien wickelt fast bis zu drei Vierteln seines Handelsvolumens mit der | |
| EU ab. In den Kooperations- und Assoziationsverträgen gibt es | |
| menschenrechtliche Konditionen. Aber deren Einhaltung wurde gegenüber dem | |
| jetzt verjagten Despoten Ben Ali niemals eingefordert. Stattdessen wurde | |
| Ben Alis Regime noch bis zum Vorabend der Revolte als Hort der Stabilität | |
| gepriesen. Weitere Beispiele solchen Verhaltens ließen sich in beliebiger | |
| Zahl anführen. Man denke nur daran, wie die Diktatoren der | |
| zentralasiatischen Republiken bei uns respektive in Brüssel hofiert wurden. | |
| Was heißt eigentlich stabil? | |
| Hintergrund für diese Politik des Schweigens ist eine verfehlte Auffassung | |
| von politischer Stabilität. Die Unterschätzung eines Gewaltherrschers durch | |
| Deutschland und die EU bemisst sich danach, wie effektiv er im eigenen Land | |
| für Sicherheit und Ordnung sorgt und wie zuverlässig er den Forderungen | |
| "des Westens" nachkommt - also im "Antiterrorkampf", bei Hilfsdiensten zur | |
| Abschottung der EU vor Flüchtlingen, bei der Sicherung der Energie- und | |
| Rohstoffquellen. Mit welchen Mitteln Sicherheit und Ordnung | |
| aufrechterhalten werden, ist Sache des jeweiligen Despoten. Politische | |
| Opposition wird in dieser Sichtweise nur als Gefährdung der Stabilität | |
| angesehen. | |
| Wenn sich aber die Unzufriedenheit der Menschen zum Aufruhr, gar zur | |
| Revolution steigert, erweist die Bundesregierung den Kämpfern für | |
| Demokratie eine späte, heuchlerische Referenz. | |
| Aber Vorsicht: Nicht umsonst drückte Westerwelle im genannten Interview | |
| seine Sorge darüber aus, dass sich "freiheitlicher Protest" schnell | |
| umwandeln kann in "Rückenwind für Islamisten, Fundamentalisten und | |
| Extremisten". Hier ist sie wieder, die durch keinerlei Kenntnis der realen | |
| Verhältnisse belehrte Furcht vor dem Einsturz der Stabilität. Alles | |
| verbrämt durch die simple, unbewiesene Annahme, eine demokratische | |
| Regierung in Ägypten würde jeden Friedensprozess in Nahost unmöglich | |
| machen. "Lieber Mubarak als die Demokratie"? | |
| Unglaubwürdiger Westen | |
| Fatal für diese Pseudo-Menschenrechtspolitik ist, dass sie dem Vorwurf, der | |
| Westen messe mit zweierlei Maß, ständig neue Nahrung liefert. | |
| Zweierlei Maß zum einen bei der Leugnung eigener | |
| Menschenrechtsverletzungen, also der Weigerung, vor der eigene Tür zu | |
| kehren. Stichwort Flüchtlings- und Asylpolitik. Zweierlei Maß aber auch | |
| gegenüber Diktaturen. Trotz vielfacher Hinweise auf soziale und politische | |
| Spannungen beispielsweise in Saudi-Arabien wird der tyrannische Charakter | |
| des Regimes der Saudis von den westlichen Regierungen, auch von der | |
| deutschen, heruntergespielt oder einfach geleugnet. Hingegen steht das | |
| Regime der Mullahs im Iran unter menschenrechtlicher Daueranklage. Diese | |
| Anklage ist berechtigt, aber sie ist unglaubwürdig. Sie zeigt den doppelten | |
| Standard unserer Menschenrechtspolitik. | |
| Mit keinem politischen Begriff wurde in den letzten Jahrzehnten ärger | |
| Schindluder getrieben als mit dem der Menschenrechte. Einerseits gibt es | |
| reale Fortschritte für den Schutz gewaltunterworfener Menschen im | |
| institutionellen Rahmen der UNO, etwa durch die erweiterten Möglichkeiten | |
| der Individualbeschwerde oder - zuletzt - mit der Einrichtung des | |
| Internationalen Strafgerichtshofs. Hier zeigt sich eine positive Tendenz | |
| zur Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. | |
| Andererseits aber wird jeder Bezug auf die Menschenrechte diskreditiert, | |
| wenn sie den Prätext bilden für militärische Aggressionen und für die | |
| Sicherung imperialer Machtpositionen. Die Versicherung, man interveniere im | |
| Irak und in Afghanistan, um dort den Menschenrechten zum Sieg zu verhelfen, | |
| gellt uns noch in den Ohren. | |
| Die Menschenrechtspakte von 1966 sind geltendes Völkerrecht. Ihr | |
| Geltungsanspruch ist universell, und deshalb muss auch universell für sie | |
| eingetreten werden. "Die Menschlichkeit ist ein Knoten, um den Bürger von | |
| Paris mit dem von Peking zu verbinden" (Paul Thiry d'Holbach, französischer | |
| Aufklärer). | |
| 3 Feb 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Semler | |
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