Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aufstand in Ägypten: Die gekaufte Wut
> Die Regierung versucht die Demonstranten einzuschüchtern. Die
> "Baltagija", die "Axtträger", bilden die Vorhut. Sie sind wie Söldner und
> gehören zu den Ärmsten der Armen.
Bild: Demonstranten am Donnerstag beim Ägyptischen Museum nahe des Tahrir-Plat…
KAIRO taz | Am Donnerstagvormittag ist auf der Straße in Richtung
Ägyptisches Museum und Tahrir-Platz kein Durchkommen mehr. Soldaten sind
hier in Stellung gebracht und sie schicken alle zurück - auch jene, die zu
den Demonstranten auf dem Platz stoßen wollen.
Die ersten Demonstranten stehen etwa 100 Meter weit entfernt, vor ihnen
laufen jetzt in Zivil gekleidete Schlägertrupps auf und ab. Noch warten
sie, was passiert. Sie drohen aber Passanten, die in Richtung Platz gehen
wollen, und verlangen, ihre Ausweise zu sehen. Sie sind auf der Suche nach
Ausländern und Journalisten.
In der Nähe der Ramses-Straße haben sich mehrere Tausend Männer versammelt
und bewerfen Demonstranten mit Steinen.
Auf dem Tahrir-Platz ist die Stimmung dagegen entspannter. Viele sind stolz
darauf, die vergangene Nacht hier ausgeharrt zu haben. Sie haben sich nicht
einschüchtern lassen. Der junge Aktivist Mohammed Hussein ist einer der
Hartnäckigen, die den sofortigen Rücktritt von Präsident Husni Mubarak
fordern. "Wir gehen nicht weg", sagt er, "außer, wenn wir zu Tode geprügelt
werden", stellt er klar. Aber jetzt bräuchten sie Unterstützung. Viele
seien am Ende ihrer Kräfte angelangt.
Am Morgen sind bereits weitere Demonstranten eingetroffen, ausgerüstet mit
Medikamenten, Verbandsmaterial und Verpflegung. "Wir haben nicht viel, aber
es ist genug", sagt Hussein und erläutert das Vorgehen der Demonstranten:
In den vordersten Reihen stünden diejenigen, die die Demonstranten gegen
eventuelle Angriffe der Schlägertrupps verteidigen würden.
Dahinter folgte die "Dokumentationsabteilung". Diese fotografiere mit Handy
oder Fotoapparaten möglichst viele der Schläger. Später könnten dann
Misshandlungen dokumentiert und die Täter vor ein Gericht gebracht werden.
Ganz hinten schließlich, wo es etwas ruhiger zuginge, sei die
"Presseabteilung" zugange. Diese Demonstranten würden über ihre Handys ein
Interview nach dem anderen geben.
Am Nachmittag berichtet Mameduh Habaschi von der Mitte des Platzes, dass
niemand mehr rein oder raus käme. Die Schlägertrupps sammelten sich in der
Nähe. Habaschi ist Mitglied der Bewegung Kifaja ("Es reicht!"). Der
Menschenrechtsaktivist Gasser Abdel Ghazeq wurde von den Schägern
aufgehalten, seine Plastiktüten mit Medikamenten und Essen weggenommen. Er
sei froh gewesen, dass er wieder weg kam, sagt er erleichtert.
Die Schägertrupps, die seit Mittwoch ihr Unwesen treiben, werden auf
Arabisch "Baltagija" genannt. Das bedeutet "Axtträger". Es sind
ausschließlich Männer, sie zählen zu den Ärmsten der Armen und stammen aus
den Kairoer Slums oder den ländlichen Gebieten in der Umgebung der
Hauptstadt. Man erkennt sie leicht an ihrer ärmlichen Kleidung und ihrem
Dialekt.
Die Baltagija sind wie Söldner. Sie lassen sich anheuern. Man kann sie zum
Beispiel während der Parlamentswahlen im eigenen Bezirk mieten, um dafür zu
sorgen, dass die Mitbewerber nicht zu viele Stimmen bekommen.
Am Mittwoch bildeten die Baltagija bei den Gegendemonstrationen die Vorhut,
dahinter liefen Mitglieder von Mubaraks Partei und Staatsangestellte. Der
Informationsminister etwa hatte die Angestellten der Rundfunk- und
Fernsehzentrale aufgefordert, sich dem Marsch anzuschließen. Offenbar war
es der Plan, dass die Schlägertrupps zunächst den Tahrir-Platz räumen, der
dann von der Nachhut besetzt werden sollte.
Den Schlägertrupps sei eine Motivationszulage für den Fall versprochen
worden, sollte es ihnen gelingen, die Demonstranten vom Platz zu
vertreiben. Das sagen Schläger, die von den Demonstranten festgenommen
wurden. Einige von ihnen hatten Ausweise der Polizei oder der
Staatssicherheit dabei.
Auch die Reiter auf Pferden und Kamelen, die am Mittwoch gegen die
Demonstranten vorgegangen waren, sollen gekauft gewesen sein. Sie würden an
gewöhnlichen Tagen Touristen zu den Pyramiden von Giza führen. Bezahlt
haben soll sie der Parlamentsabgeordnete des Bezirks.
Dies bedeutet zweierlei: Erstens, dass nicht jeder, der gegen die
Demonstranten auf die Straße geht, ein Anhänger von Mubarak ist. Manche
brauchten schlicht das Geld. Andere wurden von ihren Arbeitgebern
geschickt. Zweitens gibt es sehr viele Profiteure des Baltagija-Systems.
Dazu gehören nicht nur Abgeordnete, sondern auch Geschäftsleute im
Dunstkreis der Regierung, die diese Schläger einsetzen, um Konkurrenten zu
verdrängen und sich Monopole und Generalvertretungen zu sichern. Dabei geht
es um sehr viel Geld.
Somit stellt sich die Frage, wer den Baltagija grünes Licht gegeben hat.
Die Armee hielt sich am Mittwoch auffällig zurück. Dabei wäre es für die
Militärführung vermutlich kein Problem, Mubarak loszuwerden. Doch die
Forderungen der Demonstranten gehen weiter, sie wollen einen Wechsel des
Systems und demokratische Wahlen. Und das wäre das Ende des jetzigen
Systems.
Mittlerweile entschuldigte sich der ägyptische Ministerpräsident Ahmed
Schafik für die Angriffe auf die Mubarak-Gegner vom Vortag, die mindestens
drei Tote von 600 Verletzte forderten. Er kündigte die Aufnahme von
Ermittlungen an. Trotzdem waren die Baltagija auch am Donnerstag wieder auf
der Straße.
3 Feb 2011
## AUTOREN
Karim Gawhary
Karim El-Gawhary
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte Aufbruch in Ägypten: Wir sind alle Khaled Said
Die Revolte gegen das Mubarak-Regime kommt nicht aus dem Nichts. Denn die
ägyptische Zivilgesellschaft hat eine Vorgeschichte des Protests.
Ägyptische Revolution: Der "Tag des Abgangs"
Hunderttausende Demonstranten versammeln sich auch am Freitag wieder in
Kairos Innenstadt. Präsident Husni Mubarak sagt, er hat genug, will aber
nicht sofort zurücktreten.
Übergangsregierung für Ägypten: Obama verhandelt mit dem Militär
Die USA dringen auf eine Wende in Ägypten: Während Präsident Mubarak weiter
an seinem Amt festhält, laufen offenbar hinter seinem Rücken Verhandlungen
mit dem Militär.
US-Politologin Bennis über US-Außenpolitik: "Israel braucht unseren Schutz ni…
Die USA müssen sich für ihre Politik gegenüber Ägypten entschuldigen, sagt
die Politologin Phyllis Bennis. Und akzeptieren, wenn bei freien Wahlen
islamische Kräfte siegen.
Urlaub in Ägypten: "Hauptsache, es regnet nicht"
So richtig Urlaubsstimmung ist nicht mehr in Scharm al-Scheich, aber
wenigstens redet keiner mehr von Haien. Die Proteste in Kairo lassen die
deutschen Urlauber eher kalt.
Aufstand in Ägypten: Straßenschlachten werden heftiger
Gegner und Anhänger von Präsident Mubarak gehen in Kairo aufeinander los.
Erstmals greift das Militär in das Geschehen ein. Vizepräsident Omar
Suleiman lädt zu Gesprächen ein.
Debatte Menschenrechte: Das böse Wort mit M
Westerwelle redet von Menschenrechten – doch man sah die autoritären
Regimes gleichzeitig als Hort der Stabilität. Letztes Jahr verdoppelte man
die Waffenlieferungen nach Ägypten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.